Kurzer Prozess

Revision für kurdische Abgeordnete

In neun Jahren kann sich vieles ändern. Das zumindest hofften die Angeklagten Orhan Dogan, Selim Sadik, Hatip Dicle und Leyla Zana, als sie Ende März den Saal des Staatssicherheitsgerichtes in Ankara betraten. Dort waren sie 1994 wegen »Mitgliedschaft in der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)« zu 15 Jahren Haft verurteilt worden. Jetzt wird das Verfahren in denselben Räumen neu aufgerollt.

Das damalige Urteil fiel nach einem Schauprozess, der mit der spektakulären Verhaftung der damaligen Abgeordneten der Demokratie-Partei (Dep) am 2. März 1994 begonnen hatte. Spezialeinheiten der Polizei hatten sie aus der Nationalversammlung gezerrt und die kurze Geschichte der ersten und letzten im Parlament vertretenen prokurdischen Partei nach etwas mehr als zwei Jahren beendet.

Nach der Verurteilung hielten die internationalen Proteste zunächst an. Die EU forderte die Freilassung der Abgeordneten. Leyla Zana, einzige Frau unter den Verurteilten und Ehefrau des früheren Bürgermeisters von Diyarbakir, wurde zur Symbolfigur der unterdrückten Kurden. 1995 verlieh das Europäische Parlament ihr den Sacharow-Preis für Menschenrechte.

An die Namen der übrigen Inhaftierten erinnerte sich bald niemand mehr. Zum Prozessauftakt vor 14 Tagen waren nur zwei Europaparlamentarier anwesend, die ausländischen Journalisten konnte man an einer Hand abzählen.

»Wir wollen keinen politischen Prozess wie das letzte Mal«, verkündet der Anwalt Yusuf Alatas am Ende des ersten Verhandlungstages. Dabei bekräftigten seine Mandanten, sie seien Opfer eines politischen Komplotts geworden. Doch sie alle wissen, dass sich die internationalen Debatten derzeit um andere Themen drehen und dass sie sich mit der türkischen Justiz arrangieren müssen.

Unterstützung erhalten sie immerhin vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Die Strasbourger Richter hatten den ersten Prozess als unfair kritisiert. Hatip Dicle, der ehemalige Vorsitzende der Dep, wies zu Beginn des Revisionsprozesses noch einmal auf die Unregelmäßigkeiten in der Anklage und der Beweisführung hin.

Die Staatsanwaltschaft stütze sich im ersten Verfahren auf dünne Indizien und fragliche Zeugenaussagen. Einer der wichtigsten Belastungszeugen war ein ehemaliger Abgeordneter von Tansu Cillers DYP, Sedat Bucak. Der staatstreue kurdische Clanführer war tief in die Machenschaften der in den neunziger Jahren wütenden Kontraguerilla verstrickt. Zwei Jahre später verunglückte er in der Nähe der westanatolischen Stadt Susurluk zusammen mit einem Polizeichef und einem international gesuchten Mörder und Drogenschmuggler.

Der Unfall offenbarte, was viele schon wussten: Im Staat hatte sich ein Konglomerat aus Politik, Mafia und Polizei gebildet, das Oppositionelle ermorden ließ. Bucak wurde nie zur Rechenschaft gezogen. Dabei hatte die Verteidigung der angeklagten Parlamentarier bereits 1994 die Funktionsweise der Kontraguerilla beschrieben.

Die Verteidigung hofft zumindest auf den Erlass der restlichen Strafe. Wegen der langen Haftzeit wäre dies auch für die türkische Regierung akzeptabel. Vor allem, weil sich die Richter sicher hüten müssen, die damaligen Zusammenhänge aufzudecken.

sabine küper, ankara