Legitime Bedürfnisse

Nach den Parlamentswahlen im Kosovo streiten Belgrad und die UN über die Position der serbischen Minderheit. von markus bickel, pristina

In Pristina haben vorige Woche die Verhandlungen zur Bildung einer neuen Regierung begonnen. Der Vorsitzende der Demokratischen Liga des Kosovo (LDK), Präsident Ibrahim Rugova, befürwortet eine Koalition mit der Allianz für die Zukunft des Kosovo (AAK) von Ramush Haradinaj sowie den Repräsentanten der Minderheiten. Gemäß dem Wahlrecht stehen der serbischen Minderheit zehn Sitze sowie Vertretern von Askhali, Bosniern, Türken, Gorani, Ägyptern und Roma weitere zehn Sitze in der Kammer mit 120 Abgeordneten zu. Die Protektoratsverwaltung der Vereinten Nationen (Unmik) sowie die wichtigsten westlichen Botschaften setzten dagegen auf eine Neuauflage der bestehenden Koalition aus AAK, LDK und der Demokratischen Partei des Kosovo (PDK) des ehemaligen Führers der Kosovo-Befreiungsarmee, Hashim Thaci.

Da gegen Haradinaj wegen Verbrechen im Kosovo-Krieg wahrscheinlich eine Anklage vor dem Uno-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag vorliegt, schließen Diplomaten eine Koalition jedoch aus, in der er den Posten des Premierministers beanspruchen könnte. Der politische Analyst und Kolumnist der größten albanischen Tageszeitung Korrieri, Baton Haxhiu, sagte der Jungle World: »Es ist nicht gut, eine politisch hybride Situation zu schaffen.«

In westlichen Kreisen hieß es außerdem, dass man sich eine Marginalisierung der PDK nicht erlauben könne. Sollten sich die Ambitionen ihres Vorsitzenden Thaci, den Posten des Premiers zu bekommen, nicht befriedigen lassen, gilt seine führende Rolle in der Delegation, die Verhandlungen über den endgültigen Status mit Belgrad führen soll, als sicher. Diese sollen bei grundsätzlich positiver Begutachtung der demokratischen, rechtsstaatlichen und sicherheitspolitischen Fortschritte Mitte 2005 beginnen.

Inwieweit die serbischen Repräsentanten nach dem von Premierminister Vojislav Kostunica ausgerufenen Wahlboykott in die politischen Institutionen des Kosovo eingebunden werden können, ist weiterhin unklar. »Wir werden uns von Belgrad nicht erpressen lassen«, sagte am Dienstag voriger Woche eine Sören Jessen-Petersen nahe stehende Quelle. Bereits zuvor hatte der dänische Unmik-Chef der Jungle World erklärt, dass er auf die Zusammenarbeit mit den Vertretern der Serbischen Bürgerinitiative von Slavisa Petkovic sowie der Serbischen Liste für Kosovo-Metohija von Oliver Ivanovic setzen werde, die dem Aufruf Kostunicas zum Wahlboykott nicht gefolgt sind: »Sie sind die gewählten legitimen Repräsentanten der Kosovo-Serben.«

Der Streit über die künftige Position der auf rund 100 000 geschätzten Angehörigen der serbischen Minderheit ist neben der Regierungsbeteiligung das beherrschende Thema in Pristina und den westlichen Hauptstädten. So erklärte der EU-Außenpolitikchef, Javier Solana, vorige Woche: »Ich bin weiterhin der Überzeugung, dass die Beteiligung am politischen Prozess der beste Weg ist, ihre legitimen politischen Bedürfnisse zu befördern.« Der nationalkonservative Kostunica hatte den Wahlboykott zuvor als logische Folge der desolaten wirtschaftlichen Lage und der mangelhaften Sicherheitssituation in dem nach internationalem Recht weiterhin zu Serbien-Montenegro gehörenden Protektorat mit zwei Millionen Einwohnern bezeichnet. »Sie haben nicht gewählt, weil sie das letzte ihnen verbliebene Recht im Kosovo nicht verlieren wollen – das Recht zu wählen.«

Auch Deutschlands Außenminister, Joschka Fischer, bezog scharf Stellung gegen die Position der serbischen Regierung: Eine größere Teilnahme der serbischen Minderheit hätte »einen wichtigen Schritt zu einem demokratisch und rechtsstaatlich verfassten multi-ethnischen Kosovo bedeuten können«. Der serbische Präsident Boris Tadic und Außenminister Vuk Draskovic hatten eine Beteiligung der kosovo-serbischen Bevölkerung befürwortet.