Geld oder Leben

50 Cent hat ein beängstigend großartiges Album herausgebracht. von tobias rapp

Fast hatte man vergessen, dass es dieses Genre überhaupt noch gibt. Gangsta-Rap, ist da noch was? Doch das Zeitalter des bling bling, die Ära, in der es im HipHop zuerst um das Darstellen des eigenen Erfolgs und Reichtums ging, neigt sich dem Ende zu. An allen Ecken brechen Fehden los, Beleidigungen werden hin- und hergeschickt, und mitunter wird sogar aufeinander geschossen, zuletzt vor zwei Wochen auf Irv Gotti, den Chef des Label Murder Inc., gegen das das FBI wegen Verdachts auf Verbindungen zum organisierten Verbrechen ermittelt.

Die Zentralfigur dieser Szene ist 50 Cent, dessen beängstigend grandioses Album »Get Rich Or Die Tryin« von Null auf Eins der Billboard-Charts schoss. 50 Cent, mit bürgerlichem Namen Curtis Jackson, hat eine Biografie, die sich liest, als sei er für seinen Job gecastet worden. Seinen Vater hat er nie kennen gelernt, seine Mutter wurde ermordet, als er acht Jahre alt war. Er wuchs bei seinen Großeltern, auf der Straße und in staatlichen Besserungsanstalten auf. Sein Geld verdiente er mit dem Verkauf von Drogen. Und wie das an den Straßenecken von Queens so üblich ist: Wenn gerade keine Kundschaft kleine Briefchen in die Hand gedrückt haben wollte, rappte er vor sich hin. Das brachte ihn schließlich in das Studio von Jaymaster Jay, dem DJ der HipHop-Pioniere Run DMC. Deren große Zeit war zwar lange vorbei, Jay hatte sich aber von seinem Geld ein Studio eingerichtet, in dem er den Jungs aus der Nachbarschaft beibrachte, wie man das Gerappe von der Straßenecke in richtige Tracks umwandelt.

Schon bald war 50 Cent gesuchter Rapper für Mixtapes, die man in New York an eben jenen Straßenecken auch kaufen kann, und die für HipHop eine ähnliche Rolle spielen, wie die Piratensender für den Londoner Garage-Sound. Es sind Kassetten oder gebrannte CDs, auf denen über die Instrumentals der aktuellen Hits gerappt wird und auf denen verhandelt wird, wie in der HipHop-Szene gerade der Stand der Dinge ist. Wer mit wem Ärger hat, welcher Stadtteil und welche Gang gerade die Nase vorn haben. Diese Mixtapes sind schneller als jede Plattenfirma. Wird hier irgendjemand beleidigt, ist Tage später schon eine Antwort auf dem Markt, hat jemand Erfolg, dauert es nur wenige Wochen, bis Dutzende von neuen Versionen dieses Hits auf dem Markt sind. 50 Cent wurde der König der Mixtapes und damit der König der New Yorker Straßen.

Nun geht es bei diesen Tapes zum einen darum, schnell ein paar Dollar zu verdienen, zum anderen aber will man sich eine Reputation errappen, um an einen Majorplattenvertrag zu kommen. 1999 unterschrieb 50 Cent bei Columbia. »How To Rob«, ein Stück, in dem er so gut wie jeden Rapper beleidigte, der in New York ein Mikrophon halten kann, war zwar ein sofortiger Erfolg, führte jedoch auch dazu, dass 50 Cent im April 2000 nach einer Schießerei mit neun Kugeln im Leib für mehrere Monate ins Krankenhaus musste. Columbia ließ ihn fallen, das Album wurde nicht veröffentlicht.

