Unvereinte Nationen

Am Ende seiner Amtszeit hat Saddam Hussein noch einen letzten Erfolg zu verbuchen: Der Irakkrieg kann die Uno in ein Debakel stürzen. von martin schwarz, wien

Geflügel an die Front: Gemeinsam mit den etwa 280 000 rund um den Irak lauernden US-amerikanischen und britischen Soldaten werden auch zehntausende kuwaitische Hühner den Weg nach Bagdad antreten, um entscheidend dazu beizutragen, den Sturz Saddam Husseins möglichst ohne größere Verluste der Koalition der Unwilligen zu erledigen.

Denn trotz High-Tech vertrauen Amerikaner und Briten noch immer den Gewissheiten der Fauna und transportieren auf ihren Jeeps und Panzern auch Käfige mit Hühnern. Wenn Saddam Hussein in einem letzten Verzweiflungsakt doch noch zum Giftgas greifen sollte, wird das Federvieh durch seinen frühzeitigen Exitus den Besatzungen signalisieren, dass es nun wohl an der Zeit wäre, die Gasmasken überzuziehen.

Im Krieg stirbt eben das Geflügel zuerst.

Die Wahrheit wurde nämlich schon zu Grabe getragen, mehrmals und zuletzt auf einer Pressekonferenz, die George W. Bush in der Nacht von Donnerstag auf Freitag im Weißen Haus gab. Da wartete der Feldherr in spe mit der Enthüllung auf, dass der Irak wohl leichten Herzens damit begonnen hat, die verdächtigen Al Samoud II-Raketen zu zerstören, weil Saddam Hussein gleichzeitig die Produktion genau des gleichen Raketentyps anordnete. 46 der offiziell vorhandenen 120 ballistischen Raketen hat der Irak unter Aufsicht der UN-Inspektoren bis Sonntag zerstört, doch Beweise für die Produktion weiterer kriegerischer Flugkörper konnte Unmovic-Chef Hans Blix bislang nicht finden.

Macht aber nichts, denn die investigativen Allüren George W. Bushs dienen ohnehin nicht dazu, die Inspektoren auf eine heiße Fährte zu locken, sondern zur Überzeugung des heimischen Publikums.

Dennoch könnte Hans Blix bei seinem mündlichen Bericht im Sicherheitsrat auch wesentlich Schwerwiegenderes verschwiegen haben. Nach Berichten der britischen Times ist die Entdeckung einer irakischen Drohne mit etwa 100 Kilometern Reichweite lediglich in dem schriftlichen Bericht enthalten.

Falsch jedoch sind auch jene oftmals wiederholten Behauptungen der Bush-Administration, der Irak habe versucht, sich Uran zur Herstellung von Nuklearwaffen aus Niger zu besorgen. Mohamed El Baradei, Generaldirektor der in Wien ansässigen Internationalen Atomenergiebehörde, berichtete am Freitag dem UN-Sicherheitsrat, entsprechende von den USA übergebene Dokumente hätten sich bei genauerer Prüfung als »nicht authentisch« herausgestellt. Weniger diplomatisch geschulte Gemüter in New York sprachen plump von »Fälschungen«.

Spätestens seit El Baradei und sein Kollege Blix am Freitag ihren Bericht über die Fortschritte der irakischen Kooperation mit ihren Mitarbeitern vor Ort vorlegten, ist aber ohnehin klar, dass sich die Gewichtung der Probleme verschoben hat. Die Suche nach Massenvernichtungswaffen ist nur noch Beiwerk zur schier endlos scheinenden Suche nach einem diplomatischen Kompromiss für einen Krieg. »Wenn es um unsere eigene Sicherheit geht, brauchen wir keine Erlaubnis«, meinte Bush in seiner Pressekonferenz und stellte damit den UN-Sicherheitsrat vor die vielleicht letzte wichtige Entscheidung: entweder Krieg mit der Uno oder Krieg ohne die Uno.

Für die Bush-Administration ist die Entscheidung letztlich gleichgültig, denn die Legitimierung des Feldzuges durch eine zweite Resolution geschieht ohnehin nur auf Betreiben der Briten. Schon hat US-Außenminister Colin Powell klar gemacht, dass die USA auch ohne diese zweite Resolution agieren könnten. »Wir machen das aus Rücksichtnahme auf die britische Regierung«, sagte Powell in einem Interview mit CNN. Der britische Premier Tony Blair verliert nämlich derzeit schon seine engsten Berater wegen seines Kriegskurses. Insgesamt zehn Mitarbeiter in seinem Kabinett denken derzeit an Rücktritt, einer hat ihn bereits hinter sich.

