Biennale in Venedig

Hadeln am Lido

Der ehemalige Berlinale-Chef Moritz de Hadeln bestreitet seine erste Biennale in Venedig.

Dieses Jahr stand das Filmfestival von Venedig nicht nur zum ersten Mal unter der Schirmherrschaft der rechten Regierung Berlusconis in Italien. Neu war auch der Mann an der Spitze der Veranstaltung, Moritz de Hadeln, der ehemalige Leiter der Berlinale und der neue Chef am Lido.

Gleich nach dem Ende des Festivals im Jahr 2001 war der bisherige Leiter Alberto Barbera auf unschöne Weise vor die Tür gesetzt worden. Er hatte die Mostra internazionale d'arte cinematografica immerhin auf ein cinephiles Niveau heben und die Stars der internationalen Independentszene anlocken können. Zudem interessierte sich neben der Presse und der Filmwirtschaft auch wieder ein junges Publikum für das Ereignis. In den diversen Deklarationen der neuen Politiker und Ministerialbeamten waren bald nach der Absetzung Barberas die Namen möglicher Nachfolger genannt worden, allen voran Martin Scorsese, der aber prompt abwinkte. So begann ein regelrechtes Dominospiel; mögliche Nachfolger wurden genannt, die aber alle aus Solidarität mit dem fristlos entlassenen Festivalleiter ablehnten.

Im April endlich fiel der Name Moritz de Hadeln. Er war nach seiner ebenfalls recht stillosen Ablösung als Chef der Berlinale frei für ein neues Projekt und konnte sich sofort in die Arbeit stürzen. Lediglich vier Monate Zeit hatte er, um ein Programm zu organisieren, das zu bewältigen selbst für den Altmeister kein Kinderspiel war. Aber mit der Unterstützung eines schnell zusammengewürfelten Teams besorgte er die Filmauswahl und stellte termingerecht Ende Juli die Filme und die veränderten Sektionen vor.

Neben dem offiziellen Wettbewerb um den Goldenen Löwen gibt es nun eine Controcorrente (Gegenstrom) genannte Sektion. Nuovi territori (Filmisches Neuland) bleibt die Sektion für experimentelle und unabhängige Arbeiten, wobei es hier nicht wirklich experimentell zugeht. Das 24-Uhr-Programm ist wieder - wie vor der Ära Barberas - eine Vitrine der Blockbuster der kommenden Saison. Zu sehen waren Filme wie »K-19« von Kathryn Bigelow, der die authentische Geschichte des sowjetischen U-Bootes erzählt, das in den sechziger Jahren die Welt vor einem Atomkrieg bewahrte. Darin agiert ein rigoroser Harrison Ford in der Rolle des strengen, aber doch humanen Kapitäns; ein Film über Machtspiele, Befehle von oben und Menschlichkeit.

Oder »Ripley's Game« von Liliana Cavani, die Neuverfilmung des Romans von Patricia Highsmith; mit John Malkovich als Tom Ripley, eine Rolle, die ihm wie auf den Leib geschrieben ist. Daneben gibt es die unabhängige Settimana della critica, die interessante und originelle Erstlingswerke aus aller Welt vorstellt.

Einer der beiden deutschen Beiträge im Wettbewerb ist »Führer Ex« von Winfried Bonengel, der zu großen Teilen auf der Geschichte des ehemaligen ostdeutschen Neonazis Ingo Hasselbach beruht. Ingo Hasselbach stieg im Jahr 1991 aus der Szene aus, schrieb »Die Abrechnung« und arbeitet nun als freier Journalist und Autor mit Bonengel zusammen, nachdem er einige Jahre in der Organisation Exit tätig war. Der Film beginnt im Jahr 1986 mit einem utopischen Fluchtversuch von Heiko und Tommy, die Liebe, Alkohol und Träume vom freien Australien miteinander teilen, aber erst mal im Gefängnis landen, wo sie den Weg in die falsche Richtung einschlagen, mit Gewalt und Hierarchiespielchen, wobei klar werden soll, warum sich Heiko den Neonazis anschließt. Nach der Haft und nach dem Fall der Mauer wird er Parteisektionschef der illegalen Nationalen Alternative im Neonazi-Haus in der Weitlingstraße in Berlin-Lichtenberg. Tommy folgt ihm, aber ein brutaler Anschlag auf Migranten veranlasst ihn, das Haus zu verlassen. Nun ist er ein Verräter, und Heiko soll ihn aus dem Weg schaffen.

