Ode an das Volk

Der Protest gegen die Arbeitsmarktreformen der Bundesregierung verstärkt sich. In Ostdeutschland nehmen auch Neonazis an Montagsdemonstrationen teil. von jesko bender

Nicht überall waren die Proteste gegen Hartz IV in der vorigen Woche so skurril wie in Leipzig. »In Sachsen muss die Wirtschaft wachsen«, forderte dort die Bürgerrechtsbewegung Solidarität, die von Gegnern als antisemitisch und rechtsextrem bezeichnet wird. Etwa 100 DemonstrantInnen waren zu sehen und auch zu hören. Sie sangen Schillers »Ode an die Freude« und zogen zur Nikolaikirche. Auf ihren selbstgemalten Pappschildern stand: »Diesmal geht die Wende von Sachsen aus.«

Vornehmlich im Osten Deutschlands formiert sich derzeit eine Protestbewegung, die sich an den Montagsdemonstrationen von 1989 orientiert. »Wir sind das Volk«, schallte es am 2. August durch die Straßen Magdeburgs. Viele der 6 000 TeilnehmerInnen stimmten ein, als die Parole von rund 80 Neonazis an der Spitze der Demo angestimmt wurde. In einer Erklärung der Magdeburger Freien ArbeiterInnen Union (FAU) heißt es, dass »die Masse der Demonstrierenden (…) sich nicht darum scherte, wer da mit ihnen demonstrierte«. Wie schon bei den Demonstrationen gegen den Irakkrieg im vergangenen Jahr gibt es offenbar kaum Berührungsängste mit Rechtsextremen.

Im sachsen-anhaltinischen Köthen organisierte ein bekennender Sympathisant der Republikaner am 4. August eine Demonstration. Etwa 400 Menschen folgten dem Aufruf und reihten sich hinter dem Fronttransparent ein, auf dem ein Zitat von Kaiser Wilhelm II. prangte: »Ich kenne keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche!« Auf einem anderen Transparent war zu lesen: »Hartz IV – ein Verbrechen gegen das Volk.« Der Veranstalter habe inzwischen mit dem dortigen Kreisvorsitzenden der Republikaner, Mirko von Theodor, eine »Bürgerinitiative gegen die staatliche Abzocke« gegründet, berichtet Spiegel-online.

Der DGB in Sachsen-Anhalt hält die Teilnahme von Neonazis an Demonstrationen gegen den Sozialabbau zwar für problematisch. Doch mit seiner Einschätzung, »extreme Gruppen« versuchten, sich an die Proteste »dranzuhängen«, macht es sich Udo Gebhardt, der Vorsitzende des DGB in Sachsen-Anhalt, zu leicht. Denn Rechte waren teils an der Organisation der gegenwärtigen Proteste beteiligt oder haben sie sogar initiiert.

So auch in Magdeburg. Andreas Ehrholdt, der Initiator der Magdeburger Demonstrationen, will, dass »die Regierenden wissen, dass es ein Volk gibt«. Es sei an der Zeit, »dass wir uns wieder auf unser Selbstbewusstsein als Volk besinnen«, zitiert ihn die Magdeburger Volksstimme. Ehrholdt trat 1998 zur Landtagswahl in Sachsen-Anhalt für die Mittelstandspartei (DMP) an. Die Partei machte im Jahr 2002 von sich reden, als sie sich zu Gunsten der rechten Schill-Partei auflöste. Auch Ehrholdts Vorschlag, am Tag der Deutschen Einheit eine Großdemonstration in Berlin durchzuführen, stellt einen nationalistischen Bezug her.

Die rechtsextremen Umtriebe auf den Demonstrationen veranlassten den Verein »Miteinander – Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt« dazu, die VeranstalterInnen zukünftiger Demonstrationen aufzufordern, »dafür Sorge zu tragen, dass keine Neonazis an den Montagsdemos teilnehmen können«. Wer Neonazis ungehindert mitlaufen lasse, »grenzt alle diejenigen bewusst aus, die nicht ins rechte Weltbild passen«.

Die Strategie des DGB aber scheint anders auszusehen. »Wir hängen uns an die Spitze der Proteste«, sagte Gebhardt dem Hamburger Abendblatt. Man darf gespannt sein, ob die Neonazis in Magdeburg den Gewerkschaftern an der Demospitze Platz machen werden. Und wie sich die für den 16. August in Hamburg und möglicherweise auch in anderen westdeutschen Städten geplanten Montagsdemonstrationen darstellen werden.