Der stärkste Warlord

Deutschland will wieder direkt in die afrikanische Politik eingreifen. Doch die Strategie ist inkonsistent, und die Intervention im Kongo ändert nichts an der Realität des Krieges. von kai schmidt-soltau

Wie der Zufall es will, saß ich kürzlich im Flieger nach Brazzaville neben einem »Geschäftsmann« aus der Region Ituri. Diese Gegend, die in der Vergangenheit vor allem mit »Zwergmenschen« und »Riesenaffen« in Verbindung gebracht wurde, erfreut sich in den deutschen Gazetten zurzeit großer Aufmerksamkeit. Hätte ich mehr der dort veröffentlichen Beiträge zur Notwendigkeit einer »humanitären Intervention« gelesen, hätte ich vermutlich nicht Brot und Wein mit meinem Nachbarn geteilt, sondern nach Menschenknochen und Affenschädeln in seiner Reisetasche gefahndet.

Mein Sitznachbar Dieudonné war nicht nur nett, sondern auch angetan von der neuen Berühmtheit seiner Region. Denn nun kann er dort nach eigenem Bekunden neben allerlei Waren, Dienstleistungen und Kontakten auch den »Frieden« vermarkten. Eine gute, rare Ware, nicht nur in Ituri.

Doch was ist eigentlich Frieden? Und worin unterscheidet er sich von jenem Zustand, der im Nordosten des Kongo herrscht? Nach Dieudonnés Auffassung macht sich der Unterschied zwischen Krieg und Frieden an der Zahl der Warlords fest. Ist ein Potentat so dominant, dass er unangefochten ein Territorium kontrolliert, kann er es Staat nennen und in Frieden herrschen. Gibt es jedoch eine Vielzahl von Ordnungsmächten, die ein und dasselbe Territorium beherrschen wollen, nennt man dies Krieg.

In diesem Sinne schafft der Einmarsch des Warlords »Europäische Union« in Ituri Frieden, da die anderen Warlords den fahlen Kriegern militärisch nicht gewachsen sind. Die anderen Potentaten – da ist sich Dieudonné sicher – werden ihre Waffen im Wald verbuddeln oder in eine andere Region weiterziehen.

In der pragmatischen Sichtweise Dieudonnés sind auch Waffenlieferungen potenzieller Friedensdienst. Man sollte nur schauen, mit wem man Geschäfte macht, denn wenn der Kunde versagt, ist dies nicht nur moralisch schlecht – man wird beschuldigt, mit Terroristen etc. kooperiert zu haben –, sondern auch ökonomisch. Verlierer haben meist eine schlechte Zahlungsmoral. In diesem Sinne ist Krieg und freie Wirtschaft eins.

Warum aber – und die Frage stellt Dieudonné völlig zu Recht – arbeitete die Europäische Union im Kongo nicht ähnlich wie die Warlords aus dem südlichen und östlichen Afrika mit einem lokalen Warlord zusammen? Ein Stellvertreterkrieg wäre sicher billiger gewesen als eine direkte Intervention, hätte weniger Aufsehen erregt und man hätte mögliche Niederlagen auf den schwarzen Vasallen schieben können.

Im Prinzip sind wir derzeit Zeugen eines Paradigmenwechsels. Positionierte sich die Afrikapolitik der Bundesrepublik bislang zugunsten der »indirect rule« und unterstützte den afrikanischen Staatsherren – ob Potentat oder Demokrat – zwecks Aufrechterhaltung von Ordnung, will sie nun direkt in das Geschehen eingreifen. Jedoch ist die Strategie der Bundesregierung, genau wie die der meisten anderen europäischen Staaten, nicht konsistent. Während sie einerseits interveniert, zieht sie sich in ihren Beratungsleistungen immer mehr zurück.

Dafür bieten sich zwei Interpretationen an: Zum einen kann man die Wirkungslosigkeit der Entwicklungszusammenarbeit dadurch unsichtbar machen, dass man die Verantwortung an lokale Akteure delegiert und die zu erwartenden Misserfolge ausnutzt, um eine direkte Unterwerfung vorzubereiten. Zum anderen könnte es aber auch sein, dass zwei Interessenverbände, Militär und Entwicklungszusammenarbeit, sich selbst in der öffentlichen Diskussion legitimieren müssen und gleichzeitig die Herrschaft über das Territorium des anderen übernehmen wollen.

Der Kongo wird weiter zur Küste fließen und Dieudonné seine Waren feilbieten, während internationale und nationale Warlords ihre Kriege führen. Sie werden mit dem ersten Regen verschwinden, wenn der Wald von Ituri zu einem Meer von Schlamm wird. Und in einem Jahr wird vielleicht sogar der Regen gehen, ohne dass sie von neuem in die Dörfer einfallen, um jene Almosen zu verteilen, die Passanten in den Einkaufszeilen der globalen Zentren gespendet haben – für den Frieden in der Welt.

Kai Schmidt-Soltau ist Gutachter in der Entwicklungszusammenarbeit und lebt in Kamerun.