Kritik mit Radkappe

Kunst muss nicht bieder sein. Eine Ausstellung in Berlin dokumentiert politische Aktionskunst des 20. Jahrhunderts. von tanja dückers

Der Titel der aktuellen Ausstellung in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) in Berlin, »Legal/Illegal«, ruft in Erinnerung, dass es einmal eine Zeit gab, in der Kunst noch als explizit politischer Akt des Protests angelegt war. Gezeigt werden die Arbeiten und Positionen von insgesamt 20 Künstlern und Künstlerinnen, die in der Grauzone zwischen dem noch Erlaubten und dem Verbotenen operieren; mit einigen Aktionen wird die Grenze zur Kriminalität auch ganz entschlossen überschritten. Die Grenzen zwischen künstlerischer Inszenierung und politischem Aktionismus verwischen, das verschnarcht Museale in der Präsentation von Kunst lässt die Ausstellung mit dem Untertitel »Wenn Kunst Gesetze bricht« weit hinter sich.

Die unter dem Ausstellungstitel zusammengefassten Künstler und Künstlerinnen sind einer Geschichte der Antikunst des 20. Jahrhunderts zuzuordnen: Futuristen, Dadaisten, Situationisten, Fluxus- und Konzeptkünstler; aber auch Gegenwartskunst und weniger bekannte Namen sind vertreten. Man merkt, dass es dem Kuratorenteam, Hans Winkler, Helen Adkins und Kai Bauer, nicht um ein Who is Who der anarchistischen Kunstszene geht, sondern darum, zu dokumentieren, wer in dieser Traditionslinie welche Positionen herausgearbeitet hat. Allen Künstlern und Künstlerinnen gemeinsam ist der Ansatz, Kunst nicht nur um ihrer selbst Willen zu betreiben, immer geht es darum, gesellschaftspolitisches Engagement mit künstlerischen Mitteln zu betreiben. Entsprechende Konsequenzen werden von ihnen miteingeplant und in Kauf genommen.

Es gibt höchst unterschiedliche künstlerische Vorgehensweisen bei der Gesetzesüberschreitung, wobei Humor und Ironie charakteristische Stilmittel dieser anarchischen Kunst sind.

Abbie Hoffman z.B. ließ an der Wall Street 100 Ein-Dollar-Noten apart von der Zuschauertribüne herunterregnen, und ganz so, wie es das Klischee will, balgten sich die Broker und Banker prompt um die Scheine. Infolge des allgemeinen Tumults kam die New Yorker Börse für einige Stunden zum Stillstand.

Dennis Oppenheim wiederum entfernte heimlich die Radkappen von dicken Schlitten in Kalifornien; auch von einigen Lieferfahrzeugen des berüchtigten und durch Johnny Cashs Konzert berühmt gewordenen Knasts St. Quentin wurden die Radkappen abgeschraubt. Seine Beute stellte Oppenheim dann vor dem Staatsgefängnis aus. In den Räumen der NGBK haben die vielen auf dem Boden liegenden glänzenden Radkappen eine sehr eigene ästhetische Qualität. Oppenheim ist nicht nur ein schalkhaft betriebenes gesellschaftskritisches Statement gelungen; er hat zugleich die Radkappen derart von ihrer ursprünglichen Funktion lösen können, dass sie zu Skulpturen werden.

Auch Ann Messners Arbeit, die Fotodokumentation einer öffentlichen Performance, hat gesellschaftspolitische Bedeutung: »Balloon in the subway rush« zeigt die Aktionskünstlerin, die zur Rush Hour einen sehr großen Luftballon mitten in einer überfüllten New Yorker U-Bahn aufbläst. Auf den Fotografien ist zu sehen, wie der Ballon mehr und mehr Raum einnimmt und die Fährgäste der U-Bahn regelrecht bedrängt. Die Arbeit kann als ironischer Kommentar zur Arbeits- und Lebenssituation der Nine-to-five-Angestellten verstanden werden.

Janice Kerbel legt in »Bank Job« einen fein säuberlich ausgearbeiteten, detailreichen Plan für einen Banküberfall in London vor. Da gibt es eine Karte mit liebevoll eingezeichneten Fluchtwegen sowie verschiedene Fotos der Bank aus jedem erdenklichen Winkel. Der Plan ist derart realistisch, dass seine Publikation in Buchform verboten wurde.

Eine Aktion, die auch als politische Stellungnahme zu gesellschaftlichen Prozessen verstanden werden muss, stellt Tony Labats Entführung des Kandidaten der kalifornischen Gouverneurswahl (»Kidnap attempt«) dar. Der Politiker, der früher selbst Künstler war, wurde überfallen, in ein Auto gezerrt und erst wieder freigelassen, nachdem er über die Gründe seiner Kandidatur ausführlich berichtet hatte.

»Legal/Illegal« verweist auf ein transitorisches Moment von Kunst und ihrer Rezeption, denn die Vorstellung davon, was jeweils in einer Gesellschaft als legal und legitim gilt, ist einem kontinuierlichen Wandlungsprozess unterworfen. Vermeintlich gesetzmäßiges Verhalten kann schnell zu illegalem werden und umgekehrt. Die Begriffe markieren lediglich die beiden Enden eines Kontinuums. Allein die Etablierung eines Künstlers kann zum Beispiel auch schon zu einer veränderten Wahrnehmung einer seiner Aktionen führen, beispielsweise im Fall von Dennis Oppenheim, der längst zu einer Ikone der US-amerikanischen Kunst des 20. Jahrhunderts geworden ist. Mit dem Aufkommen der situativen Kunst in den sechziger Jahren, als die Öffentlichkeit langsam an spontane Happenings gewöhnt wurde, wurden viele Aktionen wohlwollender aufgenommen, als dies noch wenige Jahre zuvor vorstellbar gewesen war. Von Land zu Land unterscheidet sich sowohl die öffentliche Rezeption solcher Kunst als auch die Toleranz gegenüber dem »invasiven Kunstwerk«.

Derartige den Staat und die Gesellschaft herausfordende, provokative Kunst gehört– trotz einiger Beispiele aus der Gegenwart – wohl einer Vergangenheit an, in der Subversion dazugehörte und es noch darum ging, mit einer als bürgerlich und verstaubt wahrgenommenen bildenden Kunst aufzuräumen. Zurzeit finden sich in der Kunst leider Züge eines neuen Biedermeiers, von dem zum Beispiel Norbert Biskys sich rasant verkaufende blonde Jünglinge und Reigen tanzende Mädchen ein beredtes Zeugnis ablegen.

»Legal/Illegal«. Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, Berlin. Bis 28. November