Fahndung nach der Gruppe 17. November

Terror verzweifelt gesucht

Die griechische Polizei präsentiert die Verhaftung eines Bombenlegers als Erfolg gegen die Guerillagruppe 17. November.

Seit langem bemüht sich Griechenland, mit den anderen EU-Staaten bei der Bekämpfung des Terrorismus Schritt zu halten. Bislang ohne großen Erfolg. Seit der ersten Aktion vor 27 Jahren ist es den Behörden nicht gelungen, auch nur ein einziges Mitglied der Organisation 17. November festzunehmen, obwohl diese Stadtguerilla sich zu insgesamt 23 Mordanschlägen bekannte. Die Sicherheitskräfte mussten sich damit begnügen, gelegentlich der Öffentlichkeit einige verdächtige Anarchisten zu präsentieren, die anschließend meistens wegen mangelnder Beweise wieder freigelassen wurden.

Jetzt sieht es zum ersten Mal anders aus. Die Polizei will endlich ein mutmaßliches Mitglied der Gruppe 17. November festgenommen haben. Dem 40jährigen Ikonenmaler Savas Xirosem explodierte am vorletzten Samstag am Hafen von Piräus eine selbst gebastelte Bombe in den Händen. Er verlor dabei seine Finger, erlitt schwere Verbrennungen und liegt seitdem unter strenger Bewachung auf der Intensivstation.

In seiner Tasche wurden zwei weitere Bomben, eine Pistole und Handgranaten gefunden. Die Indizien legten zunächst nahe, dass Xirosem dem so genannten leichten Terrorismus zuzurechnen ist. Damit werden in Griechenland Gruppen bezeichnet, die kleinere Attentate auf Autos, Banken oder Büros von Politikern durchführen. Vor allem ein Umstand deutete darauf hin. Nicht weit vom Ort des Unfalls entfernt befindet sich das Büro des Pasok-Abgeordneten und ehemaligen Basketballspielers Panagiotis Fasoulas, auf das drei Tage zuvor ein Sprengstoffanschlag verübt worden war. Xirosem plante einen Anschlag auf die Hafenbehörden, um seine Solidarität mit den Streiks der Seeleute (Jungle World, 27/02) kundzutun, lautete die erste Einschätzung der Polizei.

Erst zwei Tage später realisierten die Behörden, auf welche Spur sie mit der überraschenden Festnahme gestoßen waren. Die bei Xirosem gefundene Pistole sei einem Polizisten 1984 bei einem Banküberfall der Organisation 17. November gestohlen worden, hieß es nun.

Eine spektakuläre Wende nahm der Fall aber vergangenen Mittwoch mit einer weiteren Entdeckung. Die Polizei teilte mit, dass sie den zentralen Lagerraum der Organisation in Patissia nahe Athen ausfindig gemacht habe. Dort sei unter anderem eine Pistole gefunden worden, die die Stadtguerilla bei ihren Attentaten häufig verwendet hatte. Außerdem wurden Raketen entdeckt, die 1989 aus einer Kaserne der griechischen Armee gestohlen worden waren, sowie eine Fahne mit einem gelben Stern und einem Maschinengewehr, dem Symbol der Gruppe.

Seitdem läuft die Suche nach weiteren Mitgliedern des 17. November im ganzen Land auf Hochtouren. Im Fernsehen wird die Bevölkerung aufgerufen, sich an der Fahndung zu beteiligen. Angaben über mutmaßliche Terroristen können rund um die Uhr vertraulich über eine Hotline an eine Sonderkommission weitergeben werden.

Die Behörden sind allerdings auch dringend auf Informationen über Xirosem angewiesen, denn der Mann ist ihnen bislang völlig unbekannt. Es gebe weder Einträge im Strafregister, noch sei er in einem der vielen Anarchistenprozesse aufgefallen, zitiert die Tageszeitung Eleftherotypia den ehemaligen Polizeichef von Thessaloniki. Mit anderen Worten: Die staatlichen Institutionen haben keine Ahnung, wen sie in Piräus eigentlich gefangen haben.

