Love to Hate

Euro-Debatte in Großbritannien

Ein Riss geht durch Großbritannien: Bist du dafür oder dagegen? Wogegen? Gegen Europa, natürlich. Denn England steht »der größten Gefahr für unsere Lebensart seit der Invasion der Normannen gegenüber« (Sun), mehr noch, »die Demokratie steht auf dem Spiel!« (Times), und der konservative Abgeordnete David Heathcoat-Amory sieht »eine Gefahr für den Weltfrieden, die Stabilität und die Nato«.

Warum die Aufregung? Am 9. Juni wird Finanzminister Gordon Brown die Ergebnisse der so genannten fünf Wirtschaftstests veröffentlichen, mit denen geprüft wird, ob die Briten und der Euro zusammenpassen. Allgemein wird erwartet, dass die Entscheidung lauten wird: »jetzt noch nicht, vielleicht demnächst.« Gleichzeitig arbeitet EU-Konventspräsident Valéry Giscard d’Estaing an einem Entwurf für eine neue europäische Verfassung, die an der Souveränität der britischen Regierung nichts ändert. Die Regierung unter Tony Blair ist ohnehin strikt gegen einen größeren Einfluss europäischer Institutionen auf Steuern oder Sozialausgaben, und gegen eine gemeinsame Außenpolitik sowieso. Außerdem will sich New Labour vorbehalten, Vorgaben aus Brüssel abzulehnen.

Und diese Haltung gilt noch als »eurofreundlich«. Mittlerweile fordert ein informelles Bündnis quer durch alle politischen Lager eine Volksabstimmung über den Euro. Alle Parteien, die Sozialisten und die Nationalisten, Konservative und Liberaldemokraten, aber auch große Teile der Labour Party sind dafür. Aber weil Blair die Meinung des britischen Volks nicht interessiere, veranstaltet die Boulevardpresse ihr eigenes Referendum. Sein Ergebnis ist völlig gewiss.

Geht es um Europa, verwischen sich die politischen Fronten. Die in England unbedeutenden Grünen lehnen den Euro ab, weil die gemeinsame Währung »nicht nachhaltig ist«. Börsianer hassen den europäischen Superstaat wegen seiner Sozialgesetzgebung mit gleicher Leidenschaft wie die Socialist Alliance, die die Europäische Union als »ein Projekt für neoliberale Deregulierung und Privatisierung« denunziert. Als wäre das in England noch nötig.

Aber beinahe alle Eurogegner teilen diese seltsame Idee. Die Bank of England, die Margret Thatcher schon in den frühen achtziger Jahren von lästigen Regierungsvorgaben befreite, sei »viel demokratischer« als die europäische Zentralbank, argumentiert beispielsweise die Gruppe Labour against the Euro. Finanzielle Vorgaben aus Brüssel, so fürchtet die Linke, werden es unmöglich machen, den Sozialstaat zu reformieren. Währenddessen erklärte der Sozialdemokrat Gordon Brown, Finanzminister und Erzrivale Blairs, in einer Rede vor zwei Wochen seine Vision für »ein neues reformiertes Europa als Motor der Liberalisierung«.

Die Spaltung in der Regierung ist tief, aber dabei geht es gar nicht so sehr um die Sache, sondern vielmehr um die Strategie. Blair wird das Wagnis, eine Volksabstimmung zu verlieren, nicht eingehen. Die öffentliche Meinung ist polarisiert, und entwickelt sich ganz gegen seine Hoffnungen: 45 Prozent aller Wähler gehören im Moment zum harten Kern der Eurogegner, so viele wie nie zuvor, ein Viertel ist unentschlossen. Nach Angaben der Kampagne No Euro! fordern sogar sieben Prozent den vollständigen Austritt aus der Union. Die Welle der Popularität, die Regierungschefs nach siegreichen Kriegen noch eine Weile trägt, ist in England abgeebbt. Viele Angehörige der Mittelklasse verzeihen Blair nicht, dass er sie ignorierte, als es um einen Angriff auf den Irak ging. Die Kriegsbefürworter andererseits wollen seitdem mit den Kontinentalmächten Frankreich und Deutschland nichts mehr zu tun haben.

matthias becker, london