»Ich gelte als gefährliche Person«

Die spanische Justiz wirft Juan Ramon Rodríguez Fernández, dem Antifa-Aktivisten und Sänger der linksradikalen Hardcoreband Kop, die Unterstützung der baskischen Terrororganisation Eta vor. Vor fast einem Jahr tauchte er in Barcelona unter, Anfang Januar wurde er in Amsterdam festgenommen (Jungle World, 07/02). Da es in den Niederlanden das Delikt der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung nicht gibt, kann er nicht nach Spanien ausgeliefert werden. Die spanische Staatsanwaltschaft beschuldigt ihn inzwischen sogar der Mitgliedschaft in der Eta, konnte bisher aber keine Beweise vorbringen. Am 26. Juni wurde er gegen eine Kaution freigelassen. Am kommenden Dienstag wird das Gericht über seine Auslieferung nach Spanien entscheiden.

Als das Auslieferungsverfahren gegen Sie begann, haben Sie da mit einer vorläufigen Freilassung gerechnet?

Ehrlich gesagt, nein. Man soll zwar nie aufgeben, aber nach der Analyse meines Falls und der internationalen politischen Situation habe ich nicht mehr daran geglaubt. Am Freitag, den 21. Juni, besuchte mich mein Anwalt zum letzten Mal im Gefängnis in Vught. Und in seiner Stimme, in seinen Worten lag Kraft. Er wollte kämpfen und den spanischen Staat anzeigen, der die Menschenrechte verletzt. Fünf Tage später kam ich vorläufig frei.

Dabei wird Ihnen immerhin vorgeworfen, Mitglied der baskischen Untergrundorganisation Eta zu sein.

In Spanien brauchen die Staatsanwälte den Richtern nichts zu beweisen, die glauben alles was die Polizei sagt. Bei Delikten, die mit dem Terrorismus zusammenhängen, also bei politischen Delikten, bilden Politiker, Staatsanwälte und Richter eine Einheit. Eine Einheit, die Personen anzeigt, beschuldigt und einsperrt; mal mit Beweisen, mal ohne und mal mit Beweisen, die auf den Polizeiwachen durch Folter erpresst wurden. Das war schon immer so und wird wohl auch noch eine Zeit so weitergehen.

Das klingt verschwörungstheoretisch.

Es mag unglaublich oder ideologisch vorbelastet erscheinen. Aber viele von uns in Katalonien, im Baskenland oder in anderen Teilen Spaniens haben das verinnerlicht, weil wir es erleben mussten und immer noch erleben. In meinem Fall hat sich der Staatsanwalt Enrique Molina in seinen Anschuldigungen sogar widersprochen. Die Dokumente, die er an den Gerichtshof in Amsterdam geschickt hat, enthalten etliche Lügen. So soll ich angeblich Adressen von zwei Mitgliedern der Nazi-Organisation Cedade an die Eta weitergegeben haben. Der spanische Staatsanwalt nennt die Cedade dagegen »einen Unternehmerverband«.

Der niederländische Richter war perplex, ja verärgert. Der niederländische Staat hat festere Prinzipien als der spanische. Der niederländische Gerichtshof ist offenbar nicht bereit, meine Auslieferung mitzutragen, wenn es dafür keine Grundlage gibt. Und die gibt es eben nicht.

Wenn es keine Beweise gibt, weswegen wurden Sie dann überhaupt festgenommen und saßen ein halbes Jahr im Gefängnis?

Der Richter Polanco vom Nationalen Gerichtshof in Madrid erließ am 31. Dezember des letzten Jahres einen internationalen Haftbefehl gegen mich. Darin wird mir Unterstützung einer bewaffneten Gruppe vorgeworfen. Die niederländische Polizei wurde informiert und wegen der engen Zusammenarbeit zwischen der holländischen und der spanischen Staatsanwaltschaft wurde ich schließlich verhaftet.

Nach den Aussagen der spanischen Staatsanwälte galt ich als gefährliche Person, deswegen forderten sie umfangreiche Sicherheitsvorkehrungen. Ich wurde von einer Spezialeinheit verhaftet und ins Hochsicherheitsgefängnis nach Vught gebracht.

