Alle Bänder standen still

Die IG Metall hat den wilden Streik bei Opel in Bochum erfolgreich abgewickelt. von tom binger

In seltener Einmütigkeit wurde am vergangenen Mittwoch die Entscheidung der Belegschaft der Opelwerke in Bochum, die Arbeit wieder aufzunehmen, begrüßt. Das Management bedankte sich beim Betriebsrat und bei den Arbeitern für die »konstruktive Entscheidung«. Der Vorsitzende der IG Metall, Jürgen Peters, sprach von einem »richtigen Signal« für die weiteren Verhandlungen, und Bundeskanzler Gerhard Schröder lobte die »kluge Entscheidung« der Beschäftigten.

Die einhellige Zufriedenheit zeigt, dass etwas Außergewöhnliches passiert sein muss. Zum ersten Mal seit den wilden Streiks in den siebziger Jahren legte die Belegschaft eines Großbetriebs in Westdeutschland in einer spontanen Reaktion auf einen angekündigten Stellenabbau ihren Betrieb lahm. Dabei wurden die Bestimmungen des deutschen Streikrechts ebenso souverän missachtet wie alle gewerkschaftlichen und tarifvertraglichen Spielregeln für Arbeitskampfmaßnahmen. Kein Wunder also, dass die Gewerkschaft die Lage so schnell wie möglich unter Kontrolle bringen musste.

In der Frage, die der Betriebsrat und die IG Metall der Belegschaft am Mittwoch voriger Woche zur Abstimmung vorlegten, wurde die Fortsetzung der Verhandlungen an eine Einstellung der Kampfmaßnahmen geknüpft: »Soll der Betriebsrat die Verhandlungen mit der Geschäftsführung weiterführen und die Arbeit wieder aufgenommen werden?« 72 Prozent der anwesenden Arbeiter stimmten in der Ruhr-Congress-Halle, in der die Abstimmung stattfand, für diese Formulierung. Dennoch fühlen sich viele Beschäftigte mit dieser Suggestivfrage hereingelegt und sprechen von »Wahlbetrug«. Das berichten Mitarbeiter, aber auch die Westdeutsche Allgemeine Zeitung.

Eine Fortsetzung der Verhandlungen bei Weiterführung des Ausstandes stand überhaupt nicht zur Abstimmung. Reden durften auf der Versammlung lediglich der Betriebsratsvorsitzende, Dietmar Hahn, und der Bochumer Bevollmächtigte der IG Metall, Ludger Hinse. Beide hatten bereits auf der Demonstration am europäischen Aktionstag der Beschäftigten bei General Motors am Dienstag voriger Woche für die Rückkehr zur Arbeit geworben. Kritische Stimmen wurden bei der Abstimmung nicht zugelassen. Zahlreiche aktive Vertrauensleute, die den einwöchigen Arbeitskampf im Wesentlichen koordiniert hatten, fühlen sich von ihrem eigenen Betriebsrat über den Tisch gezogen.

Der Streik wurde zu einem Zeitpunkt beendet, als er anfing, Wirkung zu zeigen. Wegen der ausbleibenden Lieferung von Teilen aus dem Bochumer Werk musste an drei Standorten in Europa die Produktion zeitweise ganz oder teilweise eingestellt werden. Neben dem Opel-Stammwerk in Rüsselsheim waren die Anlagen im belgischen Antwerpen und im britischen Ellesmere Port betroffen. Opel bezifferte den Produktionsausfall auf 6 500 Autos. Jeder weitere Streiktag hätte den Konzern zweistellige Millionenbeträge gekostet. Der Streik bei Opel in Bochum zeigte noch einmal die Verwundbarkeit der Just-in-Time-Fertigungsketten. General Motors stand also unter großem Druck und musste alles dafür tun, den Konflikt zu beruhigen.

Auf den Betriebsrat und die Führung der Gewerkschaft konnte sich das Unternehmen dabei verlassen. Bereits am Wochenende hatte der stellvertretende Vorsitzende der IG Metall, Berthold Huber, die Beschäftigten aufgefordert, wieder an die Arbeit zurückzukehren. Eine Fortsetzung der Kampfmaßnahmen sei »nicht zielführend« für die weiteren Verhandlungen.

