Wenn die Geister Amok laufen

Die westliche Interventionspolitik steht dem entfesselten Konkurrenzkampf der liberianischen Kriegsunternehmer ratlos gegenüber. von jörn schulz

Der UN-Gesandte für Liberia, hatte eine ungewöhnliche Botschaft für Charles Taylor. »Gehen Sie, solange es möglich ist«, riet Jacques Paul Klein dem Präsidenten Liberias, gegen den ein Haftbefehl des von der Uno mit getragenen Kriegsverbrechertribunals in Sierra Leone vorliegt. Taylor solle die Einladung des nigerianischen Staatschefs Olusegun Obasanjo annehmen, der ihn in einer eigens hergerichteten Villa unterbringen will.

Der Rat an den Angeklagten, schnell zu flüchten, deutet darauf hin, dass die UN-Bürokratie die Entscheidung, Taylor ausgerechnet während einer Friedenskonferenz in Ghana verhaften zu wollen (Jungle World, 29/03), mittlerweile als Fehler betrachtet. Die Rebellengruppen Lurd und Model die Anklageerhebung als Einladung zu einer militärischen Offensive interpretierten, und die westafrikanischen Staatschefs fühlten sich übergangen.

»Wenn man das nicht für Charles Taylor tut, bekommt man das, was wir jetzt haben«, rechtfertigte Obasanjo auf dem Höhepunkt der Kämpfe um Monrovia sein Asylangebot. Die nigerianische Regierung will auch dafür sorgen, dass er sein Asyl nicht dazu missbraucht, einen neuen Bürgerkrieg vorzubereiten.

Während in Liberia nach dem Eintreffen der Ecowas-Truppen und dem Rücktritt Taylors mit einem Abflauen der Kämpfe gerechnet wird, fürchtet man sich in anderen westafrikanischen Staaten vor der Destabilisierung durch arbeitslos gewordene Milizionäre. »Dunkle Elemente mit fragwürdigem Hintergrund« machte die gambische Tageszeitung The Independent unter den eintreffenden liberianischen Flüchtlingen aus, das Land könne »es sich nicht leisten, dass Rebellen mit dem Ziel herumlaufen, nach einer Abkühlungsperiode das ihnen eigene schlechte Verhalten fortzusetzen«. Die internationalisierten kriegerischen Auseinandersetzungen stärken nationalistische Ressentiments. Auch in der Côte d’Ivoire und Sierra Leone sehen die Regierungen in den liberianischen Flüchtlingen ein Sicherheitsrisiko. Gänzlich paranoid sind solche Befürchtungen allerdings nicht, denn liberianische Milizionäre haben sich an den Bürgerkriegen in Sierra Leone und der Côte d’Ivoire beteiligt. Das Problem sind jedoch nicht marodierende Kämpfer, sondern Warlords, für die eine Niederlage nur dann endgültig ist, wenn sie sie nicht überleben, Staatschefs wie der guineische Präsident Lansana Conte, die Warlord-Milizen unterstützen, und eine »internationale Gemeinschaft«, die weder eine konsistente Interventionsstrategie noch politische Konzepte für eine Nachkriegsordnung hat.

Bei der ersten westafrikanischen Intervention der Ecomog in den neunziger Jahren gelang es, die wichtigsten Küstenstädte zu sichern und eine minimale Versorgung zu gewährleisten. Auch die Ecomog-Soldaten plünderten, doch anders als die Warlord-Milizen töteten sie nicht wegen eines falschen Wortes oder eines Paars Schuhe. Deshalb sammelte sich ein großer Teil der Bevölkerung in diesen Gebieten. Auf dem Höhepunkt der Kämpfe waren 80 Prozent der liberianischen Bevölkerung Flüchtlinge. Die Warlords hatten sich selbst das Wasser abgegraben, es war kaum noch jemand übrig geblieben, den man ausplündern oder zwangsweise rekrutieren konnte. Kaum aber hatte sich Ende der neunziger Jahre die Lage nach Taylors Wahl zum Präsidenten etwas beruhigt, griffen von Guinea unterstützte Milizen Liberia an.

Taylor, der seine Wahl allein der Drohung verdankte, im Falle einer Niederlage den Kampf wieder aufzunehmen, konnte zu seiner Unterstützung nur die eigenen Anhänger und die Milizionäre befreundeter Warlords aufbieten. Wie in den meisten afrikanischen Staaten gibt es in Liberia kaum etwas, das die Bürger an den Staat bindet. Auf Sozialleistungen wartet die Bevölkerung vergeblich, für die Steuern gibt es keine Gegenleistung, und die uniformierte Staatsmacht presst den Bürgern bei jeder Gelegenheit zusätzliche Abgaben ab.

