Kürzen, wo es weh tut

Einer Studie zufolge erleidet jede dritte Frau in ihrem Leben körperliche Gewalt. Dennoch wird vielen Frauenhäusern das Geld gekürzt. Zum Beispiel in Hamburg. von anke schwarzer

Vor verschlossenen Türen stehen, ist ein weiterer Schlag ins Gesicht von gewaltbetroffenen Frauen«, steht auf den Postkarten. Sie wurden am vergangenen Samstag verteilt, als knapp 1 000 Frauen und Männer gegen die geplante Schließung des Ersten Frauenhauses in Hamburg demonstrierten. Zuvor waren dem Senat 25 000 Unterschriften für den Erhalt des Frauenhauses überreicht worden.

Jedes Jahr suchen etwa 450 Frauen und ihre Kinder Zuflucht im Ersten Frauenhaus in Hamburg, dem größten und ältesten der insgesamt sechs autonomen Frauenhäuser in der Stadt. Bis zum 31. Oktober mussten jedoch alle Bewohnerinnen das Haus verlassen haben, denn zum Jahresende soll es schließen; so will es die Behörde für Soziales und Familie (BSF). Sieben Mitarbeiterinnen stehen vor der Kündigung. Die Frauenhäuser nennen sich zwar autonom, sind aber finanziell von der Stadt abhängig. Der Verein »Frauen helfen Frauen«, der Träger des Ersten Frauenhauses, nimmt jedoch weiterhin Zuflucht Suchende auf und hat gegen die Schließung Widerspruch eingelegt.

Weil die Versorgung in Hamburg im Vergleich zu anderen Städten deutlich besser sei, habe man sich entschlossen, das Angebot zu reduzieren, argumentiert die BSF. Sie rechnet vor, dass Hamburg mehr Frauenhäuser aufweise als andere Städte. Die Einsparungen sollen nicht alle sechs Frauenhäuser gleichmäßig betreffen, sondern mit der Schließung des Ersten Frauenhauses erreicht werden. Zudem soll der psychologische Fachdienst in den Frauenhäusern eingestellt werden.

An die noch fließenden Zuwendungen knüpft der Hamburger Senat außerdem neue Bedingungen. Demnach dürfen die Frauenhäuser keine Frauen mit Duldung oder einer Aufenthaltsgestattung, die Flüchtlinge für die Dauer ihres Asylverfahrens erhalten, mehr aufnehmen. Frauen mit einem solchen Status sollen künftig in eine andere Unterkunft verwiesen werden.

Mitarbeiterinnen des Frauenhauses haben kürzlich diese Unterbringung besichtigt. Marion Klußmann vom Ersten Frauenhaus sagt: »Da haben wir alle große Angst bekommen.« In diesen öffentlichen Unterkünften werde die Anonymität der misshandelten Frauen nicht gewährleistet, und auch die Adressen seien nicht geheim. Für den Gewalttäter stelle es kein Problem dar, die Frau zu finden, meint Klußmann.

Im Jahr 2003 stellte Hamburg nach eigenen Angaben 2,4 Millionen Euro für die insgesamt sechs Frauenhäuser mit 207 Plätzen zur Verfügung. Im Jahr 2005 sieht der Haushaltsentwurf nur noch 2,17 Millionen Euro, im folgenden Jahr 1,85 Millionen Euro vor. »Ich weiß nicht, wohin die Frauen dann gehen sollen«, klagt Klußmann. »Es gibt jetzt schon eine Überbelegung in den sechs Häusern.« Die Sozialpädagogin weist darauf hin, dass mit der Kürzung 20 Prozent der Plätze wegfallen. »Und die Gewalt hört nicht zum 31. Oktober auf«, sagt sie.

Mit dem neuen Gewaltschutzgesetz gebe es auch andere Möglichkeiten, misshandelten Frauen Schutz zu gewähren. Etwa indem der Mann aus der gemeinsamen Wohnung verwiesen werde. »Wir begrüßen das Gewaltschutzgesetz, doch der Verbleib in der Wohnung kommt nicht für jede Frau in Frage«, erklärt Klußmann. Manche seien in der gemeinsamen Wohnung bis zu 20 Jahre lang misshandelt worden, der Verbleib dort wäre unzumutbar. Andere könnten die Mieten nicht aufbringen oder würden dort weiterhin von den Ehemännern, ehemaligen Partnern oder von ihren Söhnen bedroht, sagt sie.