Der Betriebsratsvorsitzende Hahn redete das dürftige Ergebnis der ersten Gespräche mit der Unternehmensleitung schön. »Die Blockadehaltung des Vorstandes konnte aufgebrochen werden«, sagte er auf der Demonstration. Die vage Absichtserklärung des Vorstandsvorsitzenden Hans Demant, »die Standorte Rüsselsheim und Bochum so weit wettbewerbsfähig zu machen, dass sie über 2010 hinaus als Automobilwerke erhalten werden können«, wertete der IG-Metall-Bevollmächtigte Hinse bereits als »Bestands- und Zukunftsgarantie für den Standort Bochum«. Auf der Demonstration verkündete er: »Wir gehen erhobenen Hauptes in den Betrieb zurück.« Ob in Bochum aber tatsächlich auch über das Jahr 2009 hinaus Autos gefertigt werden, wenn die aktuellen Produktionslinien des Astra und Zafira auslaufen, ist offen.

Auch die angedrohten 4 000 Entlassungen sind keineswegs vom Tisch. In ihrem Appell zur Beendigung des Streiks bekundete die Führung von Opel lediglich die Absicht, »nach Lösungen zu suchen, um die Personalanpassungen im Rahmen der geplanten Restrukturierung sozialverträglich zu gestalten«. Betriebsbedingte Kündigungen sind also keineswegs ausgeschlossen. Nach dem Modell der Betriebsvereinbarung bei Daimler-Chrysler soll auch der Betriebsrat von Opel in Zukunft beim »sozialverträglichen« Abbau von Arbeitsplätzen in die Pflicht genommen werden. Auf ähnliche Weise wurden bei Opel in Bochum in den vergangenen zwölf Jahren bereits knapp 10 000 Arbeitsplätze geräuschlos abgebaut.

Der Betriebsratsvorsitzende Hahn sagte der Jungle World, er sei bereit, über Maßnahmen des Kosten- und Personalabbaus wie Kurzarbeit, Outsourcing und einen neuen Beschäftigungssicherungsvertrag mit der Geschäftsführung zu verhandeln. In den angekündigten Auffang- und Beschäftigungsgesellschaften sollen die Opelaner zehn Prozent unter dem Tariflohn arbeiten. Im Vergleich zu den übertariflichen Gehältern bei Opel würde das für die Betroffenen einen Lohnverzicht von 30 Prozent bedeuten.

»›Sozialverträglich‹ ist das Lügenwort des Jahres«, empört sich Wolfgang Schaumberg, ein ehemaliger Opel-Betriebsrat und Mitbegründer der gewerkschaftskritischen Gruppe »Gegenwehr ohne Grenzen«, im Gespräch mit der Jungle World. »Jede Bude wird hier einzeln gegen die Wand gefahren«, kritisiert er die Verhandlungsstrategie der Gewerkschaften. Trotz des hohen gewerkschaftlichen Organisierungsgrades im Automobilsektor von 80 Prozent und der koordinierten Unternehmensoffensive bei Daimler, Ford, Volkswagen und Opel wird kein gemeinsamer Kampf gegen die angekündigten Zumutungen organisiert. Selbst die einzelnen Standorte werden gegeneinander ausgespielt. Während in Bochum gestreikt wurde, wurde in Rüsselsheim unter Regie der IG Metall der Betriebsfrieden gewahrt.

Unverdrossen halten die Gewerkschaften an ihrer Rolle als Sozialpartner fest. Während die transnationalen Konzerne ihre Entscheidungen auf globaler Ebene treffen, sind die Gewerkschaften noch nicht einmal im europäischen Maßstab handlungsfähig. Anstatt eine wirkungsvolle internationale Solidarität zu organisieren, spricht die IG Metall lieber Ressentiments an. Ludger Hinse sieht in den Plänen von General Motors »nicht nur einen Angriff auf die Arbeitsplätze, sondern einen Angriff auf die kulturellen Werte in Europa«.

Der nordrhein-westfälische IG-Metall-Vorsitzende Detlef Wetzel will die »Mitbestimmung gegen den amerikanischen Kapitalismus verteidigen«, und Klaus Hemmerling, der europäische Betriebsrat bei General Motors, proklamiert: »In Europa herrscht nicht der Wilde Westen wie in Amerika. Bochum ist nicht die Bronx von New York.« Von den Tausenden Arbeitsplätzen, die Daimler bei Chrysler in den USA abgebaut hat, ist selbstverständlich keine Rede.