Koscher und geschlossen

Nach andauernden Angriffen musste Israel Deli, ein koscheres Lebensmittelgeschäft in Tegel, schließen. von iris noah
Von

Sieben Jahre lang betrieb T., der seinen Namen inzwischen nicht mehr in der Zeitung sehen möchte, in Tegel in der Nähe zweier Einkaufsstraßen und des Tegeler Sees einen florierenden Tante-Emma-Laden. Der Gemeinderabbiner Chaim Rozwaski regte schließlich an, daraus ein koscheres Lebensmittel- und Delikatessengeschäft zu machen. Im Mai 2002 wurde Israel Deli eröffnet.

Viele alte Kunden kamen weiterhin gern schon ab fünf Uhr morgens zum Frühstück. Der Pott Kaffee kostete 80 Cent; nachgeschenkt wurde umsonst. Mittags gab es verschiedene Imbissangebote: Chickennuggets mit Pommes, Couscous-Varianten, Chumus, Techina und den gemischten Israel-Deli-Teller für 3,50 Euro. Auch der Imam der nahe gelegenen Moschee kam öfters vorbei.

»Die Leute sind gern in meinen Imbiss gekommen«, erzählt der 59jährige T. Neben der alten Stammkundschaft, jüdischen Berlinern aus der ganzen Stadt, türkischen Muslimen und Christen entdeckten auch Öko-Bewusste das Geschäft für sich. Es hätte eine Erfolgsstory werden können.

Aber nach einigen Wochen kamen Neonazis aus dem Berliner Umland, oftmals zu erkennen am Autokennzeichen OHV (Oder-Havelkreis), stellten ihre Autos morgens kurz nach fünf Uhr vor dem Laden ab und pöbelten. »Judensau« gehörte dabei noch zu den harmloseren Ausdrücken.

T. war es nicht mehr möglich, das Geschäft so früh zu öffnen, denn er war in der ersten Stunde hauptsächlich im hinteren Teil des Ladens mit den Frühstücksvorbereitungen beschäftigt. Den vorderen Teil aber wollte er nicht mehr unbeaufsichtigt lassen. Nach einigen Wochen blieben die Glatzköpfe weg.

Dann aber begannen arabisch sprechende Personen, die Gäste zu beschimpfen und ins Essen sowie gegen die Fensterscheiben zu spucken. Die kleine Israelflagge, die außen am Geschäft angebracht war, wurde mehrmals abgebrochen. T. konnte drei Gruppen unterscheiden: einige etwa Zwölfjährige und einige junge Erwachsene. Eine dritte Gruppe von fast 40jährigen blieb gelegentlich auf der anderen Straßenseite stehen und machte durch Gesten deutlich, dass T. unerwünscht sei und verschwinden solle.

Häufig waren die Scheiben morgens auch durch Urin verschmutzt. Kinder von der nahe gelegenen Grundschule, die bei T. einkauften und gelegentlich einen Lutscher bekamen, ließen ihn wissen: »Du musst aufpassen. Da sind arabische Leute, die wollen dir was Böses tun.«

In der lokalen Presse wurde davon berichtet, dass die Scheiben des Ladens eingeworfen und die Reifen seines Autos zerstochen worden waren. Da dies während des Berlin-Besuches des israelischen Staatspräsidenten Moshe Kazav geschah, wurde ein Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt hergestellt.

Die Bewohner des Hauses, in dem sich Israel Deli befand, äußerten ihre Angst, es könnten Molotowcocktails geworfen werden, nach und nach blieben auch viele Stammkunden aus. Geschäftsinhaber, die früher seine selbst gebackenen Brötchen gekauft hatten, stellten die Beziehungen ein. Ein Zeitungsladen begann, Kaffee auszuschenken, was eine neue Konkurrenz bedeutete.

Die Polizei war zwar nach mehreren Anzeigen ab und zu präsent, aber meistens zivil, sie stellte daher keine Abschreckung für diejenigen dar, die den Ladenbesitzer schikanierten. Die Ermittlungen wurden bald wieder eingestellt, da die Faktenlage als nicht ausreichend eingeschätzt wurde. Von den belästigten Kunden erstattete niemand Anzeige.

