Die letzte Hoffnung

Die kongolesische Bevölkerung befürwortet eine internationale Intervention. Doch sie erwartet mehr als einen propagandistischen Einsatz. von beatrice schlee

Genozidvorwürfe und Kannibalismusverdacht hat es gebraucht, bis die internationale Gemeinschaft im Mai 2003 im Kongo endlich einschritt. Erst dann wurde den 700 Soldaten der Monuc (Beobachtermission der Uno), die kein Mandat zum Eingriff bei Gewalthandlungen hatten, vom Weltsicherheitsrat eine insgesamt 1 400 Mann starke internationale Schutztruppe zur Hilfe geschickt. Einsatzort ist Bunia, die Verwaltungshauptstadt des Distrikts Ituri im Nordosten des Landes.

Die Ursachen des Konflikts als rein »ethnisch« zu etikettieren, geht weit an der Realität vorbei. Die soziale Spannung zwischen den Hema und den Lendu erreichte nie ein Ausmaß, das mit den bis heute andauernden Massakern und dem Versuch der systematischen Auslöschung der jeweils anderen Gruppe zu vergleichen gewesen wäre. Schätzungen der UN gehen von 50 000 Toten in der Region seit 1999 aus, Hunderttausende sind auf der Flucht.

Wie auch in anderen Provinzen des Landes findet sich die Antwort hinter den Kulissen: Ohne die Drahtzieher Uganda und Ruanda mitsamt ihren multinationalen, meist westlichen Helfershelfern hätte dieser Krieg niemals derartig grausam werden können. Alle Akteure haben Interesse an den Bodenschätzen, die in Ituri liegen.

Seit dem Sturz Mobutus im Sommer 1997 ist das Land in kriegerische Auseinandersetzungen nationaler wie internationaler Akteure verwickelt, doch der Distrikt Ituri war lange nicht der Hauptschauplatz der Kämpfe. Die schauerliche, in ihrem wahren Ausmaß für niemanden mehr fassbare Bilanz sind bereits heute vier Millionen Tote – und fast täglich kommen neue hinzu.

Angesichts der Dauer und der bis dahin nicht bekannten Brutalität des Krieges ist die Wut und die Enttäuschung groß über die »internationale Gemeinschaft«, die jahrelang tatenlos zu- bzw. wegsah und die auch jetzt nicht zu einem wirklichen Eingreifen bereit ist. Mit umso größerer Erleichterung und vielen Erwartungen ist die Entsendung einer internationalen Schutztruppe aufgenommen worden. Sobald jedoch klar wurde, dass trotz des Einsatzes die Massaker weitergingen, hat sich die Hoffnung erneut in Wut, Ohnmacht und Resignation gekehrt.

Jedem, der die Situation dort auch nur annähernd kennt, ist klar, dass die Befriedung von Bunia allein die kriegerischen Auseinandersetzungen nicht stoppen kann. Das Morden geht wenige Kilometer außerhalb der Stadt ungehindert weiter. Mehr noch: Die Tatsache, dass die Kriegsherren für ihre Vergehen trotz internationaler Präsenz nicht bestraft werden, scheint sie noch ermutigt und die Situation damit verschlimmert zu haben. Innerhalb der Bevölkerung wird bereits vom »Mandat d’observer des cadavres« gesprochen. Mit dem eng gezogenen Handlungsspielraum der UN-Truppen hat die internationale Gemeinschaft bei der einheimischen Bevölkerung erneut an Glaubwürdigkeit verloren.

Eine Kehrtwende zeichnete sich allerdings nach der Ausweitung des Mandats Ende Juli ab. Mit der Annahme der Resolution 1493 im Weltsicherheitsrat kann die Monuc in Ituri wie in den beiden Kivu-Provinzen im Osten des Landes mit allen »notwendigen Mitteln« eingreifen, sobald Zivilpersonen physisch bedroht werden. Des Weiteren wurde die Verlängerung der Mission bis zum 30. Juli 2004, ein 12monatiges Waffenembargo und die Aufstockung der Monuc auf 10 800 Personen beschlossen.

Doch zu oft schon sind die Kongolesen enttäuscht worden. Der Krieg, das ist die Überzeugung vieler, wird trotz der Friedensbemühungen und der neu gebildeten Transitionsregierung zunächst weitergehen. Der Wunsch der zivilen Bevölkerung nicht nur in Ituri, sondern im ganzen Land, ist jedoch unmissverständlich: Ja zur militärischen Intervention. Zu lange ist der Krieg bereits vom Westen ignoriert worden. Allerdings wird ein ernst gemeintes Engagement erwartet, von pseudomoralischen Augenwischereien haben die Menschen im Kongo genug. Linke Grundsatzdebatten über das Für und Wider einer militärischen Intervention erscheinen angesichts der Verhältnisse als intellektueller Zeitvertreib.

Beatrice Schlee ist Politikwissenschaftlerin, sie war im Juni und Juli 2003 im Kongo.