Aggressive Neonazis in Sachsen-Anhalt

Sommer der Anti-Antifa

In Sachsen-Anhalt kam es in den vergangenen Wochen zu Angriffen von Neonazis auf alternative Projekte und zu Drohungen gegen Jugendliche, die nicht rechts sind.

Die Aufrufe sind martialisch und unverhohlen: »Antifa verbieten« und »Organisiert die Anti-Antifa«. Die Neonaziszene in Sachsen-Anhalt geht in die Offensive, seit einigen Wochen häufen sich in dem ostdeutschen Bundesland rechtsextreme Gewalttaten. Die Neonazis haben es vor allem auf Antifaschisten und nicht rechte Projekte abgesehen. Dabei können sie sich von der Politik der neuen Landesregierung in Magdeburg nur bestärkt fühlen.

Eine der ersten Amtshandlungen der schwarz-gelben Koalition war es, dem aus Landesmitteln geförderten Verein Miteinander e.V. sämtliche Gelder für das kommende Jahr zu streichen. Schließlich sei Miteinander e.V. ein »politischer Verein«, lautete die Begründung der Landesregierung, und als solcher sei er nicht förderungswürdig. Tatsächlich steht sein Konzept für einen offensiven Umgang mit dem Thema Rechtsextremismus: Bildungsarbeit, Kommunalberatung und Unterstützung von Opfern rechter und rassistischer Gewalt gehören zu den Schwerpunkten des Vereins, der nicht nur die extreme Rechte, sondern auch Konservative schon lange ärgert.

Nach der Streichung der Fördergelder für Miteinander e.V. scheint die Neonaziszene die Abwicklung der Zivilgesellschaft in Sachsen-Anhalt noch beschleunigen zu wollen. Vor zwei Wochen, in der Nacht zum 26. Juni, warfen unbekannte Täter einen Brandsatz in das Hausprojekt Reilstraße 78 in Halle, der allerdings von Bewohnern des Hauses unschädlich gemacht werden konnte.

In dem alternativen Projekt befindet sich unter anderem eine Beratungsstelle von Miteinander e.V. für Opfer rechter Gewalt. Schon im Wahlkampf war das Haus zum Gegenstand rechter Säuberungsphantasien geworden. Ronald Schill, der Vorsitzende der gleichnamigen Rechtspartei, hatte vor dem Haus im April einen seiner berüchtigten Wahlkampfauftritte inszeniert und versprochen, im Falle eines Wahlsiegs derartige »Ansammlungen von Chaoten« zu beseitigen. Die Schill-Partei hat es in Sachsen-Anhalt zwar nicht bis in den Landtag geschafft, doch die Botschaft wurde offensichtlich verstanden.

Auch andernorts in Sachsen-Anhalt machen Rechte gegen die wenigen alternativen und nicht rechten Projekte mobil. Zum Beispiel in Quedlinburg, wo Anfang der vergangenen Woche Unbekannte die Fensterfront des alternativen Kulturprojekts Reichestraße zerstörten und anschließend zwei linke Jugendliche in der Innenstadt zusammenschlugen. Oder in der Kleinstadt Gardelegen, die seit Jahren als Hochburg rechtsextremer Netzwerkarbeit in der Altmark gilt. Nur zwei Tage nach dem Brandanschlag in Halle brannte das alternative Jugendzentrum in Gardelegen beinahe vollständig aus.

Alternative Jugendliche, die den Treffpunkt nach monatelangen Renovierungsarbeiten erst vor drei Monaten eröffnet hatten, berichten, dass vor wenigen Wochen zwei einschlägig bekannte Neonazis in dem Club aufgetaucht seien, vermutlich um die Lage zu erkunden. Im Club fanden auch - für die Region einmalig - regelmäßig Veranstaltungen und Partys von und mit Flüchtlingen statt. Für das Jugendprojekt bedeutet der Verlust der Räume »einen harten Schlag«.

Während Antifaschisten hinter dem Anschlag in Halle und der Brandstiftung in Gardelegen Täter aus der rechten Szene vermuten, ermittelt die Polizei nach eigenen Angaben »in alle Richtungen«. Von dieser Absicht rückten die Ordnungshüter auch dann nicht ab, als Polizeibeamte angegriffen wurden. Bei einem Aufmarsch der Freien Kameradschaften, die rund 100 militante Aktivisten in Gardelegen mobilisierten, wurden zwei Polizisten verletzt. Zwei Tage zuvor, als nicht rechte und alternative Jugendliche ihre Fassungslosigkeit über die Brandstiftung mit einer Spontandemonstration bekundeten, wurden auch sie von Neonazis angegriffen.

Die Kameradschaft Gardelegen, die zum Netzwerk der Freien Kameradschaften um Christian Worch gehört, unterhält enge Verbindungen mit dem militanten Selbstschutz Sachsen-Anhalt (SSA). Angesichts des hohen Organisationsgrades der rechten Szene ist es wenig verwunderlich, dass schon am Freitag dieser Woche der nächste Aufmarsch gegen »linken Terror« in Gardelegen über die Bühne gehen soll. Alternative Jugendliche berichten, dass die Drohungen gegen sie zugenommen hätten.

Angeheizt wird die Stimmung von einem Flugblatt einer Bürgerinitiative gegen linke Gewalt. In klassisch rechtsextremer Manier stilisieren sich die Neonazis darin zu Opfern und behaupten unter der Überschrift »Ausnahmezustand in Gardelegen«: »Linke Chaoten jagten wehrlose Passanten durch Gardelegens Innenstadt.« Namentlich genannt wird in dem Flugblatt auch ein Mitarbeiter von Miteinander e.V. Die Hetze zeigt Wirkung. Selbst die Regionalpresse glaubt der rechtsextremen Propaganda und macht den Verein für die »Zustände« in Gardelegen verantwortlich.

Auch in Halle und Magdeburg versucht die extreme Rechte, die Opfer zu Tätern zu machen. Der jüngste Anlass war ein Brand in der Gaststätte »Reinheitsgebot«, die vom NPD-Kreisvorsitzenden in Magdeburg, Matthias Güttler, betrieben wurde und seit über einem Jahr als Konzert- und Veranstaltungsort für Neonazis in Sachsen-Anhalt diente. Ein Polizeisprecher sagte der Regionalzeitung Volksstimme, es sei unklar, wem der Brand zugeschrieben werden könne. Die an der Außenmauer von den Tätern hinterlassene Parole »Antifa heizst Angriff« könne auch ein Versuch sein, die Ermittler in die Irre zu führen. Die rechte Szene schreibt den Anschlag wahlweise »der Antifa« oder »dem Verfassungsschutz« zu.

Ganz vorne mit dabei ist der so genannte Nationale Beobachter Halle, der von dem rechtsextremen Ladenbesitzer Sven Liebich aus Halle betreut wird. Unter der Überschrift »Organisiert die Anti-Antifa« werden die Kameraden derzeit im Internet dazu aufgerufen, »sich verstärkt der präventiven Verbrechensbekämpfung zu widmen« und dem Nationalen Beobachter Namen von vermeintlichen Linken mitzuteilen.