»Saddam ist eine sehr populäre Figur«

Itamar Marcus

Palestinian Media Watch in Jerusalem beschäftigt sich seit über fünf Jahren mit den palästinensischen Medien. Zeitungsberichte, Filme und sogar Schulbücher werden übersetzt und ausgewertet, thematisch reicht das Spektrum von politischen Beiträgen über Literatur bis zu Sport und Kreuzworträtseln. Das Institut will ein umfassendes Bild davon gewinnen, wie die palästinensische Gesellschaft dem Staat Israel, den Juden und einem Frieden gegenübersteht.

Itamar Marcus ist der Direktor von Palestinian Media Watch. Mit ihm sprach Jörg Rensmann.

Was, denken Sie, ist das Hauptziel der gegenwärtigen Autonomiebehörde? Wäre sie mit der Gründung eines palästinensischen Staates zufrieden?

Die Autonomiebehörde definiert der eigenen Bevölkerung gegenüber auf Arabisch – und das werden Sie auf Englisch nicht hören – die Verhandlungen und den gesamten Oslo-Prozess als einen Prozess zur Schwächung Israels. Der Budgetminister im palästinensischen Kabinett namens Abd El Aziz Shahian sagte einer offiziellen palästinensischen Zeitung: »Die Übereinkunft von Oslo sollte kein dauerndes, verbindliches Abkommen sein, sondern dazu dienen, einen festen Stand zu gewinnen, Fuß zu fassen. Aber unsere Ziele bleiben die der Revolution von 1965.«

Die »65er-Revolution« begann, als die Westbank und der Gaza-Streifen noch Teile Jordaniens und Ägyptens waren. Die PLO entwarf die »65er-Revolution« (d.i. die Gründungscharta der PLO; J.R.), um Israel zu zerstören. Der Minister sagt damit nichts anderes, als dass ihr Ziel nach wie vor die Zerstörung Israels ist.

Wir haben viele entsprechende Verlautbarungen politischer, akademischer und religiöser Führer aus ganz Palästina. Muhammad Ibrahim Maadi, ein religiöser Führer der Autonomiebehörde, sagt immer wieder im Freitagsgebet, das vom palästinensischen Fernsehen übertragen wird: »Wir werden Haifa als Eroberer betreten, Jaffa als Eroberer betreten, Jerusalem als Eroberer, Ashkalon …«, er nennt alle israelischen Städte, und das ist es, was sie ihre Bevölkerung lehren.

Gibt es Beispiele für die Unterstützung der palästinensischen Selbstmordanschläge durch die Autonomiebehörde, die sich in den Medien niederschlägt?

Wir stellen eine offene Glorifizierung der Selbstmordattentäter in den offiziellen Medien fest. Nehmen wir zum Beispiel Wafa Idris, die erste Selbstmordattentäterin, die für palästinensische Frauen und Mädchen zu einem Symbol geworden ist, gerade durch die Autonomiebehörde. Wir sahen Abbildungen junger Mädchen in der Zeitung, die auf einem Gedenkmarsch Bilder von Idris mit sich führten und sie durch Gesänge ehrten.

Es gibt kleine Cartoons in den täglichen offiziellen Mitteilungen der Autonomiebehörde, die das »Heldenhafte« des jeweils letzten Selbstmordanschlages behandeln. Das geht kontinuierlich so. All diese Artikel beziehen sich immer wieder auf den islamischen Begriff des Shahid. Das ist eine Person allerersten Ranges in der gesellschaftlichen Hierarchie, eine Person der höchsten Ehre in der islamischen Gesellschaft, und dieser Begriff wird bezogen auf die Selbstmordattentäter.

Eine Art Märtyrertum?

Es geht darüber hinaus; in der islamischen Tradition steht ein Shahid nach dem Tode auf der höchsten Stufe zusammen mit den Propheten. Es ist eine sehr, sehr mächtige religiöse Tradition, die andauert und sowohl den Erwachsenen wie den Kindern vermittelt, dass, wenn sie Israel bekämpfen, dabei sterben und zum Shahid werden, sie die höchsten Ehren nach dem Tode empfangen. Der Terror wird mit dem Begriff des Shahid in Verbindung gebracht, durch den Terror werden diese Leute zu Shahids, empfangen sie im islamischen Denken Lohn und Anerkennung.

Gibt es eine Verbindung zwischen der Autonomiebehörde und den Mördern der Hamas und anderer Terrorgruppen?

