Unter Aufsicht

Haiti: Ein Präsident von Washingtons Gnaden von hans-ulrich dillmann

Eine »nationale Versöhnung« hat Gérard Letortue, der neue haitianische Ministerpräsident, der Karibikrepublik versprochen. Davon ist bisher nichts zu spüren. Sein Kabinett ist eine Ansammlung von Technokraten, die zwei Vorteile für sich verbuchen können. Alle stehen loyal zu Letortue und kennen sich vor allem gut im Ausland aus. Außerdem haftet ihnen der Geruch der alten Regimes an, die vor dem gestürzten Staatspräsidenten Jean-Bertrand Aristide in Haiti das Sagen hatten.

Das Ministerium für Inneres und Nationale Sicherheit wird von dem ehemaligen General Hérard Abraham übernommen. Der militärische Rebellenchef Guy Philippe dürfte gejubelt haben, fordern die Anhänger seiner »Befreiungsfront« doch bereits seit Tagen, dem Ex-Militär einen Posten zu geben. Er ist nach ihrem Geschmack der richtige Mann für ein künftiges Streitkräfteministerium. So gibt es auch nur wenige, die hinter der Ernennung Abrahams nicht einen ersten Schritt zur Wiedereinführung einer Armee im Armenhaus Lateinamerikas sehen. Es verwundert also auch nicht, dass der abgehalfterte Ex-Offizier im Radio Metropole bereits die Wiedereinführung der alten Forces Armées d’Haiti fordert.

So wie das internationale Truppenkontingent – derzeit rund 2 600 US-Amerikaner, Franzosen, Kanadier und Chilenen – militärisch gut mit der bewaffneten Ordnungsmacht aus ehemaligen Gefolgsleuten Aristides, Mitgliedern der ehemaligen Todesschwadronen und halb kriminellen Banden leben kann, so wenig scheint der aus dem Ausland eingeflogene Regierungschef darum bemüht, einen eigenständigen Kurs im ärmsten Land des amerikanischen Kontinents einzuschlagen.

Mit dem karibischen Staatenbündnis hat sich der »Übergangspräsident« bereits wenige Tage nach seinem Amtsantritt überworfen. Den zarten Fragen der in der Caricom zusammengeschlossenen Karibikstaaten nach den Umständen von Aristides Demission und dessen Einladung nach Jamaika durch Premierminister Percival James Patterson haben zu schweren diplomatischen Verstimmungen in Port-au-Prince geführt. Der haitianische Botschafter wurde aus Kingston abberufen und wird wohl auch nicht so schnell wieder auf die nur 200 Kilometer von Haiti entfernte Karibikinsel zurückkehren.

Es wird immer deutlicher, dass Letortue nichts anderes als eine Verlegenheitslösung von fremden Gnaden ist. Kein anderer Kandidat möchte sich als Regierungschef unter ausländischer Aufsicht verschleißen. Die Opposition um die »Demokratische Plattform« – dazu gehören die »Demokratische Konvergenz« und die »Gruppe der 184« – ist seltsam leise geworden. Im Ausland und von internationalen Organisationen wurden die gemäßigten Ex-Duvalieristen und Intellektuellen zwar hofiert. Im Land selbst haben sie es nicht geschafft, eine wirkliche Basis aufzubauen. Oppositionsmitglieder versuchten, Menschen, die nicht wussten, wie sie am Mittag ihre karge Mahlzeit finanzieren sollten, klar zu machen, dass die Redefreiheit und demokratische Rechte in Gefahr seien. Sie versuchten, Menschen zu belehren, mit denen sie nur in den seltensten Fällen jemals zusammengelebt haben oder mit denen sie gemeinsame Lebenserfahrungen verbinden.

In dem 69 Jahre alten UN-Diplomaten Gérard Letortue hat dieses Politikverständnis eine würdige Nachfolge gefunden. Zudem fordert er von Frankreich nicht 21 Milliarden Dollar Entschädigung für koloniale Ausbeutung und von den USA nicht die Beendigung der Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes.