Nachruf auf Alfred Dregger

Verlust für Deutschland

Bis zuletzt kämpfte Alfred Dregger, der ehemalige Bataillonskommandeur, für die Rehabilitation der Wehrmacht. Ein Nachruf

Die CDU ist diesem Lande adäquat«, schrieb Alfred Dregger vor Jahrzehnten in einem jener nutzlosen Politikerbücher, deren halbe Auflage von Unternehmen und Behörden bei passender Gelegenheit an verdiente Mitarbeiter verteilt wird. Was immer das bedeuten mochte, er selbst bemühte sich während seiner politischen Wirkungszeit vor allem darum, dass auch alte Nazis sich von seiner Partei verstanden fühlten.

Den entsprechenden Euphemismus formulierte Karl Feldmeyer dieser Tage in der FAZ: »Er repräsentierte jenen Teil der Kriegsgeneration, die sich von Hitler missbraucht und betrogen wusste. Ihre Konsequenz aus der Tragödie des Dritten Reichs war ihr Engagement für Demokratie und Rechtsstaat, nicht aber Selbsthass und Aversion gegen das eigene Volk, die nach 1968 die politische Klasse der Bundesrepublik zunehmend kennzeichneten.« Zwar mag es schwer fallen, sich an solche Politiker zu erinnern oder sie in der Gegenwart zu identifizieren, trotzdem machte Dreggers Bekenntnis »ihn für die Achtundsechziger zu einer Provokation, gleichgültig, was er gerade sagte. Für jene, die so fühlten wie er, war er bis zuletzt ein Trost«.

Dregger sorgte beizeiten für adäquate Nachfolge und begründete die bis heute sich fortsetzende Tradition, dass der hessische Landesverband der CDU, dessen Vorsitzender er von 1967 bis 1982 war, immer deren rechten Rand bildete. »Seine Partei wusste es zu schätzen«, rief Feldmeyer ihm nach, »dass Dregger so Millionen Wähler an sie band.«

Deshalb rühmt einer seiner Nachfolger im Amt des Vorsitzenden der Bundestagsfraktion, der gegenwärtig amtierende Friedrich Merz, vor allem seinen Kampfeswillen: »Er ist der politischen Linken in Deutschland so entschlossen entgegengetreten wie nur wenige in seiner Zeit.« Zum Repertoire, aus dem sich auch Manfred Kanther und Roland Koch bedienten, die späteren Protagonisten der hessischen Rechten, gehörten schon in Dreggers frühen Tagen die üblichen Parolen von Recht und Ordnung und eine Ausländerfeindschaft, die aus der Sorge um die deutsche Identität entstand.

»Die Völker, nicht nur das deutsche, legen in der Regel Wert darauf, ihre nationale Identität zu bewahren. Diese lässt es zu, eine begrenzte Anzahl von Ausländern aufzunehmen.« Aber wie immer, wenn jemand von der Aufnahmefähigkeit spricht, war deren Grenze längst überschritten. Die Türken seien »nicht zu assimilieren« und »auch nur schwer zu integrieren«, dekretierte Dregger schon im Jahr 1982. Und insbesondere Menschen aus Afrika oder Asien »werfen bei weiterer Zunahme nicht lösbare Integrationsprobleme auf«. Denn Immigration sei »nicht nur eine Frage unserer nationalen Identität, sondern vor allem auch eine Frage des Arbeitsmarktes und nicht zuletzt der Besiedlungsdichte unseres kleinen und in zwei Weltkriegen verstümmelten Landes«.

So verband er die Topoi der Rechten mit dem besonderen Anliegen seiner Generation, von dem er auch dann noch nicht lassen konnte, als seinem Vaterland wenigstens einige der abgetrennten Glieder wieder angewachsen waren. 1920 in Münster geboren, wurde Dregger 1939 Fahnenjunker in der Wehrmacht und diente ihr bis zur Niederlage, zuletzt als Hauptmann und Bataillonskommandeur an der Ostfront. Er sei »ein loyaler Truppenführer ohne eigene Ambitionen« gewesen, schrieb der Tagesspiegel, meinte aber nicht den Wehrmachtsoffizier, sondern den Fraktionsvorsitzenden.