Auch mit Schutzgelderpressung machte T. Erfahrung. Eines Tages betrat ein hochgewachsener Deutscher mit Schlips den Laden und fragte mehrmals, um was für ein Geschäft es sich handle. Der Inhaber antwortete: »Um ein koscheres jüdisches Lebensmittelgeschäft.« Darauf sagte der Fremde: »Ich bin Ihre Lebensversicherung. Wenn Sie Ihr Geschäft weiterführen wollen, dann müssen Sie aber mal was rüberreichen.« Einen konkreten Betrag nannte der Fremde nicht. Diese Besuche wiederholten sich noch zweimal, wobei T. den Besucher aufforderte, sofort das Geschäft zu verlassen.

Mit dem benachbarten Wein- und Spirituosenhändler hatte T. normale geschäftliche Beziehungen, solange sein Geschäft ein Tante-Emma-Laden war. Sogar ein kleines Weinregal bekam T. geschenkt. Später initiierte der Weinhändler dann ein Dreiergespräch mit dem Hauswirt. Dem Weinhändler war es plötzlich ein Dorn im Auge, dass T. 30 Sorten israelischer Weine im Angebot hatte und einige Flaschen in seinem Schaufenster präsentierte. Auch könne der Eindruck entstehen, dass beide Geschäfte zusammengehörten, beklagte der Weinhändler.

Dabei trennte eine große Haustür die beiden Ladeneingänge. Dennoch sah der Weinhändler sein Geschäft beeinträchtigt und forderte T. auf, die Produkte aus seinem Sortiment zu nehmen. Dieser war jedoch dem Weinhändler schon so weit entgegengekommen, dass er keine koscheren Weine aus anderen Ländern in sein Sortiment nahm, und wies das Ansinnen zurück. Schließlich gehöre zu jedem Schabbat und jüdischen Feiertag ein koscherer Wein.

Der Weinhändler vermutet als Grund für die Geschäftsaufgabe von Israel Deli »die schwierige wirtschaftliche Lage und das spezielle Angebot«. Nach der Geschäftsumstellung sei der Laden immer leer gewesen, und »wenn niemand kommt, muss man irgendwann zumachen«.

Mehrmals kamen Angestellte der Lebensmittelaufsichtsbehörde, weil sich Unbekannte beschwert hätten. So wurde T. mitgeteilt, dass die Waren nicht ordnungsgemäß gekennzeichnet seien. Gemeint waren die Produkte mit hebräischer Aufschrift. Die Behörde versiegelte Waren und nahm Proben mit. Ein Ergebnis wurde T. niemals mitgeteilt.

Die Solidarität, die er hauptsächlich von türkischen Muslimen und »israelfreundlichen Christen« erfuhr, berührte ihn sehr. Einzelne Personen, die nicht zu seinen Kunden gehörten, kamen in den Laden und drückten ihr Bedauern aus. Eine deutsche Hausbewohnerin sagte den arabischsprachigen Tätern, was sie von ihren Übergriffen hielt, und der Hausbesitzer reduzierte die Miete so weit, dass T. das Geschäft noch eine Weile hätte weiterführen können.

Aber er gab Anfang Juli auf. »Ich war alleine. Die Angriffe waren zu krass. Mein Geschäft und der Imbiss waren sehr beliebt. Aber wenn die Leute angepöbelt werden: ›Du jüdisches Schwein‹ … Die hatten zwar nichts gegen mich, aber sie wollten mit mir nicht auf einer Stufe stehen«, sagt er.

T. bereitet nun seine Ausreise nach Israel vor, wohin er eigentlich erst in einigen Jahren als Ruheständler wollte. Er, der vor seiner Karriere als Geschäftsmann Judo, Karate und Boxen als Leistungssport betrieb, sieht dort mehr Möglichkeiten für sich und seine Familie als in Deutschland, wo er als Kind den Holocaust überlebte, weil ihn einige wenige mutige Menschen versteckten.