Die spanischen Behörden berufen sich auf Zeugenaussagen.

Die Grundlage der Anschuldigungen sind die Aussagen des vermeintlichen Eta-Mitglieds Fernando García Jodra aus Barcelona. Sie wurden während einer fünftägigen Isolationshaft und unter Folter gemacht. Diese Aussagen wurden vor keinem Richter bestätigt, und Jodra hat die Folter während seiner Festnahme angezeigt. In keinem Staat, der ein Rechtsstaat sein möchte, hätte das juristischen Bestand gehabt. Aber: Spain is different.

In Spanien wären Sie unter diesen Bedingungen verurteilt worden? Oder was wäre passiert?

Zunächst hätten sie mich nach Madrid gebracht, wo ich wahrscheinlich zunächst isoliert und dann fünf Tage gefoltert worden wäre. Wer weiß, was dann passiert wäre - unter physischer und psychologischer Folter und der allgemein schlechten Behandlung. Etliche der gefolterten Festgenommenen unterschreiben zum Schluss alles, was die Polizei unterschrieben haben möchte: Schuldbekenntnisse und Anschuldigungen gegen andere Personen.

Sehen Sie einen Unterschied zwischen den demokratischen Systemen Spaniens und der Niederlande?

Beides sind parlamentarische Demokratien, und ich meine, dass beide dasselbe machen. Trotzdem gibt es eine große Differenz, wenn man den Rechtsstaat betrachtet. Im spanischen Staat gibt es keine Gewaltenteilung. Die Richter des Höchsten Gerichts werden vom Senat ernannt, es existiert keine unabhängige Justiz. Die bürgerlichen Freiheiten, des Individuums wie des Kollektivs, sind in den Niederlanden deutlich weiter entwickelt als in Spanien.

Wenn wir vom spanischen Staat sprechen, müssen wir bedenken, dass dieser etliche Male von Institutionen wie Amnesty International, dem Komitee zur Verhinderung von Folter und der Uno-Menschenrechtskommission angezeigt worden ist.

Sie saßen ein knappes halbes Jahr lang als mutmaßliches Eta-Mitglied im Hochsicherheitsgefängnis in Vught. Da vermutet man nicht gerade angenehme Haftbedingungen.

Sie waren natürlich hart, denn für mich galt die höchste Sicherheitsstufe. Überall waren Kameras, es wurde alles registriert und aufgezeichnet, was ich gemacht habe. Ich hatte kaum Kontakt zu anderen Gefangenen, war praktisch isoliert. Alle Briefe und Telefonate wurden überwacht. Politische T-Shirts wurden einbehalten, eine Anzahl von Briefen und eine Unmenge von Büchern.

Ich durfte keine Bücher lesen, die ich von außen bekommen habe. Ich konnte nur zwei Stunden Sport pro Woche machen, überhaupt durfte ich nur zwölf Stunden in der Woche aus meiner Zelle, um mich mit acht weiteren Gefangenen zu treffen, die in derselben Situation waren wie ich. Die immense Solidarität hat mir geholfen, diese Situation zu ertragen.

Am nächsten Dienstag wird endgültig über den Auslieferungsantrag der spanischen Behörden entschieden. Fürchten Sie eine Auslieferung?

Es ist schwer vorauszusehen. Wenn die holländischen Richter meiner Auslieferung nicht stattgeben, ergibt sich eine komplizierte Situation. Dann könnte ich mit größter Wahrscheinlichkeit politisches Asyl in Holland beantragen. Und das im 21. Jahrhundert, als Bürger eines anderen EU-Landes. Das wäre sicher sehr interessant für die Debatte über die Verletzung von Menschenrechten in Spanien und über Garantien für Menschen in einem neuen juristischen Raum, der EU.

Ohne Zweifel hat der spanische Staat ein Problem, wenn sie mich nicht ausweisen, und ich werde mich der öffentlichen Anklage widmen, mit den einzigen Waffen, die mir zu Verfügung stehen: den Worten.