Hier kommen Eminem und Dr. Dre ins Spiel. Als niemand etwas von 50 Cent wissen wollte, verkündete Eminem, dass er ihn für den besten Rapper halte, den es im Augenblick gebe, und nahm ihn für sein neues Label unter Vertrag, und Dr. Dre erklärte sich bereit, das Album »Get Rich Or Die Tryin« zu produzieren. Ein Titel, der als Motto über dem gesamten Schaffen von Dr. Dre stehen könnte, des größten HipHop-Produzenten aller Zeiten: Einige seiner Schützlinge sind inzwischen reich (Ice Cube, heute Schauspieler und Komödienfilmproduzent, Snoop Dogg, heute Hanf-Lobbyist und Pornofilmproduzent, Xzibit, immer noch Gangsterrapper, Eminem, berühmtester Rapper der Welt und seit neuestem Labelbetreiber); die anderen sind auf dem Weg zum Reichtum verstorben (Eazy E, tot und fast vergessen, Tupac Shakur, tot und unsterblich). Wie die 50-Cent-Show ausgehen wird ist noch offen.

Tatsächlich ist das Beängstigende an »Get Rich Or Die Tryin«, in welchem Maße der Hype um die Platte darauf spekuliert, dass ihr Protagonist irgendwann ums Leben kommen könnte. Jeder Reality-TV-Produzent dürfte vor Neid blass werden. Wenige Wochen vor Erscheinen wurde eine Gewehrsalve gegen die Tür der Management-Agentur, die 50 Cent vertritt, abgefeuert und die Narben der diversen Kugeln, die ihn schon getroffen haben, kann man auf dem Plattencover bewundern. Sein Grinsen ist deshalb immer ein wenig schräg, weil eine Kugel seinen Kiefer versehrte. Das Marketing dieser Platte erinnert an die paranoiden Plots von Hollywood-Filmen der Achtziger, in denen Strafgefangene auf einem Hindernis-Parcours ausgesetzt werden, um dann von Killerteams gejagt zu werden. Schaffen sie es nach draußen, sind sie frei. Mit einem Unterschied: 50 Cent steht darauf. Das Einzige, wovor er Angst hat, sei, jemals wieder arm zu sein, sagte er der New York Times. Man kann davon ausgehen, dass er all die Fehden, in die er verwickelt ist, willentlich in Gang gesetzt hat, weil er weiß, dass er so die maximale Aufmerksamkeit erregen kann, weil er weiß, dass die Regeln des HipHop es verlangen, Beleidigungen nicht auf sich sitzen lassen zu können.

Das würde allerdings nicht funktionieren, wäre »Get Rich Or Die Tryin« nicht eine so großartige Platte. Die technoiden Beats von Dr. Dre und Eminem rollen so unaufhaltsam wie der gepanzerte Jeep, in dem 50 Cent sich fortbewegt, unterbrochen von sporadischen Synthesizerfanfaren, die sich anhören, als würde ein gehetzter Fliehender aufschrecken. Die Stücke tragen Titel wie »Many Man (Wish Death On Me)«, »High All The Time«, »Blood Hound« oder »Gotta Make It To Heaven«.

50 Cent rappt mit der bekifften Abgeklärtheit desjenigen, der dem Tod zu oft ins Auge geblickt hat, um noch irgendetwas zu fürchten. »I feel mighty bullettproof right now«, heißt es in »If I Can’t«. Es ist eine verkommene Welt, die diese Platte beschreibt, eine Welt, für deren Bewohner Himmel und Hölle keine Orte der Hoffnung oder der Angst sind, sondern Gegenden, in denen man sich regelmäßig herumtreibt. Selbst der Reichtum ist eher Vorwand, weiter zu machen, als Erlösung versprechendes Ziel.

Als wäre er ein in allen Überlebenstechniken ausgebildeter Einzelkämpfer, der sich durch ein von Gangstrukturen und Clanloyalitäten bestimmtes Gelände schlagen muss, bewegt sich 50 Cent durch den HipHop. Wie eine Durchhalteparole murmelt er immer wieder: »Gotta make it to heaven before I go to hell.« Jeden humanistischen Rest, den man mit viel Mühe in den meisten Gangsta-Rap-Platten immer noch aufspüren konnte, sucht man hier vergebens. Die Geschichten vom tödlichen Leben der Straße zu erzählen, ist hier keine Rettung vor diesem Leben, sie sind die Verlängerung der Straße.

50 Cent: »Get Rich Or Die Tryin«. Shady Records/Interscope