Probleme ohne Taylor

Mit einem Scharmützel zwischen Rebellen und Regierungsanhängern wurde die UN-Blauhelmmission in Liberia begrüßt. von alex veit

Gleich am ersten Tag der UN-Blauhelmmission in Liberia am Mittwoch vergangener Woche kam es in der Hauptstadt Monrovia zu einem Gefecht zwischen Rebellen und der Regierungsarmee. »In meinem Teil der Welt gibt es ein Sprichwort: Wenn eine Suppe kalt ist, kann auch eine Person mit einer wunden Zunge sie essen«, hatte Nigerias Präsident Olusegun Obasanjo noch zwei Tage zuvor auf der Web-Seite Allafrica.com erklärt. »Die Suppe ist jetzt halbwegs kalt und ruhig, also sind die UN willkommen, das Peacekeeping in Liberia zu beginnen.«

Doch fast gleichzeitig mit der Übergabe des Kommandos über die Soldaten der von Nigeria geführten westafrikanischen Eingreiftruppe Ecomil an die UN-Mission in Liberia (Unmil) starben mindestens zwei Rebellen und ein Soldat der liberianischen Armee bei einem Scharmützel. Anlass war ein geplantes Treffen zwischen dem Interimspräsidenten Moses Blah und dem Vorsitzenden der größten Rebellengruppe »Vereinigte Liberianer für Versöhnung und Demokratie« (Lurd), Sekou Conneh. Conneh, der erst zwei Wochen zuvor aus dem Exil in Guinea zurückgekehrt war, wurde in Monrovia auf dem Weg zu Blah in seinem Autokonvoi von einer regierungstreuen Menge aufgehalten. Als seine Begleiter einen Weg durch die Menge bahnen wollten, kam es zu einem Schusswechsel mit Regierungssoldaten. Das anschließende Chaos nutzten sowohl Lurd-Rebellen als auch Regierungssoldaten zu Plünderungen in einigen Stadtvierteln. Erst am nächsten Tag konnten UN-Truppen die fragile Ruhe wieder herstellen.

Ungeklärt blieb, wieso Connehs Begleiter entgegen den Vereinbarungen und trotz der Kontrollen durch UN-Soldaten Waffen bei sich hatten. Blah warf der UN vor, ihn der Lurd beinahe schutzlos ausgeliefert zu haben. »Wir sehen die Verantwortung bei den Peacekeepern, denn sie haben meine Sicherheitsleute entwaffnet. Sie wussten, dass die Lurd-Kräfte gut bewaffnet zu meinem Haus kommen würden.«

Diese Anschuldigungen wies der zivile Leiter der UNMIL, Jaques Klein, gegenüber der BBC zurück: »Ich denke, Präsident Blah weiß nicht, wovon er redet.« Er fügte hinzu, dass die Peacekeeper es im Gegenteil geschafft hätten, den größeren Teil der bewaffneten Lurd-Leute zurückzuhalten. Ein Sprecher der Lurd wiederum interpretierte den Schusswechsel als einen »Mordanschlag« auf den Vorsitzenden der Rebellen.

Dem frisch ernannten kenianischen militärischen Oberbefehlshaber der Unmil, Daniel Opande, hat der vorübergehende Verlust der Kontrolle noch einmal die Schwierigkeiten bewusst gemacht, vor denen er steht: »Es ist einfach, in dieser Situation Schuldzuweisungen zu machen. In der Praxis ist es nicht einfach, mit all diesen Parteien fertig zu werden und alle Lücken zu schließen.«

Mit geplanten 15 000 Soldaten und 1 100 Polizisten wird die Unmil die weltweit größte »friedenserhaltende« Mission sein. Momentan besteht die Truppe allerdings lediglich aus den 3 500 Soldaten der Eingreiftruppe Ecomil, die am Mittwoch ihre grünen Kampfhelme gegen die blauen UN-Barette tauschten. Erst im Januar soll die volle Truppenstärke erreicht werden. Dementsprechend genügt die Autorität der UN bislang nicht einmal, um alle Außenbezirke der Hauptstadt Monrovia zu sichern. Aus an Guinea grenzenden Gebieten im Norden Liberias flohen in den letzten Wochen etwa 6 000 Menschen, die trotz eines Friedensvertrags neue Gefechte zwischen Lurd-Rebellen und Regierungstruppen befürchteten. In die zweitgrößte Stadt, Buchanan, die von Rebellen der Bewegung für Demokratie in Liberia (Model) kontrolliert wird, durften die Eingreiftruppen bislang noch nicht einmal einrücken. Andere Städte und Gegenden, die von Hilfsorganisationen besucht worden sind, waren Mitte September menschenleer. Gleichzeitig kehrten einige Tausend Flüchtlinge aus Furcht vor der zunehmenden Instabilität im östlichen Nachbarland Cote d’Ivoire von dort nach Liberia zurück.