Indem die US-Regierung die Formel »Krieg ohne Alternative« ausgibt, erinnert sie die Mitglieder des Sicherheitsrates auch daran, dass es an ihnen liegt, ob sie bei den nächsten fälligen Entscheidungen noch mitreden dürfen. Die Verletzung des Atomwaffensperrvertrages durch Nordkorea harrt einer baldigen Reaktion des Sicherheitsrats.

»Die Mehrheit der Mitglieder des Sicherheitsrates ist sich im Klaren darüber, dass die Entscheidung, ohne UN-Mandat in den Krieg zu ziehen, enorme Auswirkungen auf das multilaterale System und besonders auf die Vereinten Nationen haben wird«, sagt ein europäischer UN-Botschafter in New York. Die USA könnten gar darauf pochen, zum unilateralen Vorgehen gezwungen worden zu sein, weil Staaten wie Frankreich, Russland, China oder Deutschland ihnen keine andere Wahl gelassen hätten.

Was auf dem Spiel steht, hat auch UN-Generalsekretär Kofi Annan begriffen. Am Dienstag der vergangenen Woche traf er sich mit dem kanadischen UN-Botschafter Paul Heinbecker, um dessen Kompromissvorschlag zu besprechen, der den UN-Inspektoren noch rund acht Wochen Zeit gibt. »Der UN-Generalsekretär betont, dass es wichtig ist, dass der Sicherheitsrat seine Einigkeit erhält, denn nur einig kann er gut arbeiten«, sagte Annans Sprecher Farhan Haq der Jungle World. Das ist ein deutlicher Meinungsumschwung. Vor einigen Wochen noch meinte ein anderer Sprecher Annans, der Generalsekretär mische sich grundsätzlich nicht in die Belange des Sicherheitsrates ein.

Doch mit der Einigkeit ist es schlecht bestellt. Frankreichs Außenminister Dominique de Villepin hält einen neuen Resolutionsentwurf der USA, der die Alternative Krieg oder vollständige Kooperation des Irak mit den Inspektionen bis 17. März vorsieht, für »inakzeptabel«. Um die drei afrikanischen Mitglieder des Rates, Guinea, Kamerun und Angola, auf seine Seite zu ziehen, ist de Villepin zu einer Vermittlungsmission aufgebrochen. In Angola ist er schon abgeblitzt: Das Land hält einen Krieg ohnehin für »unvermeidlich«.

Doch einiges weist darauf hin, dass sich die Bemühungen der USA, eine Mehrheit im Sicherheitsrat zu erhalten, noch einige Tage hinziehen könnten. Wiewohl sich US-Außenminister Colin Powell in einem Interview am Sonntag abend optimistisch gezeigt hat, »neun oder zehn Stimmen« für die Resolution zu erhalten, könnten sich einige Ratsmitglieder bemüßigt fühlen, die USA noch zappeln zu lassen: Chile und Guinea seien »jetzt noch nicht bereit«, für die Resolution zu stimmen.

Auch im Irak selbst schwinden unterdessen die strategischen Gewissheiten vergangener Jahre. Im Südosten der Autonomieregion, nahe der Grenze zum Iran, haben etwa 200 Soldaten der Badr-Brigade des schiitischen Obersten Rates der islamischen Revolution (Sciri) Stellung bezogen. Die vom Iran unterstützte Oppositionsmiliz bereitet ein Feldlager für Truppenverstärkungen vor. Ohne Zustimmung der Patriotischen Union Kurdistans (Puk), die dieses Gebiet kontrolliert, wäre diese Stationierung nicht möglich.

Wirklich willkommen aber sind die Islamisten nicht. Richard Boucher, Sprecher des US-Außenministeriums, wandte sich gegen jede Präsenz des Iran oder mit ihm verbündeter Gruppen im Nordirak. Auch Mahmoud Amin von der Kurdischen Sozialdemokratischen Partei bleibt misstrauisch: »Wir akzeptieren sie unter der Bedingung, dass sie uns nicht verraten.«

Die Befürchtung, einmal mehr verraten zu werden, hegen die Kurden jedoch nicht nur gegenüber der Sciri. Die rund 30 000 Mann starke Armee der kurdischen Parteien ist alarmiert und bereitet sich auf einen Krieg vor – allerdings nicht gegen den Erbfeind Saddam Hussein, sondern gegen einen möglichen Einmarsch der Türkei, die zur Verhinderung kurdischer Unabhängigkeit schon ihre Armee an den Grenzen aufmarschieren lässt.