Ein Kessel Braunes

Nicht nur die Neonazis fühlen sich nach den Wahlen in Sachsen gestärkt. Auch die Antifas sind wieder aktiver. von bettina schmitz und arthur leone

Eine Abwechslung wollte der Hamburger Neonazi Christian Worch den Kameraden bieten. Mal etwas anderes als die immergleichen Märsche vom Bahnhof in Richtung des Völkerschlachtdenkmals, das dann doch nie erreicht wird. Doch im Leipziger Stadtteil Connewitz bringt die versuchte Übernahme des eigenen Kiezes an einem sonnigen Sonntag rund 4 000 Menschen gegen den Neonaziaufmarsch auf die Straße, unter ihnen gut 1 000 Antifas.

Ab Mittag treffen sich vor dem »Volkshaus« der Gewerkschaften Jusos, StadträtInnen der PDS, GewerkschafterInnen und lokale Kulturschaffende, es wird zur friedlichen Blockade aufgerufen. Bierbänke werden auf die Straße gestellt, Transparente mit der Aufschrift »Bunt statt Braun« ausgerollt.

Währenddessen sammeln sich circa 1 000 Antifas am Treffpunkt der Neonazis, umringen die Polizei, in deren Kessel wiederum Worch und rund 150 KameradInnen stehen. Unter diesen finden sich einige, die eine Woche vorher in Chemnitz die Antifademonstration gegen den Naziladen »Backstreetnoise« angegriffen haben.

Den Versuch von Neonazis, eine gegnerische Demonstration zu blockieren, hatte es zwar bereits im Juni in Pirna gegeben, aber der gezielte Angriff in Chemnitz stellte ein Novum dar. Die Neonazis waren nicht nur wegen der Aussicht auf Freibier sowie Rabatte im Naziladen so offensiv vorgegangen. Auch die Ergebnisse der NPD bei den Kommunal- und Landtagswahlen haben die rechte Szene in Sachsen strukturell und in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt. So werten die KameradInnen den Erfolg der NPD auch als den ihren und sehen ihr Tun durch rund 200 000 sächsische WählerInnen bestätigt. Dass sie sich bei Aktionen stets auf ein allenfalls zögerliches Vorgehen der Polizei gegen sie verlassen können, haben zuletzt die Montagsdemonstrationen in Chemnitz, Dresden und anderen Städten bewiesen.

Doch am 3. Oktober ist alles anders. Während auf der genehmigten Naziroute die Sitzblockaden beginnen, versuchen hunderte Antifas, den Nazis eine mögliche Ausweichroute abzuschneiden. Die 1200 eingesetzten Polizeibeamten sind mit der Situation offensichtlich überfordert. Hunderte Jugendliche bauen Barrikaden, zünden sie an, ziehen weiter und entwickeln dabei sportlichen Ehrgeiz. Es brennen Mülltonnen und die Deutschland-Fahne am Amtsgericht, Steine fliegen auf Polizisten. Einzelne Gruppen anreisender Neonazis machen in der Innenstadt unangenehme Erfahrungen mit Antifas und flüchten sich in den Schutz der Polizei. Im Süden sind die für Autos und Straßenbahnen gesperrten Straßen voller Menschen. Aus den Boxen auf Fensterbrettern dröhnen Musik und Infos des freien Radios. Sogar Worch stellt »Radio Blau« ein, um auf dem Laufenden zu bleiben. Sein Gerät hat jedoch Schwierigkeiten, die Sprechchöre der gutgelaunten Menge zu übertönen, die hinter der Polizeiabsperrung steht: »Wir warten, wir warten!«, »Kesselgulasch!« oder »Ohne den Verfassungsschutz wärt ihr nur zu zehnt.«

Die von der Polizei geschützten Neonazis in der von Büschen umgebenen Seitenstraße wirken ziemlich armselig. Dazu kommt, dass einige die Aufdrucke auf ihren T-Shirts, manche auch die Tattoos auf ihren Glatzen mit den gelben Smileys der Polizei bekleben müssen. Selbst das Logo des brandenburgischen Kleidungsherstellers »Thor Steinar« ist erstmals von der Polizei untersagt worden, weil es »Werbung für den Nationalsozialismus« darstelle. Die Marke ist derzeit der Renner in den einschlägigen Läden der Szene – zum Beispiel im »Backstreetnoise« in Chemnitz. »Thor Steinar« oder auch »Rizist« stehen für den Trend, äußerliche Klischees über Bord zu werfen und sich in bislang nicht rechten Subkulturen einzurichten.

Die Auftaktdemonstration zur Kampagne »Schöner Leben ohne Naziläden« in Chemnitz war nicht ohne Erfolg: Herbert Hartmann, der dem Bundesvermögensamt in Chemnitz vorsteht, das die Räume für »Backstreetnoise« an Hendrik Lasch vermietete, erklärte, die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung würde geprüft.

Aber es ist noch einiges zu tun. In Dresden gibt es das »Outline«, welches nach Angaben der Kampagne von Silvio Strauch, dem ehemaligen Inhaber von »Backstreetnoise«, betrieben wird. Und in Pirna verkauft Dirk Knothe im »Eagle« unter anderem T-Shirts mit dem Schriftzug »Nazi« im Stil des Nike-Logos. Deshalb soll in Pirna die nächste Antifademo im Rahmen der Kampagne gegen Naziläden stattfinden.

Aber ihre Dominanz auf dem Land nützt den KameradInnen am 3. Oktober in Leipzig wenig. Obwohl es aussichtslos scheint, die Straßen frei zu bekommen, lehnt Worch jede Streckenänderung ab und besteht darauf, bis 20 Uhr zu bleiben. Als er am Abend die Abreise der Neonazis in Polizeibussen ablehnt und zum Bahnhof laufen will, wird die Polizei sichtlich nervöser. Die Antifas rufen: »Es ist dunkel!« und warten auf ihre Gelegenheit. Unter dem Schutz zweier Wasserwerfer und mit dreifachen Polizeiketten sowie Polizeibussen zwischen sich und den Antifas laufen Worch und sein Anhang los. Große Mengen Steine und Flaschen werden geworfen. Im Bahnhofsgebäude, in das die Polizei keine Linken mehr hineinlässt, rufen die Nazis noch einmal Parolen, dann verschwinden sie in ihre Züge oder durch die hinteren Ausgänge.

Christian Worch reagiert auf den Reinfall mit der Ankündigung, im kommenden Jahr am 1. Mai erneut nach Connewitz marschieren zu wollen. Im Forum des »Freien Widerstands« wird gefordert, die Antifademo am 27. November in Pirna anzugreifen. Aber nach der Landtagswahl, der Attacke in Chemnitz und dem Erfolg in Leipzig scheinen auch viele Antifas wieder aktiv geworden zu sein und rufen zur Demonstration in Pirna auf. Die Kampagne »Schöner leben ohne Naziläden« sucht dabei nicht unbedingt den Straßenkampf mit den Nazis, sondern will ihnen mit vielfältigen Mitteln den öffentlichen Raum streitig machen. In Kooperation mit Projekten wie »Good night white pride« und »Stop Thor Steinar« soll das weithin ungestörte Treiben in den und um die Naziläden be- und verhindert werden, um die Übernahme subkultureller Milieus durch Nazis zu beenden.

www.stoppnazilaeden.tk