Ein Schrittchen voran

Für bessere Haftbedingungen im Berliner Abschiebegefängnis traten 70 Insassen in den Hungerstreik. Der Innensenator kündigte Verbesserungen an. Wie schon vor zwei Jahren. von martin kröger

Wir haben in einer großen Runde diskutiert, was wäre, wenn alle streiken würden.« Der junge Gefangene im Abschiebegefängnis in Berlin-Köpenick schmunzelt. Und dann hätten sie einen »kleinen Hungerstreik« gemacht, erzählt er, der seinen Namen aus Angst vor Sanktionen nicht in der Zeitung sehen möchte.

Knapp 70 Abschiebehäftlinge traten am Montag der vergangenen Woche in einen dreitägigen Hungerstreik, um gegen die schlechten Haftbedingungen zu protestieren. Gleichzeitig wandten sie sich in einem offenen Brief an die Berliner SenatorInnen für Inneres und Justiz, Ehrhart Körting und Karin Schubert (beide SPD), und verlangten ein Gespräch über die Zustände im Berliner Abschiebeknast.

Sie forderten außerdem die »sofortige Entlassung von Menschen, die aus juristischen oder tatsächlichen Gründen nicht abgeschoben werden können, aber trotzdem über sechs Monate in Haft sind«, sowie ein Ende »der menschenunwürdigen Behandlung durch PolizeibeamtInnen, ÄrztInnen und SozialarbeiterInnen«. Ein weiterer Kritikpunkt der Streikenden waren die »unzumutbaren hygienischen« Zustände.

»Hier ist es dunkel, es stinkt und an manchen Stellen gibt es Schimmel«, erzählt Eltschan*. Über das Verhalten der SozialarbeiterInnen kann er allerdings nichts berichten, denn in seinen drei Monaten im Knast hat er »noch nie eine Soziarbeiterin gesehen«. Dafür habe er schon Erfahrungen mit den Beamten gemacht, die den Abschiebeknast leiten: »Weil ich mein Zimmer nicht wechseln wollte, kamen 20 Polizeiwärter und haben mich verprügelt.« Auf eine Anzeige verzichtete er. »20 Polizisten, das sind 20 Zeugen, da habe ich doch keine Chance«, sagt Eltschan.

Die Polizei und die Innenverwaltung versuchten zunächst, die Vorgänge in Köpenick herunterzuspielen. »Man kann schwer festmachen, wer sich dort im Hungerstreik befindet« und die »amtlich gelieferte Nahrung« verweigert, außerdem ist völlig unklar, »was dort privat an Lebensmitteln zugeführt« wird, erklärte zu Beginn des Streiks Matthias Prange, der Pressesprecher der Berliner Polizei, zur Lage in Köpenick.

Außerdem seien die hygienischen Zustände in der Vergangenheit schon des Öfteren untersucht und nie beanstandet worden. Aber nach dem zweiten Streiktag zeigten sich wegen unerwartet großen Interesses der Medien die Leitung des Berliner Abschiebegewahrsams unter dem Polizeihauptkommissar Peter Eggert und die Berliner Innenbehörde kooperativ: »Der Chef ist schon gekommen und hat mit einer Etage geredet. Er weiß selber, wie Scheiße es hier ist«, berichtet ein Mann, der Mister X genannt werden möchte und schon lange in Köpenick festgehalten wird.

Als sich auch Innensenator Körting gegenüber den Forderungen der Inhaftierten aufgeschlossen zeigte und eine Reihe von Verbesserungen ankündigte, entschied ein Großteil der Hungernden, den Streik nach drei Tagen zu beenden. Einige führten ihn allerdings fort, um die Ausländerbehörde zu bewegen, ihre Verfahren endlich zu bearbeiten.

»Warum kann ich nicht zurück? Ich besitze doch einen Pass und habe alle Angaben zu meiner Identität gemacht«, fragt sich Eltschan, der lieber abgeschoben werden möchte, als noch einen Tag länger in Köpenick einzusitzen, und den die Ausländerbehörde trotzdem seit drei Monaten im Gefängnis festhält.

