Trautes Heim 4U

Jugendliche Straftäter werden in geschlossene Heime gesperrt und Kinder abgeschoben. Erster Teil einer Serie über die Verhältnisse in Hamburg unter dem rechten Senat. Schill ahoi I: die Kinder- und Jugendpolitik. von gaston kirsche

Ich würde Armend E. sofort ausweisen, wenn dies rechtlich möglich wäre«, drohte Hamburgs Innensenator Ronald Schill kürzlich. Das Hamburger Abendblatt pflichtete ihm bei. »Die Menschen fragen sich: Wieso kann ein ausländisches Kind, das der Polizei seit seinem neunten Lebensjahr als Dieb und Räuber bekannt ist, nicht in seine Heimat Kosovo abgeschoben werden? Der Junge sitzt jetzt im geschlossenen Heim.« Doch die Zeitung kennt die Antwort: »Er gehört zur ethnischen Minderheit der Roma.« Und wegen der Verfolgung der Roma im Kosovo besteht noch bis Ende des Jahres 2003 ein Abschiebestopp.

Die Hamburger Behörde für Inneres plant, den zwölfjährigen Armend E. abzuschieben, sobald dies rechtlich möglich ist. Seit Mitte Juli sitzt er im kürzlich in Betrieb genommenen geschlossenen Heim in der Feuerbergstraße. Ihm werden mehrere Straftaten wie Raub, Diebstahl und Körperverletzung vorgeworfen. Schill will, dass Armend zu Jugendhaft verurteilt wird. »Wir müssen die Strafmündigkeit von 14 auf zwölf Jahre herabsetzen«, sagt er.

»Unsere alte Forderung knüpft an die Erkenntnis an, dass die Gewaltkriminalität von unter 14jährigen stark zugenommen hat«, erklärt Schill. Unterstützt wird er, wie schon vor der Wahl zur Bürgerschaft im Jahr 2001, von der Springer-Presse. Armend E. wird vom Abendblatt und von der Welt als »Kindergangster« bezeichnet, für Bild ist er »Deutschlands wahrscheinlich schlimmster Kindergangster«.

Nicht nur die von Schill geleitete Innenbehörde wurde gegen die vermeintliche Bedrohung Hamburgs aktiv, auch die von seinem Koaliationspartner CDU geführte Sozialbehörde. Deren Sprecherin, Annika Wichert, erklärte, wegen erheblicher Verständigungsschwierigkeiten mit der Mutter des Jungen, Bukurije E., sei ein Antrag auf Entziehung des elterlichen Sorgerechts gestellt worden.

Beim Vater von Armend E., »der offenbar nur nach Roma-Brauch mit der Mutter des Jungen verheiratet ist«, wie die Welt feststellt, ist das nicht mehr nötig. Er wurde bereits vor neun Jahren aus dem sozialdemokratisch regierten Hamburg nach Mazedonien abgeschoben. Obwohl Armend E. in Hamburg aufgewachsen ist, droht nun auch seine Abschiebung.

Humanitäre Überlegungen spielen in Hamburg längst keine Rolle mehr. Erst vergangene Woche berichtete die taz von dem Vorhaben der Hamburger Ausländerbehörde, Kinder abzuschieben, die in Hamburg bei ihren Müttern lebten. In allen entsprechenden Fällen seien die Mütter mit einem Deutschen verheiratet und hätten ein unbefristetes Bleiberecht. Nachdem ihr Aufenthaltstatus gesichert gewesen sei, hätten sie ihre Kinder nach Deutschland geholt. Nun sollten diese nach Ghana abgeschoben werden, wo ein Leben im Waisenhaus auf sie wartet.

Die Zahl der jährlichen Abschiebungen hat sich verdoppelt, seit die Koalition aus der Schill-Partei, der CDU und der FDP Hamburg regiert. Bei 87 Prozent der minderjährigen Flüchtlinge, die nach eigenen Angaben unter 16 Jahre alt sind, setzte die Ausländerbehörde im Jahr 2003 das Alter herauf, um sie »asylmündig« zu machen. Wer älter als 16 ist, hat als Flüchtling keinen Anspruch darauf, von der Jugendhilfe betreut zu werden und der Verteilung an die Bundesländer zu entgehen.

