Der Kanzler will es wissen

Vor der Rede Schröders von felix klopotek

Um wie viel faschistischer wird Deutschland nach der Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede Gerhard Schröders?

Das ist keine Frage, die man heute sonderlich ernst nehmen würde. Die einen sehen darin eine Verharmlosung der Vergangenheit, setzen dabei aber den Faschismus und den Nationalsozialismus gleich. Die anderen verweisen auf das vermeintlich Ironische und Postmoderne, dass dem Ritual der Kanzlerrede und ihrer Inszenierung innewohnt. Alles halb so wild, am Ende werde doch nur der »notwendige Umbau des Sozialstaates« vollzogen.

Die Vertreter beider Positionen vergessen aber in ihrer Argumentation die Ausstiegsklausel in der Geschäftsordnung der bürgerlichen Gesellschaft für den Fall der verschärften Krise: die autoritäre Krisenverwaltung, ausgeübt vom Staat, der die Interessen der herrschenden Klasse durchsetzt. Das darf man durchaus Faschismus nennen.

Also, um wie viel faschistischer wird Deutschland nach dem 14. März?

Schröder plant keinen Putsch, er hat drei Wahlen verloren und außenpolitisch vielleicht zu viel riskiert. Die angekündigte Rede ist ein mediales Spektakel, ein Moment des normalen Verblendungszusammenhanges, mehr nicht.

Einspruch: Obwohl die Inszenierung der Politik kulturindustriell vermittelt ist, heißt das noch lange nicht, die Politik erschöpfe sich in dieser Inszenierung. Dass Schröder, schlecht vorbereitet, am Rosenmontag die obersten Funktionäre der Gewerkschaften und der Unternehmerverbände zum Gespräch einlädt, unmittelbar danach eine Rede ankündigt, die Kommentatoren messerscharf folgern, Schröder nehme die Wahlschlappen und das Hickhack des letzten halben Jahres endlich ernst – dieses Spiel ist zu billig, um es als Manipulation abzutun.

All das Gerede von der postmodernen Politik lässt nämlich außer Acht, dass die Situation vieler Lohnabhängigen in Deutschland alles andere als postmodern ist. Nicht wie Schröder das Spiel spielt, sondern dass er es spielt, ist entscheidend. Immer mehr Menschen sind der festen Überzeugung, dass ihnen gar nichts anderes übrig bleibt, als Schröder ernst zu nehmen.

Auch nach dem Ende des Bündnisses für Arbeit beginnt nicht der Klassenkampf. Denn gerade dieses Bündnis demonstrierte ja die Selbstaufgabe der Gewerkschaften. Und die Leerstelle besetzt der Kanzler. Er mag ein albernes Ritual aufführen, aber alle sind sich einig, dass das irgendwie sein muss. Da habe jemand die Signale verstanden, nun würden alle in die Pflicht genommen.

Niemand fragt sich, wie ein solcher Vorgang zu einer ach so aufgeklärten Demokratie passe. Oder zu einer rot-grünen Zivilgesellschaft, die selbst ihre Kriege komplex-moralisch legitimiert. Und erst recht fragt sich niemand, ob nicht das »Schluss mit lustig« des Kanzlers eine logische Folge der verblichenen Spaßkultur der Neuen Mitte ist.

Brot und Spiele nannte man das im protofaschistischen Cäsarenreich. Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet, wusste Carl Schmitt. »Kanzler will schmerzhafte Reformen«, titelte die Frankfurter Rundschau. Noch einmal: Um wie viel faschistischer wird Deutschland nach dem 14. März?