Rein in den Kalten Krieg!

Der Zerfall der Nato begünstigt die Bildung eines eurasischen Blocks unter Einfluss Russlands. Das alte Europa macht sich auf den deutschen Weg. von anton landgraf

Raus aus der Nato, rein ins Vergnügen«, hieß in den achtziger Jahren eine beliebte linksradikale Parole. Was im Kalten Krieg noch illusorisch schien, ist heute durchaus möglich. Doch die Demonstranten, die in München anlässlich der Sicherheitskonferenz gegen die Nato auf die Straße gingen, täuschen sich, wenn sie glauben, sie seien die einzigen Feinde der Allianz. Die mächtigsten Gegner des Bündnisses sitzen mittlerweile in dessen eigenen Reihen.

Bei dem Konflikt in der Nato geht es schon längst nicht mehr um die Frage eines möglichen Krieges gegen den Irak. Vielmehr stellt Bundeskanzler Gerhard Schröder mit seinem »Pickelhauben-Pazifismus« (SZ) den Machtanspruch der USA in Frage. Die Aussicht, dass die Vereinigten Staaten im Nahen Osten triumphieren könnten, ist für ihn ein größeres Übel als das irakische Regime in Bagdad. Und auch die bürgerliche Mitte hat sich mittlerweile seinem »deutschen Weg« angeschlossen. Aktuellen Umfragen zufolge hält die Mehrheit der Deutschen den US-Präsidenten George W. Bush für gefährlicher als Saddam Hussein. Unterstützung bekommen diese Überlegungen auch von der friedensbewegten Linken. Sie sehen in der Haltung der Bundesregierung die Alternative zu den verhassten USA und fürchten nur, dass Schröder nicht konsequent genug sein könnte. Ein Zerbrechen der transatlantischen Allianz wäre für sie ein Erfolg über die Schurken im Weißen Haus.

Dass es in der Nato krachen würde, zeichnete sich schon bei ihrer Tagung in Prag im vergangenen November ab. Die europäischen Mitgliedsstaaten stimmten damals zwar noch zähneknirschend zu, die wichtigsten Einheiten der neuen EU-Eingreiftruppe der Nato zu unterstellen. Doch die Vorbehalte gegen die »europäische Fremdenlegion für die USA« (New York Times) waren mehr als deutlich. Bereits am nächsten Tag sprachen sich Gerhard Schröder und der französische Staatspräsident Jacques Chirac dafür aus, schleunigst den Ausbau einer europäischen Armee voranzutreiben.

Dahinter steht der schlichte Gedanke, dass Europa die Nachfolge der Sowjetunion als Gegenspieler der USA übernehmen solle. In dieser Absicht ist sich die politische Klasse in Deutschland und Frankreich zwar weitgehend einig, nur was das Tempo anbelangt, gehen die Meinungen auseinander. Dass Schröder innerhalb weniger Monate von der bedingungslosen Solidarität zur hemmungslosen Konfrontation mit den USA überging, beunruhigt bisweilen selbst überzeugte Anti-Amerikaner.

Denn bis die Europäer die materiellen Voraussetzungen dafür geschaffen haben, die Rolle eines neuen global player, zu übernehmen, wird schließlich noch einige Zeit vergehen. Bislang reichen die militärischen Kapazitäten gerade mal für den Balkan, auf den Mittleren Osten oder Asien ist man in Paris und Berlin noch nicht vorbereitet.

Der Marsch aus der Nato könnte sich allerdings erheblich beschleunigen, wenn es gelänge, Russland in ein Bündnis gegen die USA einzubinden. Mit Hilfe seiner atomaren Streitkräfte könnte tatsächlich ein militärisches Gegengewicht zu den USA entstehen, der Einflussbereich der Europäer würde strategisch bis in den Fernen Osten ausgedehnt.

Die Vorstellung von einem eurasischen Machtblock ist in Russland nicht nur bei der nationalbolschewistischen Fraktion äußerst beliebt. Auch der überwiegende Teil der Armee ist überzeugt, dass Präsident Wladimir Putin mit seiner »Partnerschaft« mit dem alten Erzfeind USA bereits die Grenze zum Landesverrat überschritten hat.

Ob sich nun die neue Bourgeoisie durchsetzt, die sich viel von der wirtschaftlichen Kooperation mit Großbritannien und den USA verspricht, oder die russischen Patrioten, die sich lieber auf Weg nach Europa begeben wollen, wird sich zeigen. Unzweifelhaft hingegen ist, dass sich die neuen östlichen EU-Beitrittskandidaten bei aller Liebe zu Washington auf Dauer kaum dem ökonomischen Druck aus Brüssel entziehen können. Spätestens wenn die nächsten Verhandlungen über die Agrarsubventionen stattfinden, werden die Regierungen in Warschau und Budapest, aber auch in Lissabon und Athen, ihre Haltung zu Deutschland intensiv überdenken.

Bislang wird der transatlantische Machtkampf noch zwischen Diplomaten und in den Feuilletons ausgetragen. Doch aus dem möglichen Zerfall der Nato ergeben sich keine emanzipatorische Perspektiven. Eine eurodeutsche Hegemonialmacht, die mit den USA konkurriert, bedeutet schließlich kein Vergnügen, sondern kalte Krieger.