Der Kampf der Inspektoren

Massenvernichtungswaffen wurden im Irak bislang nicht gefunden. Nun sollen europäische Pathologen nach den Opfern der irakischen Diktatur suchen. von martin schwarz, wien

Verdammter Idiot!« Wenig schmeichelnde Analysen wie diese sind noch die freundlichsten Worte, die man im 22. Stockwerk des Wiener UN-Hauptquartiers hört, wenn man dort, in den Büros der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), nach dem ehemaligen Waffeninspektor David Kay fragt.

Der Mann verfügt in der Wiener UN-Zentrale schon seit langer Zeit über keinen guten Ruf. 1992 musste David Kay seinen Dienst bei der UN-Behörde quittieren, nachdem bei deren damaligem Chef Hans Blix Zweifel an seiner Loyalität aufkamen. Es gab ernst zu nehmende Hinweise darauf, dass David Kay während seiner kurzen Zeit als Waffeninspektor im Irak zu Beginn der neunziger Jahre eine gewisse Nähe zu US-amerikanischen Geheimdiensten hatte.

Im September 2002 schließlich verwendeten George W. Bush und Tony Blair während einer Pressekonferenz eine Information Kays, um die Welt von Saddam Husseins unmittelbarer Gefährlichkeit zu überzeugen. Die beiden Staatenlenker sprachen von einem Bericht der IAEA vom Beginn der neunziger Jahre, in dem gemutmaßt würde, der Irak wäre damals innerhalb »eines halben Jahres« in der Lage gewesen, eine Atombombe herzustellen. Doch diesen Bericht der IAEA gab es nicht, David Kay hatte seine persönliche Einschätzung als offizielle Erkenntnis der Behörde verkauft.

Jetzt hat er einen neuen Job: Anfang Juni wurde Kay zum Berater des CIA-Chefs George Tenet bestellt und leitet seitdem die Iraq Survey Group, die nach Saddams Massenvernichtungswaffen sucht. Aber bislang verlief die Suche fast erfolglos. Während Kay im Washingtoner Capitol seinen Zwischenbericht vorstellte, wurde nach jeder der sorgsam gewählten Formulierungen klar, dass Saddam Husseins Waffen entweder niemals existiert haben, sein Regime sie beseitigen ließ, sie besonders gut versteckt oder – eine in Washington immer beliebter werdende These – ins Ausland geschafft wurden.

Im einzelnen sehen David Kays Enthüllungen so aus: »Wir konnten keinerlei Beweise dafür feststellen, dass die irakische Armee darauf vorbereitet war, chemische Waffen gegen die Koalitionstruppen einzusetzen.« Im UN-Sicherheitsrat hatte US-Außenminister Colin Powell am 5. Februar zu Protokoll gegeben: »Quellen haben uns mitgeteilt, dass der irakische Diktator seine Kommandeure bevollmächtigt hat, chemische Waffen einzusetzen.«

Auch an nuklearen Waffen oder Beweisen für ein Atomwaffenprogramm mangelt es: »Neben den Hinweisen auf Saddam Husseins Ambitionen, nukleare Waffen zu erwerben, haben wir keine Beweise entdeckt, nach denen Saddam Hussein nach 1998 signifikante Schritte unternommen hätte, Nuklearwaffen zu bauen.« Insgesamt also waren Kays Bemühungen bislang eine völlige Pleite, wie er selbst eingestand: »Wir können noch nicht sagen, ob Waffen vor dem Krieg existiert haben oder nicht, und unsere einzige Aufgabe ist herauszufinden, wo sie hingekommen sind.«

Aber dafür werden der 63jährige Waffeninspektor und seine 1 400 Helfer wohl noch Zeit brauchen. Sechs bis neun Monate und ein zusätzliches Budget von 600 Millionen US-Dollar sind für die weitere Suche eingeplant. Solche Zahlen lösen bei den Vereinten Nationen in Wien sarkastische Heiterkeit aus. »Bei uns hätten sie das gleiche Ergebnis für einen Bruchteil des Geldes gekriegt und wir hätten nur drei Monate gebraucht«, so ein westlicher UN-Diplomat in Wien zur Jungle World.

