Im Innern Indiens

Im indischen Bundesstaat Himachal Pradesh haben die Hindunationalisten eine Wahlschlappe erlitten. von eric töpfer

Schnee und Regen hatten den geplanten Auftritten indischer Spitzenpolitiker einen Strich durch die Rechnung gemacht. Doch gekommen waren sie alle in den kleinen Himalayastaat Himachal Pradesh: Für die hindunationalistische Bharatiya Janata Party (BJP) waren u.a. Premierminister Atal Behari Vajpayee, Innenminister Lal Krishna Advani und Parteichef Venkaiah Naidu angetreten. Für die oppositionelle Kongresspartei war die Vorsitzende Sonia Gandhi mit prominenten Parteiveteranen und Ministerpräsidenten angereist.

Am 26. Februar wurde in vier indischen Bundesstaaten gewählt. Während in den nordostindischen Bundesstaaten Meghalaya, Nagaland und Tripura der Bürgerkrieg und das Verhältnis zur Zentralregierung den Wahlkampf bestimmten, galt die Wahl in Himachal Pradesh als Indikator für die Anziehungskraft der radikaler werdenden Parolen der in New Delhi regierenden BJP.

Als Test zum Auftakt eines Wahlmarathons, der im nächsten Jahr mit den Unterhauswahlen enden wird, wurde sie von etlichen Kommentatoren bezeichnet, insbesondere für die BJP, von der es noch vor kurzem schien, dass sie nach dem furiosen Aufstieg zur stärksten politischen Kraft Indiens ihren Zenit überschritten habe.

Eine Serie von Niederlagen der BJP selbst in ihren traditionellen Hochburgen setzte sich Anfang des letzten Jahres im bevölkerungsreichsten Staat Uttar Pradesh fort. Doch nur Tage danach geschah in Godhra im westindischen Gujarat ein Brandanschlag, den die BJP für sich zu nutzen verstand. 58 Menschen, überwiegend Aktivisten des radikalen Weltrates der Hindus starben damals in einem Zug, der von extremistischen Muslimen angezündet worden war. Angeblich steckte dahinter eine muslimische Verschwörung.

Es folgten die schlimmsten Pogrome seit Indiens Unabhängigkeit: 2 000 Muslime wurden in Gujarat von militanten Hindus ermordet, Zehntausende wurden vertrieben.

Trotz seiner zwielichtigen Rolle während der Massaker wurde der Ministerpräsident Gujarats, Narendra Modi, im Dezember mit einer Zweidrittelmehrheit im Amt bestätigt. Er hatte Gujarat mit einer Kampagne der Angst und des Hasses überzogen, die immer wieder den Anschlag von Godhra beschwor, aber die Wochen danach nicht erwähnt.

Modis überwältigender Wahlsieg elektrisierte das hindunationalistische Netzwerk. »Das Labor des Hindutums hat zu funktionieren begonnen. Die Hindunation kann in den nächsten zwei Jahren erwartet werden. Wir werden Indiens Geschichte und Pakistans Geographie verändern«, triumphierte der Generalsekretär des Weltrates der Hindus.

Ganz so radikal wollte sich die BJP-Spitze nicht äußern. Man wolle sich weder vom gemeinsamen Programm der von der BJP geführten Koalitionsregierung verabschieden, noch eine Politik der Ausgrenzung verfolgen.

Wie die Strategie nach den Wahlen in Gujarat aussehen könnte, umriss der Vorstand im Dezember: Man wolle die Kongresspartei bekämpfen und die innere Sicherheit thematisieren. Kritiker des neuen Antiterrorgesetzes wurden ebenso diffamiert wie Migranten aus Bangladesh zur Bedrohung für die nationale Sicherheit erklärt. Dass auch einheimische Muslime Opfer angekündigter Repatriierungen werden könnten, wurde nicht erwähnt. Offen antimuslimische Töne wurden jedoch weitgehend vermieden.

Stattdessen kündigte der Vorstand eine Kampagne gegen die als »Beschwichtigung« kritisierte Minderheitenpolitik seiner Gegner an. Einen Vorgeschmack bot die Forderung eines Verbots des »Religionswechsels mit betrügerischen Mitteln«. Es wendet sich gegen den Übertritt von Kastenlosen zum Christentum, Islam oder Buddhismus, den die diskriminierten Unberührbaren immer häufiger vollziehen, um aus ihrer Unterdrückung auszubrechen.

Vorerst scheint sich Premier Vajpayee gegen eine exklusive Hindunation durchgesetzt zu haben. Er betonte den integrativen Charakter des Hindutums, das Platz für alle Religionsgemeinschaften biete. Unerwähnt ließ der Premier allerdings, dass auch nach seiner Vorstellung die Anpassung an eine vermeintlich hinduistisch geprägte indische Leitkultur die Eintrittskarte zur Hindunation ist.

Mit dem Aufstieg der BJP zur Volkspartei sind die Interessen ihrer Basis und ihrer Wähler vielfältig geworden. Die Führung ist sich sehr wohl bewusst, dass sie daher mit verteilten Rollen spielen muss. So fanden in Himachal Pradesh Themen wie ein Kuhschlachtungsverbot oder der Bau eines Tempels auf dem Gelände der 1992 zerstörten Babri-Moschee in Ayodhya nur am Rande Erwähnung. Im Zentrum der Kampagne standen »Good Governance« und Entwicklung. Begleitet wurde sie allerdings von der Ankündigung eines Verbots von Religionsübertritten in Gujarat sowie dem wachsenden Druck der Zentralregierung auf den Obersten Gerichtshof, eine Entscheidung in Sachen Ayodhya zu treffen.

Mit 75 Prozent war die Wahlbeteiligung in Himachal Pradesh außergewöhnlich hoch. Das Ergebnis war eindeutig: Die Verliererin hieß BJP, deren Fraktion halbiert wurde. Die neue Regierung wird die Kongresspartei stellen, die in 40 der 68 Wahlkreise gewann. Sonia Gandhi kommentierte befriedigt, dass »die so genannte Hindutva-Welle nicht wie erwartet funktioniert« habe.

Zu früh freuen sollte sie sich jedoch nicht. Beide großen Parteien haben Stimmen an kleinere Konkurrenten verloren. Das schlechte Abschneiden der BJP ist im Wesentlichen auf das Scheitern von Wahlabsprachen mit einem ehemaligen Koalitionspartner und auf innerparteiliche Machtkämpfe zurückzuführen.

Die Wahlen im indischen Nordosten konnte die Kongresspartei mit Ausnahme Meghalayas nicht für sich entscheiden. In Nagaland wurde sie von einer Koalition unter Beteiligung der BJP abgelöst, und in Tripura halten sich die Kommunisten an der Macht. So machte die BJP-Führung »organisatorische Schwächen« für die Niederlage verantwortlich und mahnte die Partei zur Geschlossenheit. Am besten ließ sich die Basis in der Vergangenheit mit Hindutva-Parolen mobilisieren. Die nächste Wahlrunde in Rajasthan, Madhya Pradesh und Delhi wird im Herbst zeigen, wie dies gelingt.

Fraglich bleibt, ob das vom Parteichef Naidu gesteckte Ziel, eine absolute Mehrheit bei den gesamtindischen Unterhauswahlen, erreichbar ist. Zwar prophezeite ein großes Nachrichtenmagazin der von der BJP geführten Koalition 320 der 545 Sitze. Doch der Wahlsieg von 1999 war ja – anders als in dieser Kampagne – ein Ergebnis der Kompromissbereitschaft der BJP.