Show of Force

Die europäische Kongo-Intervention verändert das Kräfteverhältnis zwischen den Kriegsparteien, deshalb drohen die Kämpfe wieder zu eskalieren. von jörn schulz

Frankreich hält das Gleichgewicht. »Am Samstag haben Truppen der multinationalen Streitkräfte auf eine Provokation von Lendu-Milizionären geantwortet. Heute reagierten sie auf einen Angriff von Hema-Milizionären«, berichtete Oberst Christian Baptiste, Sprecher des Generalstabs der europäischen Operation Artemis, am Montag der vergangenen Woche.

Die Angaben über das Gefecht sind knapp und widersprüchlich. Während Baptiste eine »sehr aufgeregte Gruppe von Hema-Milizionären« ausmachte, wusste Major Xavier Pons, der Sprecher der Truppe in Bunia, nur von zwei Kämpfern. Dass sie sich mit der militärisch überlegenen Patrouille anlegten, wird mit »Alkohol oder Drogen« erklärt.

Bereits nach der ersten Schießerei in der Woche zuvor blieben die veröffentlichten Informationen dürftig. Einige Kilometer vor der Stadt sei ein Konvoi beschossen worden, man habe mit Gewehr- und Panzerkanonenfeuer geantwortet. Nach eigenen Angaben schaute man sich das Ergebnis gar nicht erst an, obwohl es im Rahmen einer humanitären Intervention nicht zu viel verlangt wäre, nach Verwundeten zu suchen.

Das französische Vorgehen war realpolitisch gerechtfertigt. Nur eine show of force kann die Milizen davon überzeugen, dass internationale Truppen nicht länger in die andere Richtung schauen, wenn vor ihren Augen massakriert wird, so wie es die 700 in Bunia stationierten Soldaten der UN-Beobachtertruppe Monuc taten. Auch mit einer restriktiven Informationspolitik dürfte es allerdings kaum möglich sein, die »robuste Intervention« in einem Warlord-Krieg als Lehrstück europäischer Humanität zu präsentieren.

Das scheint nun auch der deutsche Verteidigungsminister Peter Struck erkannt zu haben. Deutschland will höchstens 350 Soldaten zur Operation Artemis beisteuern, allerdings nur für logistische Aufgaben und Sanitätsdienste außerhalb des Kongo. »Unsere Soldaten sind dafür nicht ausgebildet, und ich will sie auch nicht dafür ausbilden lassen, auf mit Drogen voll gepumpte Kindersoldaten schießen zu müssen, um sich selbst zu verteidigen«, erklärte Struck diese Zurückhaltung. Die implizite Aussage, dass Franzosen für einen solchen Job viel besser geeignet sind, dürfte in Paris nicht begeistert aufgenommen worden sein.

Zumindest scheint man dort etwas realistischer über den Krieg zu denken. Zu Beginn der Intervention hatten französische Militärsprecher noch ausdrücklich erklärt, das UN-Mandat gestatte eine Entmilitarisierung Bunias nicht. Nun hat man sich für eine Neuinterpretation entschieden. Am Samstag übermittelte der Artemis-Kommandant, General Jean-Paul Thonier, ein Ultimatum an den Warlord Thomas Lubanga, der die Hema-Miliz Union Kongolesischer Patrioten (UPC) kommandiert. Innerhalb von 72 Stunden sollen dessen Kämpfer die Stadt räumen.

Auch diese Entscheidung war unumgänglich für die Erfüllung des UN-Mandats, denn der Terror der UPC in Bunia ging nach Beginn der Intervention weiter. Was geschehen wird, wenn sich die Miliz in das von ihren Feinden kontrollierte Umland zurückzieht, scheint jedoch niemanden zu interessieren. Zudem residiert Lubanga selbst mit einer Leibgarde weiterhin in Bunia und dürfte die Herrschaft über die Stadt nicht ohne weiteres aufgeben.

Der Kampf um die Macht hat erst begonnen. Auch die Regierung Joseph Kabilas sieht eine gute Gelegenheit, ihre Präsenz in dieser bisher ihrer Kontrolle entzogenen Region wieder aufzubauen. Am Freitag der vergangenen Woche landeten 112 von Kabila entsandte, offiziell als Polizisten deklarierte Bewaffnete auf dem Flughafen von Bunia. »Eine klare Provokation«, tobte Lubanga, die Monuc sprach von einer Störung des Entmilitarisierungsprozesses. 80 Kombattanten Kabilas mussten schon am Tag nach ihrer Ankunft den Rückflug antreten.

