Heilige Vielfalt

Radikalität und Realpolitik von wolf-dieter vogel

Eines ist klar: »Wir sind die Guten.« Wir sind gegen Neoliberalismus, Militarismus und Krieg, insbesondere gegen den geplanten Krieg der US-Regierung gegen den Irak. Wenn man auf dem Weltsozialforum (WSF) über irgendwas einig ist, dann darüber. Gemeinsam wolle man einen »Keil in den Neoliberalismus treiben«, so sagt es Sven Giegold, der Sprecher von attac . Der Rest sei »Vielfalt«, und darin liege ja gerade die Stärke.

Das trifft für Giegolds Verein fraglos zu. Attac verfügt mittlerweile über Organisationen in 40 Staaten und sitzt neben weiteren 130 großen Nichtregierungsorganisationen (NGO) im Internationalen Rat des WSF. In diesem Gremium werden inhaltliche Schwerpunkte und organisatorische Grundlagen des globalisierungskritischen Spektakels festgelegt.

An der Orientierung ihrer Politik haben diese NGO nie einen Zweifel gelassen: ökologischer Keynesianismus, Steuern für internationalen Finanztransfer und Handelsregeln für transnationale Konzerne. Von einer grundlegenden Ablehnung der Warengesellschaft ist nie die Rede. Viele der am Internationalen Rat beteiligten Organisationen stehen ihren Regierungen bei internationalen Konferenzen beratend zur Seite, einige arbeiten direkt für große Konzerne.

Über die Rolle des WSF ist damit aber höchstens die Hälfte gesagt. Denn viele der knapp 5 000 Organisationen, die sich in den letzten Tagen in Porto Alegre trafen, nutzen das WSF vor allem für inhaltliche Diskussionen, die mit diesen politischen Plänen wenig zu tun haben.

Ihnen gibt das Forum den Raum, um auf internationaler Ebene den Kampf gegen das geplante gesamtamerikanische Freihandelsabkommen Alca, die Ausbeutung in Weltmarkfabriken oder die Biopiraterie zu organisieren. Ihre Hoffnung liegt in der Aufhebung der kapitalistischen Verhältnisse, und zwar auf einem Weg, der parteiförmig organisierte Strukturen zu überwinden versucht.

Doch worin besteht die Crux der ganzen Inszenierung? Nicht zufällig erinnert das kunterbunte Treiben in den Hörsälen und Zelten in Porto Alegre an grüne Parteitage zu Zeiten, in denen es noch Menschen gab, die an gesellschaftliche Veränderung mit Hilfe der Grünen glaubten. Mit der allseits beschworenen Vielfalt ließ sich auch damals trotz aller grundlegenden Widersprüche eine Gemeinsamkeit konstruieren. Welcher Aspekt, welche Tendenz dieser »Vielfalt« dann auf der politischen Bühne relevant wurde, entschieden letztlich jene, die über die Macht verfügen. Und was das WSF betrifft, so sitzen diese Leute im Internationalen Rat oder im brasilianischen Präsidentenamt.

Nicht nur Lula, der neue Staatschef Brasiliens, wird es bei seinem Besuch des Weltwirtschaftsforums in Davos zu schätzen gewusst haben, mit seinen Verbündeten vom WSF als Faustpfand auftreten zu können. Auch die rot-grüne Regierung kann nun guten Gewissens auf Porto Alegre verweisen, wenn es gilt, deutsche oder europäische Interessen durchzusetzen. Denn dort haben schließlich die parteinahen Heinrich-Böll- bzw. Friedrich-Ebert-Stiftungen mächtig mitgekämpft gegen die amerikanische Freihandelszone Alca, gegen Neoliberalismus, Militarismus und Krieg.