Knall auf Wahl

Im sächsischen Wurzen wurde ein Sprengstoffanschlag verübt, der auf die örtlichen Initiativen gegen Rechts zielte. von georg picot

In der Nacht zum Sonntag, den 7. November, explodierten vor den Räumen des Netzwerkes für Demokratische Kultur (NDK) in Wurzen zwei Sprengsätze. Anwohner hörten zwischen Mitternacht und ein Uhr einen lauten Knall. Erst ein bis zwei Stunden zuvor hatte der letzte NDK-Mitarbeiter die Räume verlassen. Verletzt wurde niemand. Auch das Innere der Räume wurde nicht beschädigt. Das Sicherheitsglas, das zu Bruch ging, verhinderte Schlimmeres.

Das NDK engagiert sich seit 1999 für den Aufbau einer demokratischen Gegenkultur zur rechtsextremen Hegemonie in Wurzen. Der sächsische Ort mit 16 000 Einwohnern war besonders Mitte der neunziger Jahre als Neonazihochburg berüchtigt. In den vom Anschlag betroffenen Räumen arbeiten neben dem NDK ein Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus sowie die Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt, Amal. Es sind die einzigen Initiativen, die sich in Wurzen dauerhaft gegen die rechtsextreme Strömung einsetzen. Demokratische und antifaschistische Initiativen in Sachsen werteten den Anschlag daher übereinstimmend als Angriff von rechts und als eine neue Qualität der rechten Gewalt.

Noch am Sonntagabend demonstrierten Antifagruppen in Leipzig spontan gegen den Anschlag. Tags darauf kamen in Wurzen die betroffenen Initiativen mit Vertretern der Stadtverwaltung, der Polizei, der Kirche sowie einigen Wurzener Bürgern zusammen. »Zum ersten Mal empfinden wir, dass das NDK von der Stadtverwaltung ernst genommen wird und wir nicht mehr als Nestbeschmutzer gelten«, betont Ingo Stange vom NDK. Die Runde startete eine Unterschriftenaktion, die den Anschlag verurteilt.

Dass Antifagruppen aus Leipzig und aus anderen sächsischen Städten für Montagabend zu einer Demonstration in Wurzen aufgerufen hatten, erfuhr man beim NDK Ingo Stange zufolge erst über Umwege. Als die antifaschistischen Demonstranten schließlich am Bahnhof in Wurzen eintrafen, fand auf dem Vorplatz bereits eine Kundgebung mit 50 bis 100 Menschen gegen den Anschlag statt. Die Redner der Kundgebung wandten sich an die hinzugekommenen Demonstranten und riefen zu friedlichem Protest auf. Als ein Großteil der 200 bis 250 Angereisten zu einer unangemeldeten Spontandemonstration aufbrach, schritt die Polizei gewaltsam ein. Dabei wurden nach Angaben der Antifa einem Demonstranten mehrere Zähne ausgeschlagen, ein anderer erlitt eine Platzwunde. Bald darauf löste die Polizei Demonstration und Kundgebung auf.

Bereits während der Kundgebung hatten sich ca. 80 Neonazis in Gruppen gesammelt und am Rande vereinzelte Demonstranten angegriffen. Nachdem alle Antifas wieder abgereist waren, machten der Opferberatungsstelle Amal zufolge etwa 25 Neonazis Jagd auf eine Gruppe von zwölf Wurzener Punks. Zwei der Angegriffenen mussten danach ärztlich behandelt werden. Später nahm die Polizei 16 Rechte in Gewahrsam. Dabei handelte es sich jedoch offenbar nicht um die Angreifer. Denn auf den Internetseiten des so genannten Freien Widerstandes ist zu lesen: »Danach kamen die Jungs in Grün! Machten aber wiederum keinerlei Anstalten, gegen uns vorzugehen.«

Bei der Landtagswahl im September erhielt die NPD in Wurzen 11,4 Prozent der Stimmen und lag damit geringfügig über dem Landesdurchschnitt. Im Stadtrat verfügt die Partei seit den Kommunalwahlen im Juni über drei Sitze. Wenige Tage nach dem Sprengstoffanschlag meldete sich die NPD-Fraktion mit einer Presseerklärung zu Wort. Leicht wirr schimpfen die Stadträte darin auf die Betroffenen des Anschlags und stellen sich selber als Opfer dar: Die Sprengsätze würden »missbraucht« für einen »Rundumschlag gegen alles Systemkritische und Nationale in Wurzen, Sachsen und Deutschland«.

Beim Netzwerk für Demokratische Kultur ist man solche Auslassungen gewohnt. »Der Diffamierung aus dieser Ecke sind wir seit Jahren ausgesetzt«, sagt Ingo Stange, »das fällt in Wurzen auf fruchtbaren Boden.« Allerdings habe sich die Situation nach dem Anschlag etwas verbessert. Noch vor wenigen Monaten wurden dem NDK die Räume für eine Lesung mit Harry Rowohlt gekündigt. Der Grund sei gewesen, dass das Netzwerk die Lesung veranstaltete und der Inhaber der Räume Angst vor rechten Übergriffen hatte, vermutet man beim NDK. Für ein Treffen des Zusammenschlusses Tolerantes Sachsen, dem auch das NDK angehört, können nun eben jene Räume genutzt werden. Diesmal fragte der Inhaber, ob er noch Listen für die Unterschriftenaktion haben könne.

Für die Aufklärung des Sprengstoffanschlages hat die Polizei eine Sonderermittlungsgruppe gebildet, an der die örtliche Polizeidirektion und die Sonderkommission Rechtsextremismus (Soko Rex) des Landeskriminalamtes beteiligt sind. Eine Sprecherin des LKA sagte, es würden zurzeit zwei Spuren verfolgt. Aus ermittlungstaktischen Gründen seien jedoch keine näheren Angaben möglich. Obwohl die Soko Rex beteiligt ist, werde auch außerhalb der rechtsextremen Szene ermittelt. Jemand, der weiß, wie er den Anschlag verstanden wissen will, schrieb hingegen ins Gästebuch auf der Homepage des NDK: »Jetzt geht euch die Muffe 1/1000 … Wer sich uns in den Weg stellt, gefährdet sich und seine Familie.«

Die Opferberatungsstelle Amal hält es für möglich, dass ein Zusammenhang zwischen dem Anschlag und einem laufenden Gerichtsprozess besteht. Sieben junge Männer, einige davon nach Informationen von Amal seit Jahren in der rechten Szene aktiv, sind angeklagt, einen Jugendclub überfallen und mehrere Jugendliche verletzt zu haben. Der Prozess ist nicht abgeschlossen, es liegen jedoch Zeugenaussagen gegen die Angeklagten vor. Amal, nun durch den Sprengstoffanschlag betroffen, hat die im Jugendclub Angegriffenen beraten.

Ermutigt wurden die Urheber des Anschlags möglicherweise vom Erfolg der NPD bei der sächsischen Landtagswahl, meint Timo Reinfrank von der Antonio-Amadeu-Stiftung in Berlin: »Bei öffentlicher Zustimmung für rechtsextreme Themen sehen sich rechte Gewalttäter bestärkt.« Auch bei Amal hat man einen Anstieg rechter Gewalttaten seit der Landtagswahl registriert. Zu dem Sprengstoffanschlag sagt ein Mitarbeiter von Amal: »Vor einem Jahr wäre es vielleicht nur eine geschmierte Parole, ein Drohbrief oder ein Stein gewesen.« – Nur.