Frankreich gilt als Verbündeter Kabilas. Dass dieser allzu offensichtliche Bruch des Friedensabkommens, das den Kriegsparteien den Bestand ihrer Herrschaftsgebiete bis zur geplanten Machtübernahme durch eine Koalitionsregierung zusichert, zurückgewiesen wurde, wird nicht ausreichen, um die französische Intervention neutral erscheinen zu lassen. Ob gewollt oder nicht, die Intervention verändert nicht nur das Kräfteverhältnis zwischen den Milizen, sondern auch zwischen den Staaten in der Region.

Im Abkommen von Luanda hatten die Regierungen Ugandas und des Kongo im September 2002 die Gründung der Ituri Pacification Commission (IPC) vereinbart. Als Gegenleistung für den Rückzug seiner Truppen wurde Uganda ein Platz in dieser Kommission und damit bleibender Einfluss in der Region zugestanden. Keinen Platz erhielt die mit Ruanda verbündete UPC, die deshalb in Bunia die Bildung der IPC erfolgreich blockierte, bis ugandische Truppen sie im März kurzzeitig aus der Stadt vertrieben. Ugandas Staatschef Yoweri Museveni hofft, dass die Europäer ihm sein Stück vom kongolesischen Kuchen sichern, und kann sich nebenbei noch für die Gewährung von Lande- und Durchfahrtsrechten zur Versorgung der internationalen Truppe bezahlen lassen.

Ruanda und die verbündete Miliz RCD-Goma dagegen müssen befürchten, dass die Intervention zu einer Einigung zwischen Uganda, der Regierung Kabilas und den mit ihnen verbündeten Milizen auf ihre Kosten führt. Unmittelbar nach der Verabschiedung der UN-Resolution 1484, die die Kongo-Intervention mandatierte, begann der RCD-Goma eine militärische Offensive. Am Donnerstag der vergangenen Woche eroberte die Miliz Lubero, eine Stadt von der Größe Bunias, die Mehrheit der 180 000 Einwohner ist nach Angaben der Monuc geflüchtet.

Jede Verschiebung im militärischen Kräfteverhältnis führt zu Versuchen der Benachteiligten, sich anderswo für die erlittenen Verluste zu entschädigen. Die Antwort der Interventionisten ist die Forderung nach mehr Soldaten, derzeit wird auf Initiative Frankreichs in der Uno über eine Verstärkung der Monuc und eine Erweiterung ihres Mandats debattiert. In der US-Regierung, die der europäischen Kongopolitik bislang vorbehaltlos zugestimmt hat, scheint nun das Misstrauen über die Ziele der Intervention zu wachsen. Die Frage des Monuc-Mandats müsse »sehr, sehr vorsichtig« behandelt werden, erklärte der amerikanische UN-Botschafter John Negroponte.

Als einziger afrikanischer Regierungschef hatte sich der ruandische Präsident Paul Kagame öffentlich gegen den neokolonialen Stil verwahrt, mit dem Jaques Chirac auf dem französischen Afrikagipfel im Februar eine Resolution gegen den Irakkrieg durchsetzte (Jungle World, 10/03). Nachdem Frankreich seine Position in Uganda durch die militärische Kooperation bei der Kongo-Intervention gestärkt hat, ist eine weitere Marginalisierung eines der wenigen verbliebenen Verbündeten der USA in der Region nicht im Interesse Washingtons.

Die von der EU unablässig verkündete Neutralität im Kongokonflikt ist bestenfalls ein frommer Wunsch, wahrscheinlich aber Heuchelei. Der offizielle Kurs der »internationalen Gemeinschaft«, der eine Berücksichtigung der Interessen aller Konfliktparteien vorsieht, ist problematisch genug, denn er belohnt die Kriegsverbrecher mit ihrer Anerkennung als legitime Herrscher. Eine Intervention aber, die die von den Kriegsparteien grundsätzlich akzeptierten Frontlinien wieder in Frage stellt, kann schnell zu einer erneuten Eskalation der Kämpfe führen.