Schlagerpresswerk

Beim Schlager-Grand-Prix wollten drei Tageszeitungen ganz groß rauskommen. Sie sind verdient gescheitert. von martin krauss

Details sind es, die aus der ausgefuchstesten Werbestrategie ein mittleres Desaster machen können. Als etwa wegen der nach seiner Ermordung bekannt gewordenen Lebensumstände der Schauspieler Walter Sedlmayr partout nicht mehr als bayerisches Mannsbild der vorzeigbaren Sorte durchgehen konnte, sah sich die Paulaner-Brauerei genötigt, sofort die bereits gedrehten Werbespots abzusetzen.

Auf die clevere Idee, eine große Fernsehsendung zur Werbezwecken zu nutzen, kamen neulich solch verschiedene Blätter wie die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, die taz und die Bild-Zeitung. Sie unterstützten am vergangenen Freitag beim deutschen Grand-Prix-Ausscheid in der Kieler Ostseehalle jeweils Sangeskünstler, um damit ihr publizistisches Profil zu schärfen. Jetzt müssen sie sich selbstkritisch eingestehen, dass sie genauso gut Sedlmayr-Spots hätten zeigen können.

Für die taz etwa wurde vor dem Millionenpublikum die frühere Grünen-Vorsitzende Claudia Roth interviewt, die auf ihrer herzliche und sympathische Art kreischte, ja, ja, sie sei auch eine Schlager-Fänin, und, ja, ja, sie fände das alles ganz toll. Eine derart hysterische Rothaarige gilt bei Werbeexperten als Mega-Gau, und für die taz bedeutete das nicht weniger, als dass das gar nicht schlechte Lied »Herz aus Eis« ihrer wirklich guten Sängerin Senait von Beginn an diskreditiert war. Frau Roth sorgte für den Sedlmayr-Effekt.

Die Bild-Zeitung, die in den letzten Jahren zum deutschen Deutungsmedium in Sachen Schlager geworden war, hatte, aus welch dümmlichen – also politischen – Erwägungen auch immer, auf Elmar Brandt und seine Gerd-Show gesetzt, der wohl in der Chefredaktion des Blattes als aktuell einzig glaubwürdiger Kanzlerkritiker gilt. Brandt sang »Alles wird gut«, und er haute mit »Alles wird guter« seinen wirklich besten Gag raus. Das sagt alles. Nur ein auf die Bühne stürmender Chefredakteur Kai Diekmann wäre noch niederschmetternder gewesen.

Die FAZ war am ambitioniertesten und stürzte verdientermaßen am tiefsten. Während die taz-Sängerin Senait noch Vierte wurde, Elmar Brandt nicht zuletzt durch Bild-Marktmacht Dritter, fand sich der Junge mit der Gitarre aka DJMDG als vorletzter von 14 Teilnehmern wieder. Die FAZ wollte, hieß es am Sonntag kleinlaut, »zeigen, dass das scheinbar Unmögliche machbar ist: ein deutscher Popsong. Einfach und gut.«

Der, den die Redaktion für einen Popsonginterpreten hält, kam mit weißer Gitarre, die an Nicole erinnern sollte, auf die Bühne. Die Grand-Prix-Siegerin von 1982 hatte das Ansinnen der Redaktion, ihr gutes Stück einfach zu verleihen, zuvor abgelehnt. DJMDG sang dann »Die Seite, wo die Sonne scheint« und kommentierte seinen Auftritt so: »Für einen Frieden ohne Krieg. Das ist mein Beitrag.« Dabei war das subversive Potenzial und der rebellische Geist des jungen Mannes schon ohne diesen süßen Aufruf zu erkennen: Schließlich ließ er sich von seinem Vater, einem Kirchenmusiker, am Flügel begleiten.

Total engagiert und echt lustig gaben sich also die drei vom Zeitungsregal der Tankstelle, und gerade taz und Sonntags-FAZ – vom Grand-Prix-Moderator Axel Bulthaupt gemeinerweise als »Allgemeine Frankfurter Sonntagszeitung« vorgestellt, denn falsche Nennung des Produktnamens lieben Marketingexperten immer besonders – wollten doch so gerne große Welt spielen.

In der taz hatte Schlagerexperte Jan Feddersen in der Woche vor dem Ereignis auf den Verlierertypen Ralph Siegel eingedroschen, und sogar der Umstand, dass Siegel für seine Entourage mehrere Zimmer im besten Hotel in Kiel gebucht hatte, geriet Feddersen zum Argument, warum es mit dem erfolgreichsten deutschen Schlagerkomponisten und -produzenten bergab ginge.

Auch die FAZ glaubte, sich Spott leisten zu dürfen: Siegel sei »in die Jahre gekommen«, schrieb Alexander Marguier, er wirke »wie ein Lehrer auf Klassenfahrt«, und ohne ärztlichen Beistand stehe Siegel den Abend gewiss nicht durch.

Gewonnen hat an jenem Abend aber dann doch nicht die Zeitungsclique, sondern … ach, lassen wir es doch die FAZ selbst sagen: »Ralph Siegel, der alte Tränensack des deutschen Schlagers, hat noch mal allen gezeigt, wo die Harfe hängt.«

Lou heißt die Künstlerin, die Siegel erfolgreich ins Rennen geschickt hatte und die vor zwei Jahren mit »Happy Birthday Party« schon mal Dritte geworden war. Heuer gewann sie mit »Let’s get happy«, und die folgende Textzeile »Let’s be gay« irritierte besonders die taz-Sippschaft.

»Let’s get happy« ist aber, wie Ralph Siegel zu verkünden wusste, nur das »Lebensmotto« der 39jährigen Künstlerin, die, anders als Siegelgeschöpfe der vergangenenen Jahre, schon über 15 Jahre Bühnenerfahrung verfügt. Das verleitete sie wohl auch zu der realistischen Ankündigung, sie wolle beim europäischen Grand Prix in Riga am 23. Mai »irgendwo einen anständigen Platz holen«.

Der Schlager wird also weiterhin dort gesungen, wo der Schlager hingehört, und die taz- und FAZ-Versuche, mal was zu Gehör zu bringen, das »leicht, aber tief« ist, so Sascha Lehnartz in der Sonntags-FAZ, sind aufs hübscheste gescheitert. Es ist der alte funktionalistische Glaube, die populäre Kultur sei einfach strukturiert und leicht zu imitieren und man müsse sich nur zu ihr hinunterbeugen, um die tumben Massen zu dirigieren, der gescheitert ist. Dieser Gedanke stimmt auch dann, wenn man vermutet, wie die FAZ einen Anonymus zitiert, dass Ralph Siegel »jedes verfügbare Call-Center in Brandenburg angeheuert« hätte, um seiner Kandidatin im zweiten Wahlgang beinahe 150 000 Anruferstimmen zukommen zu lassen.

Siegel konnte, so das Gerücht stimmt, wohl auch noch Geld sparen im Vergleich zum vorigen Jahr, als seine Künstlerin Corinna May gewann. Denn der Versuch der ARD, den Schlager rauszudrängen, der immerhin zum Boykottaufruf der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Schlager führte, hat sich quotentechnisch nicht gelohnt. Während im vorigen Jahr den Sieg von Corinna May 9,75 Millionen Zuschauer sahen, im Jahr 2000, als Stefan Raab siegte, sogar über zehn Millionen, konnte das taz-, FAZ-, Bild- und Siegel-Angebot dieses Jahr nur 5,64 Millionen Zuschauer erreichen.