Apartheid in den USA der fünfziger Jahre ist das Thema des superkitschig gefärbten, aber von Todd Haynes intelligent gedrehten Films »Far from Heaven«. In einer eher bürgerlichen Gegend leben Weiße und Schwarze eigentlich friedlich zusammen, einander begegnen und miteinander reden dürfen sie jedoch nicht. Julianne Moore spielt die amerikanische Modellehefrau Cathy, deren Mann sich als schwul entpuppt. Als er sich nach einer fehlgelaufenen Psychotherapie von ihr scheiden lässt, um mit seinem Geliebten zu leben, hat Cathy sich bereits mit dem schwarzen Gärtner angefreundet. Für Nachbarn und Freundinnen ein Skandal. Produziert von Steven Soderbergh und George Clooney, erzählt dieser Film mit seinen karamelfarbenen Landschaften sehr prägnant vom Rassismus und davon, was er mit Menschen macht.

In der Sektion »Nuovi Territori« beeindruckt Tilda Swinton in »The Love Factory«, einem Interviewfilm von Luca Guadagnino. Tilda spricht über ihre Arbeit, über Liebe und Einsamkeit, wobei »Liebe die beste Kur der eigenen und anderer Einsamkeit ist«, denn, so Tilda, gerade dieses nicht akzpetierte Alleinsein treibe den kapitalistischen Konsumzwang an, denn als Ersatz wird geshoppt; allerdings bräuchte die moderne Gesellschaft das ganze Warenangebot nicht, denn um uns zu zerstreuen, könnten wir alle Lebens- und Freizeitkünstler werden. Also wahrlich love factories. Im Bild ist nur das Gesicht der Swinton, ihre blauen Augen, ihre hellen Sommersprossen, die kurz geschnittenen roten Haare, und dazu ihre Stimme, ihre Unsicherheit. Der Film verrät die enorme Vertrautheit, die sich zwischen der Schauspielerin und der Regie entwickelt hat.

Bereits zum vierten Mal organisiert das FilmMakerMagazin die Off-Biennale und präsentiert Independentfilme, die sonst nie am Lido gezeigt würden, die aber doch interessante Themen vorstellen. Sale ist ein Kollektivprojekt aus Apulien und mit 13 Kurzfilmbeiträgen junger Regisseure präsent, die sozialpolitische Aspekte der Region behandeln. Z.B. mit der Episode »Candy« von Maurizio Buttazzo, der ein originelles Porträt einer Waschmaschine zeichnet, die ins Freie abtransportiert wird, da ihre Besitzerin eine modernere Version kaufte, und die nun der kalten Welt ausgesetzt wird, aber bald von einem großen Eisschrank unter dem alten Olivenbaum beschützt wird.

Der dokumentarische Beitrag der Fluid-Video-Crew »Gli ultracorpi della porta accanto« (Außerirdische Wesen von nebenan) zeigt die Ankunft eines Schiffes mit unzähligen albanischen Flüchtlingen an Bord. Die abwartenden Gesichter der Einwohner, die in die ferne See schauen, und die erschöpften Gesichter der Neuankömmlinge bilden einen interessanten Kontrapunkt, wobei der Film dann aber das alte Lied der Kontrolle, des Misstrauens einerseits und der Hoffnung auf ein neues besseres Leben andererseits ausspielt. »Genova senza risposte« (Keine Antwort aus Genua) von Federico Micali, Teresa Paoli und Stefano Lorenzi behandelt die polizeilichen Gewaltaktionen beim G 8-Gipfel und zeigt bislang noch unbekannte Aufnahmen des Todes von Carlo Giuliani.

Die Grundidee dieser Off-Biennale war es, den jungen Festivalbesuchern die Chance zu geben, ihre Stars zu treffen, denn die Pressekonferenzen sind für das Publikum natürlich tabu. Also veranstalteten die Organisatoren Podiumsdiskussionen. Es kamen z.B. Edoardo Ponti, der Sohn von Sophia Loren, der seinen Film »Between Strangers« vorstellt, Wong Kar-wai, der Regisseur des Kultfilms »In the Mood for Love«, Takeshi Kitano, der im Wettbewerb »Dolls« zeigt, Marco Bellocchio und der Dokumentarfilmer Alberto D'Onofrio, der in Venedig erstmals mit Militärs und am Golfsyndrom erkrankten Soldaten über seinen Film »La sindrome del golfo« spricht, eine Studie über die Auswirkungen der im Golfkrieg und im Kosovo vielfach benutzten Uranmunition.

Für den offiziellen Teil des Festivals jedoch hatte man sich Glamour erträumt, der sich aber nicht wirklich einstellen wollte. Viele Stars hatte sich Moritz de Hadeln gewünscht, aber nicht alle wollten der Einladung nachkommen. Clint Eastwood z.B. begleitete »Blood Work« nicht nach Italien. Moritz de Hadeln behauptete zwei Tage vor Beginn der Mostra, dass er von amerikanischen Produzenten gehört habe, der Goldene Löwe sei nichts mehr wert. Eine solche Äußerung könnte den neuen Leiter seinen Posten kosten, denn der Kulturminister Giuliano Urbani wies ihn sofort in die Schranken. Wird das Domino schon bald nach dem Ende des Festivals auch in diesem Winter wieder zum beliebtesten Spiel im Dipartimento Spettacolo werden?