Hoffen auf den Händedruck

Unter dem neuen Unmik-Chef Holkeri sollen die Regierungen Serbiens und des Kosovo Gespräche über die Unabhängigkeit des Protektorats beginnen.

Geht man nach den Teilnehmerzahlen, hielt die Empörung sich in Grenzen. Nur 2 000 Anhänger der kurz nach Kriegsende 1999 aufgelösten Kosovo-Befreiungsarmee UCK demonstrierten, als mit Rrustem »Remi« Mustafa im Juli zum ersten Mal ein ehemaliger Kommandeur der Separatistenguerilla wegen Kriegsverbrechen zu 17 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Bei der Verhaftung des früheren UCK-Kommandeurs im August vergangenen Jahres waren es allein in Mustafas Heimatstadt Podujevo mehrere Tausend Sympathisanten gewesen.

Ein Zeichen der Mäßigung ist der Rückgang der Teilnehmerzahlen jedoch nicht. Nur die Stoßrichtung des Protests hat sich verlagert. Er richtet sich nicht mehr gegen einzelne Verhaftungen, sondern gegen die internationale Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen (Unmik). »Nieder mit Unmik«, hieß es auf vielen Transparenten, obwohl der von Unmik bestellte britische Richter Timothy Clayson ausdrücklich darauf hinwies, dass sich das Urteil nicht gegen die UCK, sondern gegen Einzelpersonen gerichtet habe, die Verbrechen begangen hätten.

Die alten UCK-Kämpfer besänftigt das nicht. Einen Tag nach dem Urteil explodierte vor der Polizeistation von Podujevo eine Handgranate, nur 24 Stunden später wurden in Pec 15 Unmik-Jeeps zerstört. Am 20. Juli wurde in Pristina bei einem Bombenanschlag ein Unmik-Wagen beschädigt, fast gleichzeitig feuerten Unbekannte eine Granate auf das Bezirksgericht. Und in der vergangenen Woche wurde nahe der Stadt Kosovoska Mitrovica unter bislang ungeklärten Umständen ein indischer Unmik-Polizist erschossen.

Die Anschläge sind aber nicht die einzigen Hinweise auf eine Verschlechterung des Verhältnisses zwischen den so genannten »Internationalen« und der lokalen kosovo-albanischen Bevölkerung. Zum Amtsantritt des vierten ausländischen Verwalters in vier Jahren – der frühere finnische Ministerpräsident Harri Holkeri löst dieser Tage Michael Steiner ab – hat der Protest gegen die einst als »Befreier« gefeierten Angestellten der Uno-Administration längst auch die seit Kriegsende geschaffenen kosovo-albanischen Institutionen erreicht. So attestierte Parlamentspräsident Nexhat Daci Steiner vor seinem Abschied unverblümt: »Er kann gut reden, er verspricht schöne Sachen, aber morgen kann er sich an nichts mehr von dem erinnern, was er heute noch gesagt hat.«

Zwar stellten sich die kosovo-albanischen Eliten nach dem Mord an dem Polizisten verbal an die Seite der ausländischen Zivilverwalter. Wie wenig von solchen Beteuerungen zu halten ist, zeigte sich im April: Die Separatisten der Albanischen Nationalarmee (ANA) befestigten in Kosovoska Mitrovica einen Sprengsatz an einer Eisenbahnbrücke, die vor allem von serbischen Passagieren befahren wurde. Wie sich herausstellte, gehörten die Täter nicht nur der auf rund 250 Mann geschätzten Freischärlertruppe an, sondern bekleideten außerdem Posten im Kosovo Protection Corps (KPC), der von der Unmik eingerichteten Nachfolgeorganisation der UCK.

6 000 Mann stark ist die KPC. Sie kann im Gegensatz zu den oft chaotisch organisierten UCK-Verbänden der Kriegsjahre auf eine einheitliche Kommandostruktur verweisen. Die internationale Gemeinschaft schuf hier ein Auffangbecken für viele Terroristen. Der an der Säuberung der kroatischen Krajina 1995 beteiligte Agim Ceku steht an der Spitze des Verbandes, der eines Tages die Nationalgarde eines unabhängigen Kosovo werden soll. Darin sind sich die ansonsten zerstrittenen Parteien von Ibrahim Rugova (LDK), Hashim Thaci (PDK) und Ramush Haradzinaj (Allianz für die Zukunft des Kosovo) einig.

Weil die kosovo-albanischen Eliten die Reserviertheit der Unmik bei der angestrebten Unabhängigkeit der völkerrechtlich immer noch zu Jugoslawien gehörenden Provinz nicht länger hinnehmen wollen, gerät nun offenbar auch auf internationaler Ebene Bewegung in die ungeklärte Statusfrage. Durch den Anschlag auf den Unmik-Polizisten, dem ersten seit Aufbau der Einheit nach Kriegsende, dürfte diese Entwicklung noch beschleunigt werden. Außerdem ist die Resolution 1244 des Uno-Sicherheitsrates von 1999 durch die Umwandlung der Bundesrepublik Jugoslawien in den Bundesstaat Serbien-Montenegro obsolet geworden. Auch die in der Resolution geforderte »substanzielle Autonomie« für das Kosovo hält man weder in Pristina noch in den westlichen Hauptstädten für eine befriedigende Lösung.

Steiner selbst hat im Mai das Frühjahr 2004 als Datum für eine Diskussion der Statusfrage im Sicherheitsrat genannt. Holkeri wird allenfalls über die Gespräche präsidieren, ohne sie wirklich beeinflussen zu können, denn mehrere in die Region gereiste US-Diplomaten haben in den Sommerwochen klar gemacht, dass gegen die USA in Südosteuropa keine Politik gemacht werden kann.

US-Präsident George Bush hat seit seinem Amtsantritt die Zahl der Soldaten der Vereinigten Staaten im Kosovo und in Bosnien beständig reduziert; sein Interesse an Südosteuropa sank nach den Terroranschlägen von September 2001 weiter. Damit scheint nun Schluss: Da bei Klärung der Statusfrage die Interessen Mazedoniens, Serbiens, Montenegros und Albaniens unter einen Hut gebracht werden müssen, hält man in Washington offenbar nichts davon, die EU-Diplomatie weitere Zeit vergeuden zu lassen.

Zu neuem Streit zwischen europäischen und US-Diplomaten über die Zukunft der Provinz könnte es also bereits kurz nach Ende der Sommerpause kommen. Schon im September sollen erste direkte Gespräche zwischen der serbischen und der kosovo-albanischen Regierung beginnen – unter US-amerikanischer Vermittlung, wie es heute aussieht. Anders als die EU hat die Bush-Administration sich inzwischen offenbar für eine endgültige Loslösung der Provinz von Belgrad entschieden.

Nach dem katastrophalen Verlauf der von der EU veranlassten Neuordnung des Verhältnisses zwischen Serbien und Montenegro nimmt offenbar auch Zoran Zivkovic, Nachfolger des im März ermordeten Ministerpräsidenten Zoran Djindjic, Abschied von althergebrachten antiamerikanischen Ressentiments. Seinen ersten Besuch in Washington jedenfalls erklärte Zivkovic Ende Juli zum Beginn »eines neuen Kapitels in den Beziehungen zwischen Serbien und den USA«.