Der an sich erfreuliche Mangel an Loyalität wird zu einer tödlichen Gefahr für die Gesellschaft, wenn der Staat zu zerfallen beginnt. Denn moderne Organisationen, die die Bevölkerung auf der Grundlage politischer Programme oder sozialer Interessen mobilisieren, sind meist zu schwach, um der Warlordisierung etwas entgegenzusetzen. Der Kampf um die Macht wird so zum perspektivlosen Konflikt bewaffneter Geschäftsleute.

Die Warlordisierung ist eine Folge fehlgeschlagener Modernisierung. Wo der Zerfall der traditionellen Gesellschaften nicht durch eine moderne Form der Integration ersetzt wurde, können Kriegsunternehmer die Schwäche des Staates ausnutzen. Nur scheinbar stützen sie sich auf so genannte ethnische Gruppen.

Diese entstanden in Liberia erst, als die Elite freigelassener US-Sklaven, die das Land beherrschte, eine übersichtliche Einteilung der Bevölkerungsgruppen benötigte, um die »indirekte Herrschaft« und das Klientelsystem zu organisieren. Krahn etwa war eine Regierungsbezeichnung für einen Teil der We-Stammeskonföderation, die erst im Laufe der Zeit von der so benannten Bevölkerungsgruppe übernommen wurde. In dieser Zeit verfiel mit der Stammesstruktur das traditionelle Werte- und Bildungssystem, das die Ausübung von Gewalt reglementiert hatte, ohne dass es durch ein modernes Schulwesen ersetzt worden wäre.

Die zweite Phase der Ethnisierung begann 1980 mit dem Militärputsch des Sergeanten Samuel Doe, der alle wichtigen Positionen mit Krahn-Gefolgsleuten besetzte. Sie wirkte von oben nach unten, von der Spitze des Regimes in die Armee und von dort in die Gesellschaft hinein.

Ein Jahr vor Does Putsch brach in Monrovia nach der Erhöhung des Reispreises ein Aufstand unter der Parole »rice and rights« aus. Ein Teil der Armee weigerte sich, auf die Demonstranten zu schießen, eilends aus Guinea eingeflogene Elitetruppen mussten die Regierung retten. Organisationen der sozialen Interessenvertretung konnten sich jedoch nicht etablieren. Die wenigen Enklaven der kapitalistischen Ökonomie standen unverbunden neben der Subsistenzwirtschaft des Hinterlandes. So fehlte der zivilen Opposition eine ausreichende gesellschaftliche Basis, um das Regime zu stürzen.

Im Bürgerkrieg der Warlords vereinigten sich ein kapitalistischer Besitzindividualismus, der sich von den üblichen Regeln des Geschäftslebens frei gemacht hatte, und ein von den traditionellen Beschränkungen durch Ritual und Moral losgelöster Kriegerkult zu einer tödlichen Mischung. Viele Kämpfer verkleideten sich mit Masken und eigneten sich die Vorstellung an, dadurch zu Besessenen geworden zu sein, die für ihre Handlungen keine Verantwortung tragen. Durch die Verwendung moderner Materialien wie Badekappen oder Shampooflaschen wurden diese Masken zu bizarren, aber auch symbolischen Kostümierungen. Die Geister des Krieges und des Kapitalismus liefen gemeinsam Amok.

Dieser Amoklauf ist bis heute nicht beendet. Die zweite ausländische Militärintervention kann nach dem Vorbild der ersten die Sicherheit und die Versorgung in den großen Städten gewährleisten. Allerdings besteht die Gefahr, dass die Warlords in Nachbarländer ausweichen oder, wie nach dem Wahlsieg Taylors, sich für kurze Zeit zurückziehen, um eine neue Offensive vorzubereiten.

Es ist vorhersehbar, dass die jetzt im Westen zur Schau getragene humanitäre Sorge vergessen sein wird, wenn es um die Finanzierung des Wiederaufbaus geht. Vor allem aber ist der Kapitalismus des 21. Jahrhunderts unfähig, den im Weltmarkt marginalisierten Gesellschaften eine Integrationsperspektive zu bieten. Und die auf Flüchtlingslager und Verstecke im Busch zerstreute liberianische Bevölkerung hat noch keine neuen Ansätze gefunden, für »rice and rights« zu kämpfen.