Der arabische Pfeiler

Die USA und die EU werben um die Gunst des algerischen Präsidenten Bouteflika. Dass er sich durch eine manipulierte Wahl im Amt bestätigen ließ, stört sie nicht. von bernhard schmid, paris

Was muss man tun, um in den Augen derjenigen, die sich die Durchsetzung der Demokratie im Großraum von Marokko bis Pakistan auf ihre Fahnen geschrieben haben, als »geprüfter Demokrat« zu gelten? Der algerische Präsident Abdelaziz Bouteflika macht es vor.

Man lasse sich zunächst mit einem fast realsozialistischen Wahlergebnis von angeblich 85 Prozent der Stimmen als Präsident bestätigen. Dann hat man die Glückwunschtelegramme aus Paris und Washington einzusammeln. Schließlich muss man dem Greater Middle East Plan genannten Vorhaben, das nach offiziellen Angaben die Demokratisierung und Liberalisierung in den betroffenen Ländern vorantreiben soll, demonstrativ zustimmen. Und schon ist man der Musterschüler der Region.

Das Greater Middle East-Projekt wurde von der US-Regierung zu Jahresanfang vorgelegt, es war ein Thema bei der Nato-Sicherheitstagung im Februar dieses Jahres in München. Offiziell diskutiert werden soll der Plan jetzt auf dem nächsten G 8-Gipfeltreffen. Im Kern besteht das Vorhaben darin, durch eine von außen kommende Initiative die politische Landkarte der Großregion umzuwandeln. Dabei sind institutionelle Reformen, wirtschaftspolitische Richtlinien, vor allem eine Verstärkung marktwirtschaftlicher Orientierungen, und sicherheitspolitische Vorgaben auf das Engste miteinander verknüpft. Insbesondere soll auch die Nato eine wesentliche Rolle bei der Absicherung des Vorhabens und bei der »Stabilisierung« des geographischen Großraums spielen.

Das Regime Algeriens passt sich in dieses Konzept hervorragend ein. Neben dem Emir des Golfstaats Katar war Bouteflika der einzige Staatschef, der explizit den Zielen des Plans zustimmte. Zugleich betreibt Algerien eine Annäherung an den nordatlantischen Militärpakt. Im Juni wird Algerien zum ersten Mal an der Nato-Konferenz, die dann in der Türkei stattfindet, teilnehmen. Der Wunschtraum der algerischen Armee bestehe darin, zum »arabischen Pfeiler der Nato« zu werden, urteilte das französische Wochenmagazin L’Express Anfang April.

Anlässlich einer Konferenz im Haus der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung in Algier, die am 13. April stattfand und von der dortigen US-Botschaft und der Zeitung El-Khabar mitorganisiert worden war, äußerte sich Walter Russel Mead, ein US-Experte vom Council of Foreign Relations, zu den Auswirkungen der angestrebten Veränderungen auf Algerien. Sogleich wischte Mead die Idee vom Tisch, es solle ein »demokratisches Modell« in »jedem Land« der Region durchgesetzt werden. Vielmehr gehe es um eine Unterstützung für »lokale politische Reformen« jener, die »ihre eigenen Modelle und ihre eigenen Kalender« ausarbeiteten. Diese Linie wird gegenüber Libyen bereits praktiziert. Da Staatschef Muammar al-Gaddafi bereit ist, auf eine antiwestliche Politik zu verzichten, darf er weiter sein Grünes Buch zitieren und bei politischen Reformen seinem eigenen Zeitplan folgen.

Nicht zuletzt geht es aber auch um das wirtschaftspolitische Modell. So betonte Russel Mead die Bedeutung regionaler Freihandelszonen und bezeichnete den Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO als wichtiges Ziel. Algerien steht derzeit in der siebten Runde der Beitrittsverhandlungen.