Schill forderte kurz nach seinem Amtsantritt als Innensenator, »die Altersfestsetzung zu optimieren«. Die Behörden gehen inzwischen grundsätzlich davon aus, dass die Altersangaben jugendlicher Flüchtlinge falsch sind. Wird das Alter eines Jugendlichen heraufgestuft, ist ihm angeblich der Straftatbestand der »mittelbaren Falschbeurkundung« nachgewiesen und er gilt als Krimineller.

Seit Anfang dieses Jahres werden in Hamburg Jugendliche ohne deutschen Pass vor ihrer Abschiebung in der Jugendarrestanstalt Schädlerstraße inhaftiert. Beschlossen wurde dies gleichzeitig mit der Einrichtung eines geschlossenen Heimes in der Feuerbergstraße. Den betreuten Wohngruppen für Jugendliche werden dagegen in diesem Jahr 1,5 Millionen Euro gestrichen.

Dirk Hauer von der Sozialpolitischen Opposition Hamburg erklärte im Mai 2002 auf einer Demonstration unter dem Motto »Der Senat soll einpacken«: »CDU, FDP und Schill betreiben eine Umverteilungspolitik von sozialen Hilfen zur Aufrüstung von Polizei und Justizapparat. Eine solche Politik setzt nicht auf gesellschaftliche Integration, sondern auf Polarisierung (…) Jugendliche sollen in geschlossenen Heimen weggesperrt werden, Sozialhilfeempfängerinnen werden mit direktem Arbeitszwang aus der Hilfe in die Billig-Jobs getrieben. Immerhin ist der neue Senat konsequent. Er liquidiert die Frauen- und Mädchenprojekte und weitet gleichzeitig die Knastplätze für Frauen aus.«

Schon im vergangenen Jahr gab es eine Kampagne gegen die Wiedereinrichtung eines geschlossenen Heimes. Sie wurde zwar unterstützt von der Evangelischen Fachhochschule für Sozialpädagogik und der Gewerkschaft Verdi, aber verhindert hat sie nichts. Da die Proteste überschaubar blieben und eine größere soziale Bewegung gegen die autoritäre Politik des Senates nicht entstand, konnte dieser bisher alle seine Vorhaben durchsetzen. Die Bambule-Proteste am Ende des vergangenen Jahres blieben auf die linke Szene und auf die Verteidigung des kollektiven Lebens im Bauwagen beschränkt.

Schill hält indes weiter seine provokanten Reden, deren Forderungen der FDP und der CDU zu rabiat sind. Aber mit seinen Tabubrüchen weitet er den Spielraum für autoritäre rechte Politik aus. Zuletzt schlug er Mitte Juli vor, den genetischen Fingerabdruck für die DNA-Datei auch bei Schwarzfahrern und Ladendieben speichern zu lassen.

Außerdem fordert Schill, dass Polizisten Waffenkontrollen vor den Schulen durchführen. Der Innenexperte seiner Partei, Frank-Michael Bauer, sagte: »Das Waffenverbot ist doch nur durchzusetzen, wenn ein Schüler auch kontrolliert werden kann. Wie soll ein Lehrer sonst wissen, ob sein Schüler nicht eine Pistole im Schulranzen trägt?« Jeder Schüler ist in dieser Weltsicht ein potenzieller Gunman.

Inzwischen gehen tatsächlich Polizisten in die Schulen, und ihnen geht es nicht um die Verkehrserziehung. Bürgernahe Beamte, ganz hip »Cop4U (Cop for you)« genannt, sollen Ansprechpartner in den Schulen sein. Und auch die Jugendgerichte folgen der Politik der neuen Härte. Seit dem Regierungswechsel wurden häufiger Jugendstrafen ohne Bewährung verhängt. Im Jahr 2002 wurden 321 Jugendliche zu einer Haft ohne Bewährung verurteilt, 2001 waren es noch 180.

Im Hamburger Haushalt für 2004 wächst der Etat der Innenbehörde um 3,9 Prozent, bei der Justizbehörde gibt es ein Plus von 4,6 Prozent, während der Etat der Sozialbehörde um 0,3 Prozent schrumpft. Die Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram erklärte, sie werde mit dem Sozialhilfeetat auskommen. »Wir haben allerdings auch Entlastungen, weil es in Hamburg weniger Asylbewerber gibt.« Wer in Hamburg arm ist und keinen deutschen Pass hat, bekommt die Politik des rechten Senats am stärksten zu spüren.

Am 6. August entscheidet das Familiengericht Altona, ob Armend E. weiter im geschlossenen Heim bleiben muss.