Fahrt schwarz!

Aktion im Untergrund

»Einen wunderschönen guten Morgen.« Die Fahrgäste in der U-Bahnlinie 6 blicken erstaunt den jungen Mann an, der ihnen nicht wie sonst, wenn jemand die Stimme in der Bahn erhebt, ein Obdachlosenmagazin verkaufen möchte. »Heute wollen wir mit Ihnen über die Abschaffung des Sozialtickets diskutieren«, sagt Yann Döhner, während er durch den Waggon stapft und Flyer verteilt. An einem gelben Sticker an der Brust ist der 27jährige Student als »Kontrolleur der Kontrolleure« erkennbar.

Seit dem 1. Januar dieses Jahres gibt es wegen einer Entscheidung des rot-roten Senats kein Sozialticket mehr, das bisher für rund 20 Euro zu haben war. Jetzt zahlen SozialhilfeempfängerInnen, Erwerbslose und Obdachlose 58,50 Euro für eine Monatskarte. Mit der nächsten Fahrpreiserhöhungen zum 1. April gar 64 Euro. »Wieder einmal wird den Ärmsten der Armen etwas genommen«, schließt der 27jährige Student seinen Vortrag. Er appelliert an die Versammelten, den Protest zu unterstützen, bevor er den nächsten Wagen betritt und die Prozedur wiederholt.

Über 250 Personen waren am vergangenen Samstag dem Aufruf des Trägerkreises »Recht auf Mobilität – Fahrt schwarz!« gefolgt und hatten sich in Kleingruppen über das gesamte U- und S-Bahnnetz Berlins verteilt, um gegen die Fahrpreiserhöhungen, die Abschaffung des Sozialtickets und die rigiden Kontrollen in den öffentlichen Verkehrsmitteln zu demonstrieren.

Der Trägerkreis, ein Bündnis von Erwerbs- und Obdachlosen, streikenden StudentInnen und sozialpolitisch engagierten Initiativen, hatte für diesen Samstag alle Menschen mit einem Monatseinkommen von maximal 700 Euro dazu aufgefordert, von zehn bis 18 Uhr ohne Fahrschein zu fahren. Im Fall der Entdeckung durch Kontrolleure garantierte der Trägerkreis die Übernahme des Bußgeldes. Über 50 mit Mobiltelefonen vernetzte Kleingruppen waren unterwegs, begleiteten erkannte Kontrolleure und behinderten mit kreativen Aktionen deren Arbeit.

Vor der Aktion hatten die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) angekündigt, die Kontrollen zu verschärfen. Tatsächlich waren aber nicht mehr Kontrolleure unterwegs als sonst. Oft wurden sie von einem Kordon von AktivistInnen begleitet, die mit großen Schildern auf die Kontrolleure aufmerksam machten. Der Trägerkreis bezeichnete die Aktion als »ermutigenden und wiederholungsträchtigen Erfolg«. »Hunderte von Fahrgästen« hätten sich als »bewusste Schwarzfahrer« geoutet, in manchen Waggons seien die Aktivisten mit Applaus begrüßt worden.

Juristisch könnten die Proteste allerdings noch ein Nachspiel haben. Die Staatsanwaltschaft Berlin hat Ermittlungen gegen die InitiatorInnen wegen des angeblichen Aufrufes zu Straftaten eingeleitet.

martin kröger