Absolut. Viele der Selbstmordattentäter waren von der Hamas, viele von den Al-Aksa-Brigaden, die eine Abteilung der Fatah sind, also Teil der PLO unter Arafat. Die israelische Armee hat Dokumente über Spenden für die Al-Aksa-Brigaden gefunden, unterzeichnet von Arafat.

Welche Rolle spielt der Judenhass in der palästinensischen Ideologie?

Eine signifikante, bedeutende Rolle; ich würde sagen, es ist nahezu der Hauptteil. Palästinenser haben keine Geschichte als Palästinenser, sie haben eine islamische Geschichte, eine arabische. Es ist eine Tatsache, dass die Menschen bis 1948 gemeinsam mit den Juden Palästinas eine palästinensische Identität hatten. Es gibt keine Dokumentation einer palästinensischen Geschichte, um eine eigene Identität zu konstruieren. Der bedeutendste Anteil der palästinensischen Identität besteht aus Hass. Hass auf Israel, Hass auf die Juden.

Lassen Sie uns über 1948 reden. Wie präsent ist das Bild Al-Husseinis, des Mufti von Jerusalem, für die palästinensische Gesellschaft und für Arafat?

Arafat hat Al-Husseini, den Alliierten der Nazis, kürzlich als einen Helden für die Massen bezeichnet. Die nationalistischen Führer, die aufgrund ihrer antijüdischen Ideologie Hitler nahe standen, werden nach wie vor verehrt und von der Autonomiebehörde idealisiert.

Gibt es aktuelle Umfragen, aus denen hervorgeht, was die Palästinenser von einem Friedensschluss mit Israel halten?

Die Mehrheit der Palästinenser will eigenen Umfragen zufolge die völlige Zerstörung Israels. Die aktuellen Fragen beziehen sich auf den laufenden Konflikt; eine Umfrage der Autonomiebehörde von Anfang Januar bezog sich auf die Selbstmordattentate; 60 Prozent befürworten sie. Die überwältigende Mehrheit derjenigen dagegen, die die Mordanschläge ablehnen, tut dies nicht aus moralischen Gründen, sondern weil die Morde der palästinensischen Sache schadeten.

Nennen wir Hanan Ashrawi. Sie hat vor ein paar Monaten eine Petition unterzeichnet, die ein Ende der Selbstmordattentate forderte. Darin hat man die Anschläge nicht als prinzipiell falsch kritisiert. Im Gegenteil: »Militärische Aktionen sollten nur beurteilt werden in ihrer positiven oder negativen politischen Wirkung. Deshalb sind wir gegen Selbstmordanschläge.« Unter den 40 Prozent also, die gegen die Anschläge sind, ist ein signifikanter Teil allein aus taktischen Gründen dagegen.

Können Sie etwas zu dem Vorwurf sagen, dass die Autonomiebehörde Kinder für ihre Zwecke missbraucht?

Die Palästinenser ermutigen ihre Kinder dazu, in vorderster Front zu stehen. Sie haben sie indoktriniert, den Tod im Kampf gegen Israel als die höchste Erfüllung im Leben zu sehen. Wir haben zahllose Filme, die sich auf den Begriff des Shahid beziehen, in denen zehn- bis elfjährige palästinensische Kinder im Fernsehen sagen: »Ich will ein Shahid sein, ich will sterben für Allah!« Und das bezeichnen sie als ihr persönliches Ziel.

Wie beurteilen Sie die Haltung der Autonomiebehörde gegenüber den USA?

Die Autonomiebehörde sieht sich in besonderer Nähe zum Irak. Für sie ist Saddam Hussein sogar der größere Held als Arafat. Eine aktuelle Umfrage belegt, dass Arafats Popularität nicht so groß ist wie die Saddams. Der Grund dafür liegt darin, dass die Leute sich an Saddam als an denjenigen erinnern, der Israel mit Scud-Raketen beschoss. Und sie halten Saddam für weniger korrupt als Arafat. Nach dieser Umfrage unterstützen 62 bis 70 Prozent der Palästinenser Saddam wegen seiner Konfrontation mit den USA; Arafat unterstützen nur 40 Prozent.

Saddam ist eine sehr populäre Figur. Darum sind die USA der palästinensischen Autonomiebehörde so verhasst. Sie verdammt Amerika in ihren Verlautbarungen täglich wegen des kommenden Krieges gegen den Irak.