Die EU und die USA sind sich einig über die Einbindung Algeriens in das Freihandelsregime und die westliche Militärpolitik. Gleichzeitig konkurrieren sie um die besten Plätze bei der Erschließung der algerischen Wirtschaft und bemühen sich deshalb um die Gunst Bouteflikas. Der Präsident wäre am 8. April wohl auch ohne Wahlmanipulationen in seinem Amt bestätigt worden (Jungle World, 16/04), doch ein knapper Sieg war ihm nicht genug. Vor allem um potenzielle Kritiker einzuschüchtern, steigerte er sein Ergebnis noch in der Wahlnacht auf rund 70 Prozent, einen Tag später war von 83,5 Prozent die Rede, und im amtlichen Endergebnis wurden daraus 85 Prozent.

Oppositionelle Kandidaten und Zeitungen sprechen von Wahlbetrug. Frankreichs Präsident Jacques Chirac dagegen folgte seiner eigenen Logik, als er das Wahlergebnis rechtfertigte: »Bei knapp über 50 Prozent hätte das Ergebnis als umstritten gegolten, aber so«, bei 85 Prozent, »gibt es keinen Zweifel.«

Die US-Regierung beeilte sich, den Wahlen einen »freien und fairen« Charakter zu bescheinigen. Um im erbitterten Wettkampf um Einfluss in der ehemaligen französischen Kolonie, den sich Paris und Washington liefern, nicht zu unterliegen, versuchte Chirac diese Haltung zu übertrumpfen. Spontan setzte er eine im Kalender der Staatsbesuche nicht vorgesehene Reise nach Algier für den 15. April an. Noch bevor das amtliche Endergebnis verkündet war, verbrachte er drei Stunden an der Seite Bouteflikas.

Nunmehr ist die Rede vom Abschluss eines symbolischen Freundschaftsvertrages zwischen Paris und Algier. Bisher haben die Franzosen im Ringen um Einfluss vor allem auf der politischen, kulturellen und symbolischen Ebene gepunktet. Im Oktober 2002 fuhr Bouteflika als erster Präsident des unabhängigen Algerien zur Konferenz der frankophonen Staaten, nachdem bisherige Machthaber in Algerien sich eher bemühten, die Sprache der früheren Kolonialmacht zu verdrängen.

Dagegen fallen die »harten« wirtschaftspolitischen Entscheidungen weit eher zugunsten der US-Amerikaner aus, deren Konzerne bereits jetzt stark im algerischen Öl- und Gassektor präsent sind. Und seit 2002 liegt ein Gesetzesprojekt für die Privatisierung des vor drei Jahrzehnten nationalisierten algerischen Erdölsektors in der Schublade, das wegen massiver Proteste und Streikdrohungen mehrfach wieder unter Verschluss genommen wurde. Wenn die Regierung von Premierminister Ahmed Ouyahia das Projekt demnächst reaktivieren sollte, sitzen die US-Konzerne auf den besten Startplätzen.

Diese Zukunftsperspektiven sind ein Grund dafür, warum die US-Politik sich dem Regime in Algier angenähert hat. Vor knapp einem Jahrzehnt hatte man in Washington noch auf einen Sieg der Islamisten im algerischen Bürgerkrieg gesetzt, von dem man sich unter anderem eine definitive Verdrängung des französischen Einflusses verprach. Noch 1997 ließ sich die Rand Corporation, ein durch die Rüstungsindustrie aufgebauter US-amerikanischer Think Tank, in einem Dokument unter dem Titel »Algeria, The next fundamentalist state?« sehr offen über die Vorzüge eines angeblich absehbaren islamistischen Regimes in Algerien aus. Man hoffte auf gute Beziehungen, da die algerischen Islamisten mit Saudi-Arabien, dem geostrategischen Verbündeten der USA, liiert waren.

Doch diese Ära ist definitiv vorbei, spätestens seitdem die Niederlage der algerischen Islamisten gegenüber dem Regime, aber vor allem auch gegenüber der Bevölkerung, die sich ihren ideologischen Diktaten nicht beugen wollte, feststeht. In den neunziger Jahren bestanden starke Restriktionen in der militärischen Zusammenarbeit, seit 2002 gibt die US-Regierung Algerien Militärhilfe. Und nach einem Bericht der World Tribune, der fünf Tage nach der Wiederwahl Bouteflikas erschien, soll sie neben Waffenlieferungen künftig auch die Ausbildung algerischer Offiziere umfassen.