Never Mind the Mullahs

Mit individuellen Überlebensstrategien wird dem Tugendterror des iranischen Regimes begegnet. Teil 2 der Teheran-Reportage von sabine küper

Das inoffizielle Zweitleben vieler Teheraner kann man am besten im Internet verfolgen. Auf Seiten wie Iraniangirl.com, Tehran24.com oder Tehranavenue.com sieht man verbotene Bilder, liest verbotene Gedanken und kann verbotene Musik runterladen.

Alles, was in der Islamischen Republik offiziell unter die Bevölkerung gebracht wird, muss zunächst vom Ministerium für Kultur und Islamische Unterweisung (Erschat) genehmigt werden: Musiker müssen vor Erschat-Mitarbeitern probesingen, Theatergruppen probespielen und Schriftsteller ihre Manuskripte einsenden. Beurteilt das Erschat Form und Inhalt des Gebotenen als opportun, darf es publiziert werden. Kein Wunder, dass viele Künstler eher stolz sind, wenn sie nicht publizieren dürfen.

Entsprechend hat sich eine Gegenöffentlichkeit zur offiziellen gebildet: heimliche Konzerte an nur wenigen bekannten Orten, illegale Kopien von CDs oder Videos oder aber auch das Internet. Tehranavenue.com etwa bietet einen Online-Musikgruppen-Wettbewerb. Gruppen stellen ihre Musik dort vor, und die Besucher der Seite stimmen ab, welche Combo die beste ist. Zu Erfolg kam so etwa die heutige Starband El Qhom, die düsteren Independent-Rock zu Texten des persischen Dichters Hafes spielt. Tehranavenue.com versprach der Band nach ihrem überragenden Sieg im ersten Wettbewerb Vermittlung beim Erschat und ein Konzert. Das Erschat sagte auch zunächst zu; das Konzert sollte in der Kunstakademie stattfinden, der legalisierten Plattform von Konzerten, wo die Zuhörer brav sitzend dem Sound lauschen, weil die Mitarbeiter des Erschat die Veranstaltung überwachen. Doch zwei Tage vor dem Termin verbot das Ministerium das Konzert in typischer Schikane-Manier. Seitdem wirbt die Webseite nicht mehr mit solchen Vermittlungen, sondern beschränkt sich darauf, den Musikern Webseiten zur Veröffentlichung ihrer Musik zu hosten. El Qhom vertreibt ihre CDs im Ausland oder online, auftreten darf die Gruppe im Iran immer noch nicht.

In einer Hochhaussiedlung im Norden Teherans treffen wir die Bandmitglieder von Kahtmayan, einer noch weithin unbekannten Hardrock-Combo. Der Schlagzeuger, ein 21jähriger Physikstudent, empfängt uns im Wohnzimmer der Eltern, die Mutter serviert Tee. Stundenlang begleitet unsere Unterhaltung ein dröhnendes Video von einem Kahtmayan-Konzert in der Kunstakademie.

Die öffentliche Auftrittsmöglichkeit bedeutet aber noch lange nicht, dass man sich seine Heimlichkeiten wegnehmen lässt. Der Schlagzeuger hat in einem Zwei-Quadratmeter-Raum in der Tiefgarage des Hochhauses seinen Übungsraum. Ein Schlagzeug und der Computer nehmen den Hauptteil des Raums ein, der mit Schaumgummi abgedichtet ist. Trotz des Ventilators herrrscht nach wenigen Minuten eine unglaubliche Hitze, in Plastik eingewickelte Wattebäusche schützen den Musiker und uns vor Gehörschäden.

Im Gespräch entschuldigt sich der Schlagzeuger: Die Musik werde wohl deshalb genehmigt, weil die Gruppe keinen Gesang verwende. Sein Traum: ein Sänger oder eine Sängerin, die zündende Idee, wie man persische Klänge in die Rockmusik einbringen könnte, entsprechende Texte und ein ausländischer Produzent. »Heute produzieren wir vor allem Lärm«, meint er traurig. Auf dem Schlagzeug ist der Student ausgezeichnet, es fehlt nur der rechte Ort, die rechte Zeit und die Freiheit, das zu publizieren, was man publizieren möchte. Manchmal probt er acht Stunden am Tag, und man braucht nicht viel Phantasie, um zu verstehen, dass dies nicht nur damit zusammenhängt, dass er sich musikalisch verbessern will.

Sich in seinen Räumen abreagieren, physisch auflehnen oder kämpfen, die Dinge tun, die man öffentlich nicht darf, sind mehr noch Ausdrucksmittel vieler Frauen geworden. Fatemah Arabshahi ist Karate-Kan, sie besitzt den sechsten Dan und sieht Kampfsport als ihre einzige Überlebensstrategie im Iran. Die heute 45jährige fing bereits im Alter von zehn Jahren damit an; damals gab es die Islamische Republik noch nicht. Ihre Mutter raufte sich jahrelang die Haare, weil sie Fatemah, die sich inzwischen Nezahat – das persische Wort für Bewegung – nennt, den Kampfsport erlaubt hatte. Viele Jahre war er Fatemahs Nische, um mit der den Mädchen auferlegten Enge der Tradition fertig zu werden. Da es keine Lehrerinnen gab, arbeitete sie jahrelang mit einem koreanischen »Meister«. Als sie erzählt, wie dieser für sie so wichtige Mensch nach der so genannten Islamischen Revolution ausgewiesen wurde, stehen der couragierten Frau Tränen der Bitterkeit in den Augen. Es folgten Monate im Gefängnis, obwohl sie niemals Mitglied irgendeiner Organisation gewesen war, nur irgendwie links, das reichte schon.

Die Frau ist klein, drahtig, androgyn, wenn sie mit Kopftuch in dem kleinen Auto, made in Iran, durch Teheran fährt, ist sie unauffällig und unscheinbar. Doch sobald der trainierte Körper sich in tiefer Konzentration spannt, Nezahat um die eigene Achse wirbelt, weiß man, dass das vorher Gehörte von Weg, Kraft, Balance, Mitte und Suche kein Geschwätz war. Nirgendwo sonst erleben wir so viel Zivilcourage wie in dem Kreis, den diese jahrelang vom offiziellen Karateverband des Iran ignorierte Frau um sich gesammelt hat. Wir dürfen die Frauen beim Training ohne Kopftuch fotografieren. Auf unsere Frage, ob das nicht riskant sei, antwortet Nezehat: »Wenn ich jetzt anfange, mich und uns zu verstecken, verrate ich alles, woran ich mein Leben lang geglaubt habe.« Wir begleiten sie auf Fahrten zu besorgten Eltern, die nicht wissen, ob es gut ist, dass die Töchter zwar studieren und ins Ausland gehen, gleichzeitig aber durch diesen Kampfsport und die Gruppendynamik ein Selbstbewusstsein erlangen, das ihnen unheimlich ist.

Erstmals wird die verschwommene Grenze zwischen Heimlichem und Offiziellem überschritten. Nezehat erzählt uns stolz, dass der iranische Karateverband sie zur Leiterin in ihrer Disziplin ernannt hat. Sie freut sich maßlos, ehrlich gewesen zu sein. Sie hat nicht verheimlicht, dass sie im Ausland unverschleiert an Wettkämpfen teilnimmt, wie es iranischen Sportlerinnen eigentlich verboten ist; sie hat den Verband damit konfrontiert, dass sie Männer und Frauen gemeinsam unterrichtet. Sie hat fundamentale Tabus gebrochen, und dennoch hängt die Urkunde des Karateverbandes wie die Verheißung einer besseren Zukunft an der Wand ihrer kleinen Wohnung.