Loch im Kopf

Der EU-Außenkommissar gerät wegen der Finanzhilfen an die palästinensische Autonomiebehörde in Bedrängnis.

Ich brauche einen Untersuchungsausschuss zu diesem Thema wie ein Loch im Kopf.« Möglicherweise wird EU-Außenkommissar Christopher Patten, von dem das Zitat stammt, den Ausschuss womöglich doch bekommen. Gemeint sind die EU-Zahlungen an die Palästinensische Autonomiebehörde (PA), die sich seit 1993 auf etwa 1,4 Milliarden Euro belaufen. Dokumenten zufolge, die die israelische Armee im Frühjahr 2002 bei der »Operation Schutzschild« im Hauptquartier des PA-Vorsitzenden Yassir Arafat in Ramallah sicher stellte, flossen diese Gelder auch in antisemitisch motivierte Terroranschläge und in Schmiergeldfonds (Jungle World, 32/02).

Dass die linke Europaabgeordnete Ilka Schröder nunmehr über 170 Unterstützer gefunden für ihren Antrag und das erforderliche Quorum von einem Viertel der Mitglieder des Europaparlaments (EP) erreicht hat, dürfte Patten besonders ärgern. Hat er doch bis zuletzt mit allen Mitteln versucht, die Einsetzung des Ausschusses zu verhindern. So beschwerten sich hinter vorgehaltener Hand einige Abgeordnete des EP über den Druck, den die Kommission auf sie ausübe, den Antrag nicht zu unterzeichnen. Immer wieder auch führte Patten wortreich aus, mit den Zahlungen sei alles in Ordnung. Die Kommission habe beispielsweise den Internationalen Währungsfonds (IWF) mit strengen Prüfungen beauftragt, und dabei sei nichts Problematisches entdeckt worden.

Dass allerdings ein hoher Repräsentant des IWF im Juni gegenüber dem Wall Street Journal offen zugestand, seine Institution prüfe lediglich die buchhalterische Richtigkeit des Haushaltes des PA, verschweigt Patten lieber. Dass die israelische Armee immer wieder neue Dokumente veröffentlichte, die die Verstrickung Arafats und der von ihm kontrollierten Organisationen in Dutzende von Mordanschlägen auf israelische Bürger belegen – für Patten unbewiesene Behauptungen. Dass selbst das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung, eine formal unabhängige, aber faktisch der Kommission nahe stehende Institution, Anfang Februar eine eigene Untersuchung ankündigte und einen Anfangsverdacht einräumte, ist für Patten nur »ganz natürlich«.

Einer von Pattens wichtigsten Verbündeten im Kampf gegen eine intensive Untersuchung kommt aus Deutschland. Der sozialdemokratische EP-Abgeordnete Jannis Sakellariou, früher Direktor der Bundeswehrhochschule München, behauptete im Januar in einem Schreiben an seine Kollegen, es gebe eine »hoch dubiose Studie«, die die Kampagne für einen Untersuchungsausschuss vehement unterstütze. Nachdem Sakellariou geschickt diese Verbindung konstruiert hat, setzt er auf die Kraft der Suggestion: Er hoffe, man habe »es in diesem Fall nicht mit irgendeinem bestimmten Geheimdienst zu tun«. Den Bundesnachrichtendienst wird er wohl nicht gemeint haben.

Dagegen konstatierte selbst der neue Finanzminister der Automoniebehörden, Salam Fayyad, Mitte Januar in der britischen Times: »Natürlich gab es Korruption. Bei einem System, das so offen für Missbrauch ist, wäre ich naiv und unglaubwürdig, wenn ich sagen würde, ein solches System wurde nicht missbraucht.«

Für die parteilose Ilka Schröder allerdings ist die Korruption nicht das Hauptproblem. Ihr geht es »nicht nur um Betrug und Korruption, sondern um die Frage, ob die EU augenzwinkernd zuschaut, wenn Fördermittel für die Ermordung von Juden verwendet werden. Ein Versickern europäischer Steuergelder in privaten palästinensischen Swimmingpools und Beamtenportmonees wäre hierzu noch die bessere Alternative.«

