Nein zur Zwangsjacke

Zoff in Frankreich um die EU von bernhard schmid

Einige unter Frankreichs Sozialdemokraten sind sich derzeit feindlich gesonnen. Die Parti Socialiste (PS) ist in ihrer Haltung zum EU-Verfassungsentwurf, über dessen Annahme oder Ablehnung die französischen Wähler im zweiten Halbjahr 2005 abstimmen sollen, gründlich zerstritten. Nun sollen die Mitglieder Anfang Dezember per Urabstimmung entscheiden, welche Position ihre Partei einnehmen soll.

Für eine Überraschung sorgte Mitte September Laurent Fabius. Der derzeitige Vizechef des PS und ehemalige Premier- und Wirtschaftsminister sprach sich gegen die EU-Verfassungsvorlage aus. Nun gibt es für die politische Linke ja hinreichend zwingende Gründe, diese abzulehnen. So wird etwa der »freie und unverzerrte Wettbewerb« verbindlich festgeschrieben. Das bedeutet, dass künftig staatliche Intervention in jene Bereiche verboten ist, die EU-weit für die private Konkurrenz geöffnet wurden, wie etwa das Gesundheitswesen. Die Vorlage enthält zudem die Verpflichtung zum Ausbau der Rüstungsindustrie und schreibt eine »enge Kooperation« mit der Nato vor. Nur logisch, dass die KP und die trotzkistisch-undogmatische LCR Nein zu dieser »neoliberalen und militaristischen Zwangsjacke« sagen.

Dennoch hätte man nicht erwartet, dass gerade Fabius den Verfassungsentwurf ablehnt. Bisher gab er sich als wirtschaftsliberaler Technokrat. Im August 2003 schlug er vor, das Rüstungsbudget aus der Berechnung der Staatsausgaben auszuklammern, um dem EU-Stabilitätspakt und der Militärpolitik Genüge zu tun. Aber nun steht Fabius bereit, um 2007 Präsidentschaftskandidat des PS zu werden. Die ehemalige Ministerriege der Partei und ihre »Staatsmänner und -frauen« sagen im Gegensatz zur Parteilinken fast geschlossen Ja zur EU-Verfassung, flankiert von einem Teil der Grünen mit ihrer geradezu naiven EU-Begeisterung. Daher bietet sich für Fabius die traumhafte Gelegenheit, sich zu profilieren und seinen Ruf als zynischer Elitenvertreter loszuwerden.

Auch die konservativ-liberale Rechte, die nahezu geschlossen den Verfassungsentwurf unterstützt, hat ihre Probleme. Nationalkonservative EU-Skeptiker und die extreme Rechte scheuen sich nicht, die Diskussion um einen künftigen Beitritt der Türkei zu nutzen, um Ressentiments zu schüren. Fast der gesamte rechte Wahlkampf zu den Europawahlen im Juni war, von der bürgerlichen Präsidentenpartei UMP bis zu den Rechtsextremen von Jean-Marie Le Pen, auf die Ablehnung des türkischen Beitritts konzentriert. Dagegen fordern die Grünen die Aufnahme des Landes »so schnell wie möglich«. Auch die PS spricht sich – allerdings eher zurückhaltend – für einen Beitritt aus. Die LCR befürwortet ihn ebenfalls, allerdings unter der Bedingung, dass Ankara den Genozid an den Armeniern nicht länger leugnet.

Die konservative Regierungspartei UMP befand sich in einer delikaten Situation, da »ihr« Präsident Jacques Chirac offiziell für die Aufnahme der Türkei eintrat. Vergangene Woche aber einigte sich die Partei mit ihm auf die Durchführung eines Volksentscheids, der nach dem definitiven Abschluss der Verhandlungen mit der Türkei und vor ihrer Aufnahme in die EU stattfinden soll. Das ist blanke Demagogie. Doch dieses Manöver soll die ressentimentgeladene Frage nach dem türkischen Beitritt aus der Abstimmung um die EU-Verfassung heraushalten und damit die Rechte für ein Ja zur EU-Verfassung mobilisieren.