Auch innenpolitisch ist die magere Ausbeute für die Bush-Administration eher unangenehm. »Wir haben also 1 400 Leute da draußen, die für viel Geld herumsuchen, bislang eigentlich nichts gefunden haben und nun weitere sechs bis neun Monate haben wollen, in denen sie meiner Meinung nach vermutlich nicht wirklich mehr entdecken werden«, so der demokratische Senator John Rockefeller. Experten vermuten hinter der Fruchtlosigkeit der amerikanischen Waffensucherei auch Fehler in der Methodologie. »Man könnte wesentlich mehr erfahren, wenn man mit den Irakern zusammenarbeitet. Aber jedem mit Guantanamo zu drohen, der etwas wissen könnte, ist ganz sicher der falsche Weg«, so ein deutscher Anwalt, der schon einige Fälle problematischen deutschen Technologietransfers in den Irak bearbeitet hat, zu dieser Zeitung.

Vielleicht führt aber Kays notorische Erfolglosigkeit nun doch wieder dazu, dass die Vereinten Nationen ins Spiel kommen. Um vielleicht ebenso dürftige Ergebnisse in der Vorwahlzeit zu vermeiden, könnten die USA, so mutmaßt man mittlerweile in Washington, wieder die Inspektoren der Uno in den Irak entsenden. Die haben eigentlich noch immer ein gültiges Mandat des UN-Sicherheitsrates, wurden aber bisher von den neuen Autoritäten nicht ins Land gelassen. Wenn man nun auf sie ausweicht, könnte das beträchtlich Kosten sparen und die Ergebnisse würden noch dazu für den Rest der Welt glaubwürdiger sein als die Erkenntnisse einer von der US-Regierung entsandten Kommission.

Die Probleme George W. Bushs dürften durch einen neuen Skandal weiter wachsen, der ebenfalls mit Saddams vermeintlichem Waffenarsenal zu tun hat. Offensichtlich hat ein Mitarbeiter seines Stabes einem Reporter enthüllt, dass die Frau des ehemaligen Botschafters Joseph Wilson für die CIA gearbeitet hatte. Der Diplomat war von US-Vizepräsident Dick Cheney im Februar 2002 in den Niger geschickt worden, um herauszufinden, ob der Irak tatsächlich 500 Tonnen Uran dort kaufen wollte. Wilsons Bericht war eindeutig: »Nach acht Tagen, in denen ich Minzetee getrunken und mit Dutzenden Menschen gesprochen hatte, Regierungsmitgliedern, ehemaligen Mitgliedern und Fachleuten, kam ich zum Schluss, dass dies extrem unwahrscheinlich ist.«

Die US-Regierung blieb trotzdem bei dem Vorwurf und zauberte offensichtlich gefälschte Dokumente zum Beweis hervor. Wilson veröffentlichte seine Bedenken schließlich im Juli in der New York Times. Dass nun seine Frau als CIA-Agentin entlarvt wurde, werten viele als Warnung an den aufsässigen Botschafter. Die Identität einer CIA-Agentin mit »nichtoffizieller Deckung« zu enthüllen, ist ein Verbrechen, dass mit zehn Jahren Haft bestraft werden kann.

Deshalb empfiehlt es sich, dass George W. Bush die leidige Waffengeschichte möglichst rasch in Vergessenheit geraten lässt. Schon in seiner Rede vor der UN-Vollversammlung in New York deutete sich ein Richtungswechsel an. Saddams Verbrechen an der eigenen Bevölkerung stehen nun im Mittelpunkt der Rechtfertigungskampagne zum Irak-Krieg. Und auch da wird nun eine Expertengruppe entsandt. Wie die Jungle World aus Diplomatenkreisen erfuhr, wird die finnische Pathologin Helena Ranta gemeinsam mit finnischen und dänischen Pathologen im Januar nächsten Jahres in den Irak reisen, um dort Massengräber der Opfer Saddam Husseins zu untersuchen.

Eigentlich hätte das Team schon Mitte September in den Irak reisen sollen, der Anschlag auf das UN-Gebäude in Bagdad aber verzögerte die Reise aus Sicherheitsgründen. Ranta hatte schon im Januar 1999 an der Aufklärung des mutmaßlichen Massakers an Kosovo-Albanern in Racak mitgearbeitet und gilt als wesentliche Belastungszeugin gegen den ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic. Dessen irakischer Kollege muss allerdings erst noch gefunden werden.

Von Martin Schwarz ist kürzlich im Droemer-Knaur Verlag das Buch »Saddams blutiges Erbe – Der wirkliche Krieg steht uns noch bevor« erschienen. Mehr unter http://irak.talk.to.