»Ich fürchte den Provinzialismus«

Die Bundestagswahl war ein Desaster für die PDS. Erhielt die Partei 1998 noch 5,1 Prozent der Stimmen und gewann drei Direktmandate, so kam sie in diesem Jahr nur auf vier Prozent. Es gelang ihr auch nicht, drei Direktmandate zu gewinnen, die einen Einzug in den Bundestag doch noch ermöglicht hätten. Nur Petra Pau und Gesine Lötzsch konnten zwei Mandate in Berlin erringen. Lothar Bisky war bis zum Herbst des Jahres 2000 Parteivorsitzender, derzeit ist er der Fraktionsvorsitzende der PDS im Brandenburger Landtag.

Haben Sie damit gerechnet, dass die PDS bei der Bundestagswahl so schlecht abschneiden würde?

Nein, damit habe ich nicht gerechnet, ich bin auch kein Hellseher. Das hat mich schwer getroffen, wie viele andere auch. Es ist eine dramatische Niederlage. Die PDS hatte immer große Erfolge bei den vergangenen Wahlen, und jetzt hat sie zum ersten Mal eine deutliche Niederlage erlitten und muss lernen, mit Niederlagen umzugehen.

Was sind die wichtigsten Gründe für diese Niederlage?

Wir haben es im Osten offensichtlich nicht verstanden, die Probleme der Menschen so aufzugreifen, dass sie davon überzeugt sind, wir vertreten ihre Interessen. Und zwar nicht nur als Stimme des Ostens, sondern sehr konkret, was die Arbeitslosigkeit anbelangt, was Bildung anbelangt usw.

Wir haben in der Friedensfrage zudem nicht vermitteln können, dass wir die verlässliche Friedenskraft sind. Wir waren in einer schwierigen Situation, weil ich dem Bundeskanzler natürlich nicht vorwerfen kann, dass er eine Position vertritt, die wir auch vertreten, nämlich keinen Krieg gegen den Irak zu führen. Und wir haben bei dem Thema soziale Gerechtigkeit eine Reihe von Dingen nicht konkret genug auf den Punkt gebracht.

Wir haben viele Wählerinnen und Wähler an die Nichtwähler verloren, Leute, die uns einmal die Stimme gegeben haben, die wir aber diesmal nicht erreicht haben. Man muss sich auch damit befassen, wie der Wahlkampf geführt wurde. Hierfür muss man aber solide Analysen vornehmen, das geht nicht im Schnellverfahren. An Schuldzuweisungen werden wir uns hier in Brandenburg nicht beteiligen.

Nun besteht für die PDS die Gefahr, dass es zu einem Richtungsstreit kommt. Christine Ostrowski aus Dresden sagt: »Wir sind eine Ostpartei.« Darauf müsse man setzen. Die »Spinnereien« von einer gesamtdeutschen Partei hätten nur geschadet. Auf der anderen Seite gibt es eine Fraktion, die weiterhin eine gesamtdeutsche PDS will. Droht die Partei zu zerbrechen?

Die Partei ist in keiner einfachen Situation, aber sie wird nicht zerreißen. Ich glaube, eine demokratisch-sozialistische Partei hat keine andere Möglichkeit, als sich mit ihrer sozialistischen Politik einzubringen, und zwar gesamtdeutsch.

Aber wie, wenn nun viele PDS-Büros in den alten Bundesländern zumachen müssen und die Struktur im Westen wegbricht?

Klar wird es schwierig. Aber eine sozialistische Politik, die sich auf Regionen gründet, ist für mich nicht nachvollziehbar. Das war meine Meinung, das bleibt auch meine Meinung. Ich fürchte den Provinzialismus. Den will ich nicht haben. Sondern es geht darum, unter schwierigen Bedingungen sozialistische Politik für die Gegenwart zu formulieren.

Die PDS ist früher mit dem Spruch angetreten: »Veränderung beginnt mit Opposition.« Mittlerweile sitzt die Partei in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin in der Regierung. Das scheint ja eher geschadet zu haben.

Es hat geschadet und genützt. In Mecklenburg-Vorpommern oder auch in Sachsen-Anhalt (wo die PDS eine SPD-Regierung toleriert hat, S.W.) hat es geschadet, weil die Wählerinnen und Wähler mehr erwartet haben. Nicht so fantastisch viel, wie man denkt, das sind ja auch vernünftige Leute. Aber sie sind enttäuscht, weil die PDS nicht mehr verändert hat. Es ist der Partei auch nicht gelungen, etwa in Mecklenburg-Vorpommern den Anteil an den Veränderungen, der auf die PDS zurückgeht, deutlich zu machen.