Trotzdem lehnte in der vergangenen Woche die Konferenz der Fraktionsvorsitzenden im EP die Einrichtung des Ausschusses ab. Allerdings ist es zweifelhaft, ob sie dazu überhaupt berechtigt ist. Vorsorglich bestellte Pat Cox, der Präsident des EP, ein juristisches Gutachten. Sollte der Ausschuss dieses Hindernis doch noch überspringen, müsste das Plenum des EP zustimmen. Angesichts der mehrheitlichen Ablehnung der Konservativen und der Sozialdemokraten, der beiden größten Fraktionen, gilt dies als nicht sehr wahrscheinlich.

Zudem hat ein wichtiges Argument der Gegner intensiver Untersuchungen in den letzten Wochen scheinbar an Gewicht gewonnen. Demnach müssen gemäß gültiger Verträge den palästinensischen Behörden von Israel in den Autonomiegebieten erhobene Zoll- und Steuereinnahmen ausgezahlt werden.

Das ist zwar richtig, richtig ist aber auch, dass Arafat gemäß der Verträge keine Intifada gegen Israel unter Verwendung schwerer Waffen und Selbstmordbomber führen dürfte. Trotzdem hat Israel die Zahlungen seit Dezember 2002 wieder aufgenommen. Deshalb, so lautet das Argument, könne an den EU-Zahlungen ja nichts auszusetzen sein. Dieser Zynismus verkennt allerdings den entscheidenden Unterschied. Israel zahlt, weil es muss, die EU zahlt, weil sie will.

Dass Israel die Zahlungen nicht gerade freiwillig wieder aufgenommen hat, kommt auch in übereinstimmenden Berichten der israelischen Jerusalem Post und der palästinensischen Jerusalem Times zum Ausdruck. Die Überweisungen seien den Artikeln zufolge auf Veranlassung der USA erfolgt. Die Absicht der amerikanischen Regierung ist es anscheinend, trotz ihrer Ablehnung der derzeitigen palästinensischen Führung auf diese Weise deutlich zu machen, dass sie sich um das Wohl der dortigen Bevölkerung sorgt.

Yassir Arafat dagegen kennt diese Sorge offenbar nicht. Als sich im Januar 22 palästinensische Organisationen und Verbände in einem Brief an den jordanischen König Abdullah wandten und um finanzielle Hilfe für die Bevölkerung baten, reagierte der PA-Vorsitzende empört. Einige der Verfasser zitierte er in sein Büro, mehreren drohte er sogar mit Gefängnis. Seine Sorge galt augenscheinlich bloß der »Gefahr«, die Hilfe suchenden Gruppen könnten durch die Wiederbelebung historischer Verbindungen mit Jordanien an Einfluss gewinnen.

Derweil zeigt sich die EU kreativ. Nach einer Meldung der israelischen Zeitung Yediot Achronot haben spanische Behörden Anfang Februar erstmals seit dem Inkrafttreten des EU-Assoziierungsabkommens mit Israel Zölle auf eine israelische Warenlieferung erhoben. Gemäß dem Abkommen sind Importe aus Israel von den regulären EU-Einfuhrzöllen befreit. Schon länger hatte es Drohungen aus der EU gegeben, sie wieder zu erheben. Hintergrund dieser Strafaktion ist die Weigerung der EU, den in israelischen Siedlungen in Gaza und in der Westbank hergestellten Produkten die Zollbefreiung zu gewähren.

Die Lieferung nach Spanien stammte vermutlich aber noch nicht einmal aus einer solchen Siedlung. Die israelische Regierung fürchtet jetzt, dass die spanische Aktion möglicherweise nur ein Versuchsballon für eine generelle Verschärfung der EU-Politik in dieser Frage ist. Angesichts der für die EU ärgerlichen Differenzen in der Irakfrage scheint man nun gegenüber Israel umso entschlossener auftreten zu wollen.