So blieb den so genannten Sicherheitsexperten in den TV-Sendungen nichts anderes übrig, als ihre banalen Erkenntnisse aufzuzählen. Xirosem sei mit einer Spanierin befreundet, die jedoch keine Verbindung zur Eta unterhalte. In seiner Jugend habe er angeblich Kontakt zur anarchistischen Szene von Thessaloniki gehabt und sei in den Sudan gereist. Damit hatten sich ihre Informationen über den angeblichen Terroristen auch schon erschöpft.

Obwohl er offensichtlich nicht zu den »üblichen Verdächtigen« gehört, benutzt die Polizei die Festnahme, um ihren »Kampf gegen den Terrorismus« zu legitimieren. Im vergangenen Jahr beschloss das Parlament die so genannten Antiterrorgesetze, die mit den Maßnahmen der deutschen Regierung in den siebziger Jahren vergleichbar sind (Jungle World, 13/01).

Jetzt ist die Gelegenheit da, sie anzuwenden. In allen Medien wird ausführlich über DNA-Analysen von Haaren, Speichel und Blutflecken berichtet, und das zu einer Zeit, in der sonst die Urlaubsplanung das wichtigste Thema ist. Zwei Tage nach dem Waffenfund in dem Lagerraum organisierte die Polizei die größte Razzia in der jüngeren Geschichte des Landes und stellte Wohnungen von Anarchisten und Linksradikalen auf den Kopf.

Währenddessen warten CIA-Agenten, Spezialisten der Antiterroreinheit und hohe Polizei- und Geheimdienstmitarbeiter nur darauf, den schwer verletzten Ikonenmaler verhören zu können. Sie hoffen, endlich über einen Kronzeugen zu verfügen, der über die mysteriöse Geschichte und Struktur des 17. November berichten kann.

Und auch die sozialdemokratische Pasok-Regierung hat allen Grund, sich über den unerwarteten Erfolg zu freuen. In den Umfragen liegt sie derzeit um acht Prozent hinter der rechtskonservativen Nea Dimokratia. Sollte sie nun bei der Terrorismusbekämpfung triumphieren, könnte sich vor den Kommunalwahlen im kommenden Oktober der Abstand deutlich verringern.

Wenn der Fall sich jedoch als weniger spektakulär erweist, ist der griechischen Regierung eine internationale Blamage sicher. Schließlich zweifeln vor allem die US-amerikanische und die britische Regierung schon seit langem an der Kompetenz und dem Willen der griechischen Institutionen im Kampf gegen den Terrorismus.

Ein Debakel ist dabei nicht ausgeschlossen. Einige Details der Geschichte lassen an der Glaubwürdigkeit der polizeilichen Mitteilungen zweifeln, dass es sich bei dem Festgenommenen wirklich um ein Mitglied der Gruppe 17. November handelt.

So wirkt es nicht besonders überzeugend, dass bei dem angeblichen Guerillamitglied eine gestohlene Polizeiwaffe gefunden wurde, die schon bei mehreren Attentaten zum Einsatz kam. Zudem hatte der Mann eine Kredit- und eine Telefonkarte sowie seinen Schlüsselbund bei sich. Gegenstände also, die bei einer eventuellen Festnahme fatale Folgen für ihn und seine Komplizen haben konnten. Mit der Telefonkarte habe er kurz zuvor in dem später entdeckten Lagerraum angerufen, mit einem der Schlüssel konnte die Polizei anschließend sogar dessen Türen öffnen. Für ein Mitglied einer Terroristengruppe, die als eine der profesionellsten der Welt gilt, ein höchst unvorsichtiges Verhalten.

Auch die Umstände seiner Verhaftung sind merkwürdig. Bereits 20 Minuten nachdem die Bombe in seinen Händen explodierte, durchsuchte die Polizei seine Wohnung, obwohl Xirosem durch die Explosion im Gesicht verletzt wurde und Polizisten erst Stunden später in der Lage waren, ihn eindeutig zu identifizieren.

Wie es der Zufall wollte, erschien just am Tag nach dem Unfall in der Zeitung To Vima ein Beitrag von Alexis Papachela. Der Journalist ist in Griechenland bekannt für seine gut recherchierten Artikel über die Geheimdienste. Er behauptete, dass drei bis vier Mitglieder der Gruppe 17. November der Polizei schon seit längerem bekannt seien. Den Artikel hatte er vor dem Unfall in Piräus verfasst.