»The Eminem Show«

Die Ebenen des Nein

Auf seinem neuen Album verschränkt Eminem mal wieder private und öffentliche Dramen und zelebriert die tausend Möglichkeiten, nein zu sagen.

Eigentlich sieht Eminem ganz zufrieden aus, so wie er sich für das Booklet seiner neuen Platte »The Eminem Show« hat ablichten lassen. Mit seiner Tochter planscht er in einem Swimmingpool, und man kann davon ausgehen, dass der Pool ihm gehört. Genau wie die luxuriöse Küche, in der er am Tisch sitzt und mit einem Stift auf Papier herumkritzelt. Was mag er wohl schreiben, fragt man sich: Alles im grünen Bereich, nur eine Bewährungsstrafe gekriegt für die Schlägerei, bei der jemandem ein Pistolenknauf an den Kopf geschlagen wurde? Die Scheidung von Frau Kimberly endlich über die Bühne gebracht? Sorgerecht für die Tochter zugesprochen bekommen? Alles in allem 25 Millionen Platten verkauft, geschätzte 90 Millionen Dollar auf der Bank und nun das nächste Meisterwerk im Kasten?

Wahrscheinlich nicht. Denn der Tag, an dem Eminem aufsteht und feststellt, dass doch eigentlich alles prima ist, dürfte auch der Tag sein, an dem es für ihn künstlerisch bergab geht. Denn ohne Hass, ohne Paranoia, ohne das Gefühl, verloren und von Feinden umstellt zu sein, würde Eminem wahrscheinlich nie wieder eine so großartige Platte aufnehmen wie »The Eminem Show«. Ihm wäre es vielleicht zu wünschen, doch uns würde etwas fehlen: einer der großen Konzeptkünstler der Gegenwart. Denn Eminem versteht es wie kein zweiter, seine privaten Katastrophen mit den Mechanismen der Öffentlichkeit zu verbinden und das Persönliche dadurch zu einem öffentlichen Drama zu machen.

Eigentlich funktioniert das Prinzip Eminem ganz einfach. Die einen können sich mit ihm identifizieren, und den anderen bietet er Gelegenheit, die Grenzen dessen zu definieren, was man noch sagen darf und was nicht mehr. Und wenn der richtige Augenblick gekommen ist, grinst Eminem beide frech an und verkündet: Nicht ich bin's gewesen, der Text war's! Kümmert euch um euren eigenen Kram! Ein Distanzierungsgestus, mit dem sich die einen wiederum identifizieren können, während sich die anderen darin bestärkt fühlen, dass es so nicht weitergehen kann.

Die einen, das sind die, die Eminem in seinem Stück »White America« auf das Weiße Haus zu marschieren lässt, und die anderen, nun ja, das sind die, die drin wohnen, drin gewohnt haben oder drin wohnen möchten. Die einen sind die Unverstandenen und die anderen die, die nicht verstehen wollen. Eigentlich ganz einfach, ein Szenario, das den Grundregeln des schaustellenden Gewerbes folgt. Trotzdem äußerst riskant und komplex, denn jenes Gewerbe umfasst mittlerweile die ganze Gesellschaft.

Die einen, das sind die, die sich nicht nur mit dem identifizieren, was Eminem sagt, sondern auch mit seiner Herkunft von der falschen Seite der Stadt. Es ist eine klassische White Trash-Biografie. Seine Mutter war 17, als sie ihn bekam, sein Vater verschwand bald darauf. Die Mutter lebte fortan von der Wohlfahrt und brachte ihren Tag damit zu, Pillen zu nehmen.

Kaum in der Schule, wechselte Eminem sie auch schon wieder, er wurde den lieben langen Tag von den Kindern in der Nachbarschaft verprügelt, einmal so sehr, dass er neun Tage lang im Krankenhaus zubringen musste. Er schluckte mehr halluzinogene Drogen als das Publikum von sieben Goa-Raves zusammen und verdiente sein Geld damit, irgendwelche Arbeiten zu machen, die niemand übernehmen muss, der einen Schulabschluss hat. Sein Onkel Ron, mit dem er zusammen den HipHop entdeckte, brachte sich um.

Eminem wurde Vater; mit Kimberly, der Mutter seiner Tochter, verbindet ihn eine Hassliebe. So lässt er sich ihren Namen auf den Bauch tätowieren, mit dem Zusatz »Rot In Peace«. Das ist das biografische Material, aus dem sich Eminems Stücke zusammensetzen. Ein Leben straight outta trailerpark. Arm und weiß. Familie kaputt. Nichts, was die amerikanischen Elternverbände gerne sehen.