Es hat andererseits genützt, weil der plumpe Antikommunismus, der im Westen mancherorts noch existiert, die Vorstellung, dass die PDS den kleinen Leuten das Häuschen klaut oder der Großmutter den Sparstrumpf, diese Klischees sind entschärft worden, und das ist ein positives Ergebnis.

Ist es nicht verständlich, dass die Wähler sich abwenden, wenn man sieht, was in Berlin geschieht, wo die PDS mit der Forderung nach sozialer Gerechtigkeit antrat und in der Regierung nun einen Horrorkatalog an Sparmaßnahmen vertritt? Hat es überhaupt einen Sinn, in so einer Situation in die Regierung zu gehen?

Die Frage ist berechtigt, aber ich glaube, es hat Sinn. Man muss deutlich machen, was mit der PDS geht und was nicht. Ich freue mich, dass jetzt in Bezug auf diese merkwürdige Streichliste aus dem Hause des Finanzsenators Thilo Sarrazin, die noch kurz vor dem Wahltermin veröffentlicht wurde, deutliche Worte gefunden wurden und dass man das ablehnt. Denn natürlich wird die PDS zum Sparen in Berlin beitragen, aber sie wird hoffentlich auch deutlich machen, was mit ihr nicht geht, weil wir keine sozialen Grausamkeiten mittragen können, sonst verlieren wir die Glaubwürdigkeit.

Wenn wir uns nicht in die Richtung der Politik bewegen, die wir vor den Wahlen versprochen haben, dann werden wir bestraft, und zwar gnadenlos. Und das kann ich dann den Wählerinnen und Wählern nicht vorwerfen.

Hat es sich die PDS mit ihrer friedenspolitischen Ausrichtung nicht auch zu einfach gemacht in den vergangenen Jahren? Warum gelingt es der SPD, der PDS so viele Stimmen abzujagen, nur weil Schröder einmal eine andere Position einnimmt?

Man wird darüber reden müssen, wie wir unser Profil schärfen können. Aber die Grundposition, gegen jeden Einsatz militärischer Mittel zur Lösung politischer Fragen einzutreten, ist deutlich geworden. Bei 17 Abstimmungen im Bundestag war die PDS eindeutig. Der Parteitag in Münster, der sehr unterschiedlich interpretiert wurde, hat doch auch gezeigt: Gerade junge Leute fürchten, dass die PDS in der Frage des Einsatzes militärischer Mittel so beliebig wie die Grünen werden könnte. Mit einem solchen Thema muss man behutsam umgehen. Deshalb ist leider ein gewisser Stillstand in der Frage der Programmatik aufgetreten, den wir uns auf Dauer nicht leisten können.

Mitte der neunziger Jahre schien der Zeitgeist der PDS entgegenzukommen. Die Partei kam recht poppig daher, sie zeigte junge Leute auf den Wahlplakaten, dagegen sah die Kampagne diesmal recht düster aus. »Arbeit soll das Land regieren«, das war ja nicht gerade ein Spruch, über den man sich begeistern könnte. War die PDS die Spaßpartei des Ostens, und ist das jetzt vorbei?

Nein, das sehe ich nicht. Die Partei hatte Selbstironie, sie konnte über ihre eigenen Fehler lachen, das ist eine unerhört große kulturelle Errungenschaft, und ich hoffe, dass sie diese Fähigkeit wieder erlangt.

Wir waren sehr selbstkritisch, das bleibt hoffentlich auch so. Wir waren sehr nahe am Leben der Menschen und an ihren Problemen dran. Das hat abgenommen.

Nun werden Forderungen erhoben, auf dem Parteitag in Gera am 12. und 13. Oktober die Führung auszuwechseln. Gabi Zimmer und Dietmar Bartsch stehen zur Disposition.

Wir haben uns hier in der Fraktion im Landtag darauf verständigt, dass wir eine sehr tiefgründige Debatte über die Ursachen der Niederlage führen wollen. Dann erst kann man über das Personal diskutieren. Erst Personalfragen zu diskutieren ohne eine präzise Analyse, das halten wir für den falschen Weg, und den lehnen wir ab, jedenfalls in der Landtagsfraktion in Brandenburg.