Seit 20 Jahren arbeitet Klußmann im Frauenhaus. In dieser Zeit habe sie keinen Rückgang der Männergewalt gegen Frauen feststellen können. Verlässliche Zahlen dazu existieren aber bislang nicht. Auch die erste repräsentative Studie zum Thema Gewalt gegen Frauen in Deutschland wurde erst in diesem Jahr vorgelegt. Im Auftrag des Bundesfamilienministeriums befragte das Interdisziplinäre Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung der Universität Bielefeld 10 000 Frauen zu ihren Gewalterfahrungen in verschiedenen Lebensphasen. Die Studie mit dem Titel »Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland« ist Teil des im Jahre 1999 beschlossenen Aktionsplans der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen.

Die Befunde der Studie bestätigen die bisherigen Schätzungen, wonach in Deutschland jede zweite bis dritte Frau körperliche Übergriffe in ihrem Erwachsenenleben erlitten habe. Bezogen auf die Gewalt in Paarbeziehungen, weisen die Ergebnisse allerdings über das bislang geschätzte Ausmaß hinaus. Mindestens jede vierte Frau im Alter von 16 bis 85 Jahren, die in einer Partnerschaft lebt oder gelebt hat, hat körperliche oder, zum Teil zusätzlich, sexuelle Übergriffe eines Partners einmal oder mehrmals erlitten. Die Studie bestätigt insgesamt, dass Gewalt gegen Frauen überwiegend häusliche Gewalt der männlichen Partner bedeutet.

13 Prozent der befragten Frauen, also fast jede siebte Frau, gaben an, seit dem 16. Lebensjahr Formen von sexueller Gewalt erlebt zu haben, die sich auf die enge Definition strafrechtlich relevanter Formen erzwungener sexueller Handlungen beziehen. 40 Prozent der Frauen haben körperliche oder sexuelle Gewalt oder beides seit dem 16. Lebensjahr erlebt. Unterschiedliche Formen von sexueller Belästigung haben 58 Prozent der Befragten erfahren. Nach der Studie sind in Fällen sexueller Gewalt 99 Prozent der Täter Männer.

Im Vergleich mit anderen europäischen Staaten liegen die für Deutschland erfassten Werte im mittleren bis oberen Bereich. So sind Frauen in Deutschland von sexueller und/oder körperlicher Gewalt in Paarbeziehungen zu 25 Prozent betroffen, in Finnland zu 32 Prozent, in der Schweiz zu 21 Prozent, in Portugal zu 18 Prozent und in Dänemark zu 14. Die Autorinnen der Studie weisen jedoch darauf hin, dass die Daten nur begrenzt vergleichbar seien, da manche Studien eine weite Definition der Gewalt und Belästigung verwendeten, die deutsche Untersuchung dagegen eine relativ enge, an strafrechtlichen Kategorien orientierte Definition.

Die Wahrscheinlichkeit für Frauen, Opfer von Gewalt zu werden, werde nicht von ihrer sozialen Herkunft beeinflusst, erklärt Monika Schröttle, die Leiterin des Studienprojekts. Auch bei den Tätern spielten Bildung und soziale Herkunft keine Rolle. Arbeitslosigkeit tauge ebenso wenig als Erklärung für Gewalt, da die Täter überwiegend erwerbstätig seien. Allenfalls deute sich an, dass die Schwere und Intensität der Gewalt mit einem höheren Bildungsgrad abnehme, sagt Schröttle.

Wie Klußmann vermutet auch sie, dass die Gewalt gegen Frauen in Deutschland in den vergangenen Jahren nicht abgenommen habe. »Ohne Vergleichsuntersuchung sind dazu keine wissenschaftlichen Aussagen möglich. Ich persönlich vermute aber, dass sich mehr die Bereitschaft, über dieses Thema zu sprechen, verändert als die tatsächliche Gewaltbereitschaft«, meint Schröttle.

In Deutschland werde auf Bundesebene eine sehr engagierte und von Kontinuität geprägte Politik in der Frage des Schutzes von Frauen gegen Gewalt geleistet. In den einzelnen Bundesländern dagegen sehe die Sache anders aus, sagt sie. »Dort wird leider versucht, die Finanzierung für Hilfeprojekte drastisch herunterzufahren – eine fatale Entwicklung, die langfristig mit erhöhten Folgekosten für Politik und Gesellschaft verbunden sind.«