Denn die anderen, das sind jetzt auch die amerikanischen Elternvereinigungen. Sie werden auf Eminem aufmerksam, als er auf seinem ersten Album, der »Slim Shady LP«, ein Stück veröffentlicht, dass davon handelt, dass er mit seiner toten Freundin im Kofferraum und seinem Töchterchen auf dem Beifahrersitz ans Meer fährt, um den Leichnam zu entsorgen. Bei genauerer Lektüre von Eminems Texten ergibt sich dann auch noch ein zwingender Homophobie-Verdacht. Außerdem ist er weder auf die Presse noch auf die amerikanische Regierung, seine Familie, den lieben Gott, oder das Musikgeschäft besonders gut zu sprechen. Er pariert die Angriffe, indem er von Pseudonym zu Pseudonym hüpft (»Will the real Slim Shady please stand up!«) und indem er sich auf die Freedom of Speech beruft und seine Kritiker als Heuchler beschimpft.

Das ist auf Eminems zweitem Album so, der »Marshall Mathers LP«, und im Grunde funktioniert auch »The Eminem Show« nicht anders. Was sie von ihren Vorgängerplatten unterscheidet, ist allerdings die Bewusstheit und das Reflexionsniveau, auf dem sich Eminem bewegt. Er drückt die immergleichen Knöpfe, erklärt dann, warum er sie drückt und wie vorhersehbar die Reaktionen sein werden, um die Knöpfe dann einfach noch mal zu drücken: »So the FCC (Federal Communications Commission, die Regierungsbehörde für Telekommunikation, die mehrfach prüfte, ob Radiosender sanktioniert werden können, die Songs von Eminem spielen; T. R.) won't let me be or let me be so let me see / they tried to shut me down on MTV but it feels so empty without me/ (...) Now let's go, give me the signal I'll be there with a whole list full of new insults« (»Without Me«).

Das Spiel funktioniert natürlich umso besser, je höher der persönliche Einsatz ist. So kommentiert Eminem seinen Sieg im Prozess um das Sorgerecht für seine Tochter Hailie Jade mit einem Song über das Glück, ein allein erziehender Vater zu sein (und nicht so ein Drecksack wie sein eigener Erzeuger, der sich aus dem Staub machte, ohne dem kleinen Eminem in der Wiege auch nur über den Kopf zu streicheln), nur um dann in »My Dad's Gone Crazy«, einem Duett mit Hailie Jade, demonstrativ Kokain zu schniefen: »Daddy, what are you doing?« - »I'm going to hell!« - »Funny Daddy!«

»Aber wo ist denn jetzt das tolle Neue?« wird vielleicht der eine oder die andere fragen. »Wo sind denn die Guten und die Bösen?« Darauf kann man wahrscheinlich nur antworten: Wer die Guten und wer die Bösen sind, muss sich jeder selbst aussuchen. Fest steht, dass Eminem ein begnadeter Poet und Rapper ist und dass »The Eminem Show« musikalisch und konzeptionell ein brilliantes Album ist - aber um solcherlei Ästhetizismen soll es hier nicht gehen.

Eminems Kunst dreht sich darum, mit der Erkenntnis ernst zu machen, dass unsere Gesellschaft kein Außen mehr hat. Dass es nur noch Medien gibt, und keine Alternative mehr. In diese Welt entlässt er sein Ich-will-das-nicht; ein Nein!, das keine Alternativen kennt, kein besseres oder anderes Leben. Damit steht Eminem zwar nicht alleine da, aber kaum jemandem gelingt es, all die verschiedenen Ebenen des Nein, die Bedingungen der Nein-Produktion in seiner Kunst so zu reflektieren wie Eminem. Ganz plump könnte man sagen, dass er sich der Strategie des uneigentlichen Sprechens bedient, ja, gar kein anderes Sprechen kennt und trotzdem den Kopf hinhält.

In diesem Sinne ist dann auch Christoph Schlingensief mit seinem Modell des Schock-Intellektualismus der einzige, den man Eminem an die Seite stellen könnte - als deutsche Version, also politischer und bewusster, dafür nicht so popkulturgeprägt und deshalb auch längst nicht so massenkompatibel - mit Carl Hegemann in der Rolle des Eminem-Entdeckers und Produzenten Dr Dre. Für Schlingensiefs aktuelle Volksbühnen-Produktion »Quiz 3 000 - Du bist die Katastrophe!« etwa hat er ein Bild von Jürgen Möllemann und eins vom Amokschützen von Erfurt, Robert Steinhäuser, auf der Bühne so arrangiert wie bei einem Staatsbegräbnis. Bei der Premiere rief er das Publikum dazu auf, Möllemann und Westerwelle zu erschießen, zwei Tote seien im Vergleich mit sechs Millionen ermordeter Juden ein Opfer, das man in Kauf nehmen könne.

Eminem: »The Eminem Show« (Motor Music)