Wer will schon Botschaften?

HipHop steht in der Tradition des uneigentlichen Sprechens und taugt nicht als Medium des korrekten Lebens. von tobias rapp

Alle paar Jahre erhebt sie wieder ihr Haupt, die lange und elende Debatte um Pop und politische Korrektheit. Elend nicht etwa, weil das Thema so zäh und langweilig wäre, im Gegenteil, es scheint wichtig genug zu sein, dass sich mit schöner Regelmäßigkeit darüber gestritten werden muss. Elend deshalb, weil die Argumente die immer gleichen sind und die Debatte trotzdem oder vielleicht gerade deshalb nie voran kommt.

Rammstein, Marilyn Manson, Eminem und nun Kool Savas: Immer wieder bringen böse Buben Schallplatten heraus und immer wieder rufen die einen: »Sexismus! Rassismus! Homophobie! Misogynie! Gewaltverherrlichung! Menschenverachtung!« Und die anderen antworten: »Ist doch alles nicht so gemeint, ist doch nur Kunst, seid ihr etwa für Zensur?« Manche sagen auch: »Ist zwar so gemeint, aber nur, weil die Welt da draußen auch wirklich so schlimm ist. Diese Musik transportiert die Wut und den Ärger über ungerechte Verhältnisse. Sie mag zwar manchmal vom falschen Bewusstsein getragen sein, aber die Wut ist authentisch.« Und eine kleine, ganz schlaue dritte Gruppe gibt schließlich zu bedenken, alles seien doch nur Produkte der Kulturindustrie: »Scheinbare Tabubrüche übersetzen sich in reale Plattenverkäufe. Wer die Tabus weiter hochhält, spielt das Spiel dieser Industrie nur mit. Am besten man schaut zu und genießt das Spektakel.«

Ja, worum geht es denn wirklich? Muss das wirklich so sein? Warum können sich Leute, die über so komplizierte Fragen wie der nach einer gerechteren Weltwirtschaftsordnung einer Meinung sind, in einer solchen vergleichsweise einfachen Frage wie die, ob eine Platte gut ist oder schlecht, nicht einigen?

Vielleicht weil recht selten über die eigentliche Platte gestritten wird (auch in diesem Fall nicht, denn ich kenne das Kool Savas-Album nicht, nach allem, was ich darüber gehört habe, könnte es mir vielleicht gefallen, aber das heißt gar nichts). Stattdessen vermischen sich zahlreiche Diskurse zu einem großen Durcheinander, dass das Ja oder Nein zu einer Platte oder zu einem Künstler eben nur scheinbar ordnet.

Denn damit fängt es schon an: Geht es um einen Künstler oder geht es um seine (oder ihre) Kunst? Kann man das überhaupt ohne weiteres trennen? Kunst, so könnte man sagen, darf alles, Künstler dagegen nicht? Aber macht diese Unterscheidung in der Popkultur überhaupt Sinn, wo eine Platte genauso wichtig ist wie ein Interview, ein Konzert genauso wichtig wie Klatsch und Tratsch? Geht es in der Popmusik überhaupt um Musik (die Frage, ob es in der Popmusik vielleicht wieder um Musik gehen sollte, wäre auch so eine Diskussion, die zu führen sich lohnen könnte)?

Aber das ist noch nicht alles. Unterschiedliche Leute erwarten Unterschiedliches von Popmusik. Die einen wollen Popmusik, die sie in ihrer eigenen Existenz bestätigt, die ihnen sagt, dass das, was sie tun und glauben, richtig ist. Andere dagegen wollen von Popmusik genau das Gegenteil, sie soll ihnen genau das geben, was die Realität nicht bereithält: bei Stubenhockern ist dies Aufregung, Intensität, auch Gewalt, bei Leuten, deren Alltag schon aufregend und intensiv genug ist, gibt es oft ein Bedürfnis nach Ruhe, das sie dann in der Popmusik zu befriedigen suchen. Dazwischen gibt es noch ungezählte Mischformen.

»Jetzt aber mal Schluss hier mit dem ganzen relativierenden Gelaber!«, höre ich schon die ersten rufen: »Was ist denn jetzt deine Meinung?« Rammstein gefallen mir nicht (auch wenn mir die Attraktivität des Germano-Übermenschen-Gestus sofort einleuchtet, manchmal will man es eben hart besorgt bekommen). Marilyn Manson finde ich okay (auch wenn mich der Antichrist-Sadomasobarock-Übermenschen-Gestus leider nicht so richtig abschockt). Eminem halte ich für einen der größten Künstler der Gegenwart. Über Kool Savas weiß ich nichts.

Dass in der HipHop-Szene Homophobie und Sexismus eher die Regel sind als die Ausnahme (wie auch im Rest der Welt) ist auch mir nicht verborgen geblieben. Ob man sich davon den Spaß verderben lassen möchte, oder es bevorzugt darauf hinzuweisen, dass im amerikanischen HipHop eine Tradition des uneigentlichen Sprechens wirkt, auf die sich auch deutsche HipHopper gerne berufen, und dass eben tatsächlich nicht immer alles so gemeint ist, wie es von außen aussehen mag, diese Entscheidung überlasse ich gerne jedem Einzelnen.