Sozial fürs Kapital

Vom Sozialen Wohnungsbau in Berlin profitieren vor allem private Investoren. Er ist auch ein Grund für die hohe Verschuldung der Stadt. von christoph villinger

Wenn ein Prestigeobjekt gebaut wird, kann man davon ausgehen, dass der Preis letztlich wesentlich höher ist als veranschlagt. Beim Sozialen Wohnungsbau in Berlin ist das anders. Da kommt es vor, dass staatliche Fördergelder in Höhe von 34 Millionen Euro für einen Wohnkomplex genehmigt werden, der nur die Hälfte des Geldes kostet. Statt der beantragten Holzfenster tun es doch auch Fenster aus Aluminium. Und die gesparten Millionen können für das Richtfest und andere Feierlichkeiten der Investoren ausgegeben werden.

Dieses Beispiel aus dem Stadtteil Buckow der neunziger Jahre erwähnte vor wenigen Tagen der Berliner Journalist Mathew D. Rose bei der Präsentation seines neuen Buches. Unter dem Titel »Warten auf die Sintflut« berichtet er darin über »Cliquenwirtschaft, Selbstbedienung und die wuchernden Schulden der öffentlichen Hand – unter besonderer Berücksichtigung unserer Hauptstadt«.

Bekannt wurde Rose vor über einem Jahr mit dem Buch »Eine ehrenwerte Gesellschaft. Die Bankgesellschaft Berlin«, dessen fünfte Auflage inzwischen auf den Ladentischen liegt. Schon in diesem Buch machte Rose seinem Ärger darüber Luft, dass stets die Bankgesellschaft als alleinige Verursacherin der Schulden des Landes Berlin herhalten müsse. Die werden bis zum Jahr 2007 wohl auf etwa 67 Milliarden Euro ansteigen, »aber die Bankgesellschaft ist dafür nur zu 3,4 Prozent verantwortlich«, sagt Rose.

Viel bedeutender sei in diesem Zusammenhang der so genannte Soziale Wohnungsbau, über den allein von 1991 bis 1997 zehn Milliarden Euro in die Taschen der Berliner Bauwirtschaft umgeleitet worden seien. Rose zufolge warten auf das Land Berlin weitere 16 Milliarden Euro Verbindlichkeiten, »die im offiziell bekannten Defizit gar nicht sichtbar sind«. Durchschnittlich kostete in den neunziger Jahren die Subvention einer Sozialwohnung 345 000 Euro über die Gesamtlaufzeit – eine Summe, für die man den Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern auch ein kleines Eigenheim hätte schenken können.

Nicht ohne Grund bezeichnet selbst der Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) dieses System als »kollektiven Wahnsinn«. Stark vereinfacht dargestellt und in den Worten des Stadtentwicklungsexperten Sergej Goryanoff geht es beim Sozialen Wohnungsbau um »eine Kombination aus Steuerabschreibungsanlagen und öffentlicher Förderung«. Von Anfang der siebziger Jahre bis weit in die neunziger Jahre hinein suchte das Land Berlin westdeutsche Investoren für seine Sozialwohnungen. Durch Steuerabschreibungen von über 200 Prozent hatten sie das angelegte Geld spätestens nach fünf Jahren wieder drin. Darüber hinaus bezahlte das Land Berlin den meist privaten Bauherren die Differenz zwischen der politisch gewollten niedrigen Sozialmiete und einer realen Kostenmiete. Im Laufe von 15 Jahren sollten sich die beiden Mietpreise aneinander angleichen; tatsächlich waren es aber meist 30 Jahre.