Weil er, mit Roland Koch gesprochen, »ein charismatischer Freund für Deutschland« war, ja ein »markanter Patriot für Deutschland«, lag seine Lebensaufgabe, die Rehabilitation Deutschlands und der Wehrmacht, gleichsam in seiner Natur begründet: »Ich bin bereit zu sagen, dass Patriotismus ein ebenso natürliches Gefühl ist wie Familiensinn.« Dabei ließ sich seine Neigung zum Militär auch im Ausland nicht verleugnen. Im Sommer 1979 reiste er nach Südamerika und brachte die Erkenntnis heim: »Weder in Chile noch in Argentinien haben sich die Militärs an die Macht gedrängt. Die Machtübernahme ist vielmehr durch das Versagen der Politiker notwendig geworden.«

Er pflegte die Beziehungen seiner Partei zu den Vertriebenen und den Korporierten, deren Geschichtsauffassung er offensichtlich teilte. Vorm 8. Mai 1995, dem fünfzigsten Jahrestag des Kriegsendes, der in ganz Deutschland unter dem Motto begangen wurde, die Freiheit habe Geburtstag, widersprach Dregger sogar in aller Öffentlichkeit einem Parteifreund, dem ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Damals erschien in der FAZ eine Anzeige: »Einseitig wird der 8.Mai von Medien und Politikern als Befreiung charakterisiert. Dabei droht in Vergessenheit zu geraten, dass dieser Tag nicht nur das Ende der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft bedeutete, sondern zugleich auch den Beginn von Vertreibungsterror und neuer Unterdrückung im Osten und den Beginn der Teilung unseres Landes. Ein Geschichtsbild, das diese Wahrheiten verschweigt, verdrängt oder relativiert, kann nicht Grundlage für das Selbstverständnis einer selbstbewussten Nation sein.« Die Unterzeichner hießen Alfred Dregger, Rainer Zitelmann, Klaus-Rainer Röhl, Heimo Schwilk, Ulrich Schacht, Heinrich Lummer, Peter Gauweiler, Alexander von Stahl, Hans Apel und Friedrich Zimmermann.

Im Jahr bevor Dregger gegen seinen Wunsch und nur deshalb, weil die hessische Partei ihn nicht mehr nominieren wollte, seinen Abschied vom Bundestag nahm, hatte er noch einmal einen großen Auftritt in einer historischen Debatte. Es ging im März 1997 um die Wehrmachtsausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung. »Die Kritiker der Wehrmacht sollten bedenken, dass nicht einmal das Nürnberger Siegergericht die Wehrmacht verurteilt hat und dass unsere ehemaligen Kriegsgegner ihr zum Teil hervorragende Zeugnisse ausgestellt haben.« Und so entstand, nachdem der Endsieg ausgefallen war, »im Auftrage Konrad Adenauers und seiner Koalition, von erfahrenen Wehrmachtoffizieren herangebildet, unsere Bundeswehr, auf die wir stolz sind«.

Weil aber »das deutsche Volk diesen Krieg ebenso wenig wie das russische Volk und andere Völker gewollt hat, die in ihn hineingezogen worden sind«, musste Dregger jedes pauschale Urteil zurückweisen, selbst wenn es von niemandem ausgesprochen und verhängt worden war: »Wer versucht, die gesamte Kriegsgeneration pauschal als Angehörige und Helfershelfer einer Verbrecherbande abzustempeln, der will Deutschland ins Mark treffen. Das können wir nicht dulden; denn aus solchem Selbsthass kann nichts Gutes entstehen.« Er mache jede »wirklich tief empfundene Trauer um die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft« unmöglich. Wer die Opfer waren, hatte Dregger bereits bei anderer Gelegenheit festgestellt: »Unrecht haben wir alle erlitten, Deutsche, Tschechen, Polen.« Nun sprach er noch einmal »von der Einsicht in das menschliche Leid, das damals grundgelegt wurde und bis heute nachwirkt, und - um ein Beispiel heranzuziehen - von dem unendlichen Verlust, den die Nazis durch die Vernichtung der deutschen Juden vor allem auch Deutschland zugefügt haben. Die Vernichtung der deutschen Juden war ein Verlust für Deutschland.«

Alfred Dregger starb am Samstag voriger Woche im Alter von 81 Jahren in Fulda.