Offenbar hat es nicht ausgereicht, mit dem erzwungenen Exil von Ex-Präsident Charles Taylor den »Pfeffer aus der Suppe« zu nehmen, wie Nigerias Präsident Obasanjo es ausdrückte. Taylor galt vor allem in den USA als Drahtzieher verschiedener Kriege in Westafrika. Inzwischen ist er in einer Villa von Obasanjos Regierung im nigerianischen Calabar untergebracht. UN-Generalsekretär Kofi Annan beschuldigte Taylor vor zwei Wochen, mit Anführern seiner früheren Armee zu telefonieren und, so der implizite Verdacht, den Krieg mit seinem Mobiltelefon zu steuern. Der zivile Unmil-Chef Klein meinte sogar, Taylor mit einem Mobiltelefon sei eine »Regierung im Exil«. Die nigerianische Regierung ist zwar der Aufforderung eines weiteren UN-Offiziellen nicht nachgekommen, Taylor von seinem Telefon zu trennen, warnte ihn aber indirekt davor, seinen fragilen Status aufs Spiel zu setzen. Sie erinnerte ihn daran, dass sein Asyl nicht die Immunität eines Staatschefs umfasse. Taylors Exil ist umstritten, da er vom Kriegsverbrechertribunal in Sierra Leone wegen seiner Rolle im dortigen Bürgerkrieg gesucht wird.

Die Fixierung der UN auf Charles Taylor, die in dieser Frage von den USA unterstützt werden, lenkt von der schwierigen Frage ab, welche Rolle die Milizenführer von Lurd und Model sowie die Vertreter der gegenwärtigen Regierung, die von Talyors früherem Vizepräsidenten Blah geführt wird, in der neuen Regierung spielen sollen. Der Geschäftsmann Gyude Bryant soll ab Dienstag für zwei Jahre eine neue Übergangsregierung führen, in der die Postenverteilung zum Teil noch ungeklärt und umstritten ist. Das Gefecht am letzten Mittwoch könnte einen Vorgeschmack geben, in welcher Form die Konflikte in dieser Regierung ausgetragen werden.

Die Unmil will zunächst die Kontrolle über das gesamte Land gewinnen, dann sieht sie ihre wichtigste Aufgabe in der Entwaffnung der geschätzten 30 000 Soldaten in diesem mit Unterbrechungen seit 13 Jahren andauernden Bürgerkrieg, von denen die Hälfte minderjährig sein soll. Wahrscheinlich erst nach den geplanten Wahlen in zwei Jahren soll die Mission beendet werden. Doch jenseits der Organisation von Wahlen haben die UN keine kohärente Strategie im Umgang mit den sozialen Konflikten, die den Bürgerkriegen in Liberia und seinen Nachbarländern zugrunde liegen. Die letzten Wahlen in Liberia, die den Bürgerkrieg beenden sollten und die unter anderem vom renommierten Carter-Center als demokratisch eingeschätzt wurden, gewann Charles Taylor 1997 mit drei Vierteln der Stimmen. Zwei Jahre danach schlossen sich seine verschiedenen Bürgerkriegsgegner in der Lurd zusammen und nahmen den Krieg wieder auf.

»Ich kenne kein Land, in dem die Kinder weniger gebildet sind als ihre Eltern, wo eine ganze Generation von Kindern psychologisch traumatisiert und ausgebeutet worden ist«, erklärte der Unmil-Chef Klein vor zwei Wochen im UN-Sicherheitsrat. »Sie wissen nicht mehr, welchen Stämmen oder ethnischen Gruppen sie angehören.« Dass der UN-Offizielle offenbar dieselbe Vorstellung von der gesellschaftlichen Komplexität Liberias hat wie einstmals die kolonialen Administratoren, welche die Afrikaner bevorzugt in »Stämme« aufgeteilt haben, lässt den künftigen Zuschnitt der politischen Parteien, die zu den Wahlen antreten werden, bereits erahnen.