Da sich die Förderungen und die Honorare der Architekten nach den Baukosten richteten, konnte kein Bau teuer genug sein. So kostet zum Beispiel der Quadratmeter im Neuen Kreuzberger Zentrum (NKZ) am Kottbusser Tor mit seinen 295 Sozialwohnungen eigentlich um die 14 Euro, die Mieterinnen und Mieter bezahlen aber nur um die sieben Euro. Weil zudem fast 80 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner Sozialhilfe oder Wohngeld beziehen, wird hier vor allem Geld aus dem Sozialetat Berlins an die privaten Besitzer weitergeleitet. Das Land bezahlt somit fast alles. Wegen der Schulden des Landes versucht der rot-rote Senat seit etwa einem Jahr, aus diesem System auszusteigen, und verweigert den Bauherren zumindest die Förderung für die zweiten 15 Jahre, die so genannte Zweite Anschlussförderung.

Für das NKZ hatte der beim Senator für Stadtentwicklung angesiedelte Bewilligungsausschuss aber sogar eine »dritte Anschlussförderung« beschlossen. Nach 30 Jahren öffentlicher Förderung in Höhe von insgesamt fast 52 Millionen Euro – bei Baukosten von etwa 48 Millionen Euro – sollte die private Abschreibungsgesellschaft ab Dezember 2004 beginnen, ein Darlehen über knapp 25 Millionen Euro zurückzuzahlen. Doch Peter Ackermann, alleiniger Geschäftsführer aller drei zum Firmenkomplex des NKZ gehörenden Gesellschaften, verwies auf die in diesem Fall drohende Insolvenz. So bekam er, der sein Gehalt als Geschäftsführer nicht zu knapp ansetzt, einen Zahlungsaufschub bis 2013. Für weitere zehn Jahre wurde der Kredit zins- und tilgungsfrei gestellt. Das kostet das Land Berlin mindestens eine Million Euro pro Jahr.

Wer die Entscheidung für den Zahlungsaufschub im April 2003 mit welchen Argumenten unterstützt hat, ist beim Senator für Stadtentwicklung nicht zu erfahren. Allein dass sich im Bewilligungsausschuss »stimmberechtigte Mitglieder« aus dem eigenen Haus, den Senatsverwaltungen für Finanzen sowie für Wirtschaft, Arbeit und Frauen mit Vertretern der Investitionsbank Berlin (IBB) treffen, wollte man bestätigen.

Die Mieterinnen und Mieter des NKZ, die seit über einem Jahr gegen dessen privaten Besitzer kämpfen, weil er des Öfteren dringend notwendige Instandhaltungsmaßnahmen unterlässt, wollten die Entscheidung jedoch nicht hinnehmen. Nach vielfältigen öffentlichen Aktionen des Mieterbeirats und einem entsprechenden Medienecho sah sich im Januar der Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses gezwungen, einen Prüfbericht des Landesrechnungshofs zum NKZ anzufordern. Dieser der Jungle World vorliegende vertrauliche Bericht kommt zu einem klaren Ergebnis: »Der Landesrechnungshof hält es für nicht vertretbar, für dieses Objekt noch weitere öffentliche Mittel bereitzustellen.«

Nach der Sitzung des Hauptausschusses am Mittwoch vergangener Woche gab Carl Wechselberg, der Haushaltsexperte der PDS, den Beschluss bekannt: »Keine weitere öffentliche Förderung für das NKZ.« Auch wurden der Senat und die IBB angewiesen, »sämtliche Formen der öffentlichen Förderung«, also auch die Unterstützung durch das Quartiersmanagement, zu unterlassen.

Zu spät dürfte die Entscheidung für das Projekt »Kaufhaus Kreuzberg« kommen, das sich im vergangenen Jahr in den riesigen leer stehenden Gewerbeflächen des NKZ einmieten wollte (Jungle World, 14/03). Sogar für viele Lokalpolitiker war nicht nachvollziehbar, weshalb das Projekt die Räume nicht bekam. Mittlerweile hätten seine Initiatoren wohl größere Chancen auf einen Mietvertrag. Doch die betreiben seit Anfang September in Schöneberg die »Raststätte Gnadenbrot«.