Zu den Verbesserungen, die der Innensenator in Aussicht stellte, zählen eine bessere Ausstattung der Zellen und mehr Beschäftigungsmöglichkeiten für die Inhaftierten. »Unter Mithilfe von Strafgefangenen konnte die Polizeibehörde in einer halben Etage des Abschiebegewahrsams kostengünstig die Innenvergitterung entfernen«, gab die Innenbehörde bekannt. Gefangene berichten, dass tatsächlich unlängst neue Kicker-Tische und alte Tischtennisplatten geliefert wurden.

Für Menschen, die länger als drei Monate in Köpenick einsitzen, nach Angaben der Innenbehörde sind das zurzeit 71 der insgesamt 320 Gefangenen, sollen Arbeitsmöglichkeiten geschaffen werden. Damit die Gefangenen selber Ordnung halten können, will man Putzmittel zur Verfügung stellen. Des Weiteren kündigte der Innensenat eine Verlängerung des täglichen Hofgangs von 60 auf 90 Minuten sowie den Abbau der Trennwände und Plexiglasscheiben in den engen Besucherkabinen an.

Im Gespräch mit der Initiative gegen Abschiebehaft und den beiden Seelsorgern der Haftanstalt bestätigte Körting das Angebot. »Wir waren völlig überrascht, dass der Innensenator uns eingeladen hat«, berichtet Christine, die Mitglied der Initiative gegen Abschiebehaft ist.

Sie sieht derzeit »minimale positive« Entwicklungen in der Politik des rot-roten Senates. »Allerdings werden wir darauf achten, dass die Versprechen eingehalten werden, und selbstverständlich unsere grundsätzliche Kritik an der Abschiebepraxis aufrechterhalten«, erklärt sie die Position der Gruppe.

Denn der Innensenator macht nicht zum ersten Mal solche Versprechen. Schon im Juli des Jahres 2001 nahm das Berliner Abgeordnetenhaus einen Beschluss zur »Verbesserung der Situation in der Abschiebehaft« auf Antrag der Fraktion der Grünen an. Darin waren exakt dieselben Ankündigungen enthalten.

Dass nun seit über zwei Jahren nicht viel geschehen ist, liegt nach Ansicht des Pressesprechers des Innensenators, Peter Fleischmann, daran, dass »rechtsstaatliche Verfahren ihre Zeit benötigen«. Wann die neuen Ankündigungen verwirklicht sein werden, vermochte Fleischmann dieser Zeitung nicht zu sagen.

Vielmehr stelle gerade die Abschaffung der BesucherInnenbarrieren ein »Sicherheitsproblem« dar, das noch nicht endgültig geprüft sei, sagte er. Auch wird Berlin generell an der Abschiebepraxis festhalten, da »die Abschiebungshaft ein wichtiges Instrument zur Durchsetzung der Ausreisepflicht von unerlaubt sich hier aufhaltenden Ausländern ist«, wie es in einer Presseerklärung des Innensenators zu den Vorgängen in Köpenick heißt.

Zwar versuchte der rot-rote Senat in einem Modellversuch, der ebenfalls Bestandteil des Beschlusses vom Juli 2001 war, 200 Menschen, insbesondere schwangere Frauen und Minderjährige bis zum 16. Lebensjahr, aus der Abschiebehaft herauszuhalten und ihnen die Gelegenheit zur freiwilligen Ausreise zu bieten. Aber das Ergebnis des Versuches sei negativ ausgefallen, erklärte Körting im Berliner Inforadio. Ändern könne sich das nur, »wenn die ausreisewilligen Ausländer mehr Kooperationsbereitschaft zeigen«.

Und trotz der kleinen Verbesserungen geht auch in Köpenick der Alltag einer deutschen Abschiebeanstalt weiter. In der vergangenen Woche kam es nach dem offiziellen Ende des Hungerstreiks zur Selbstverstümmelung eines 42jährigen und zum Selbstmordversuch eines 16jährigen.

*Name von der Redaktion geändert