Studentenproteste in Nordrhein-Westfalen

Bezahlt wird nicht

Die Studenten in Nordrhein-Westfalen gehen auf die Barrikaden. Sie halten nichts von den Studiengebühren, die die rot-grüne Landesregierung erheben will.

Was die Studierenden und ihre Organisationen in den vergangenen Jahren nicht geschafft haben, schafft Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Wolfgang Clement (SPD) im Handumdrehen: Er bringt die Studenten auf die Straße. In Köln demonstrierten am 6. Juni fast 10 000, zur Großdemonstration am 8. Juni kamen sogar 30 000 nach Düsseldorf. Inzwischen haben fast 20 Hochschulen in Nordrhein-Westfalen den Streik beschlossen.

Auslöser der Bewegung waren die Pläne, die Anfang Mai am Rande einer Sitzung der Hochschulrektorenkonferenz in Bonn durchgesickert waren. Wie kurze Zeit später von Clement bestätigt wurde, will die rot-grüne Landesregierung im Sommersemester 2003 eine »Verwaltungsgebühr« von 50 Euro pro Semester erheben. Zudem sollen Studierende im Zweitstudium 500 Euro pro Semester berappen, von so genannten Langzeitstudenten, die die Regelzeit um vier Semester überschritten haben, und von Senioren will man 650 Euro kassieren. Zusätzlich wird die Kürzung der staatlichen Zuschüsse für die Studentenwerke um 25 Prozent erwogen, was eine entsprechende Erhöhung der Sozialabgaben der Studierenden zur Konsequenz hätte.

Sollten diese Pläne in die Tat umgesetzt werden, würde ein Studium in Nordrhein-Westfalen teurer als in Baden-Württemberg, wo neben den Verwaltungsgebühren in gleicher Höhe nur 500 Euro bei einer Überziehung der Regelstudienzeit gezahlt werden müssen.

Die Gebühren sollen zur Sanierung des maroden Landeshaushaltes dienen. Der Grund für das Haushaltsloch in Nordrhein-Westfalen sind Steuerausfälle in Höhe von 1,4 Milliarden Euro, die vor allem infolge der zur Entlastung der Industrie durchgeführten Reform der Körperschaftssteuer im deutschen Bundestag entstanden.

Clement, der vor den Landtagswahlen im Jahr 2000 noch gegen Strafgebühren nach dem baden-württembergischen Muster zu Felde gezogen war, macht sich inzwischen die Argumentation der FDP und der CDU in Baden-Württemberg zu Eigen. Strafgebühren für Langzeitstudierende seien als »zukunftsbezogenes Steuerungsinstrument unverzichtbar«, lobte Clement die Ideen seines Stuttgarter Amtskollegen Erwin Teufel (CDU).

Die Proteste der Studierenden haben zwar bisher nicht zur Rücknahme der Pläne geführt, aber die Landesregierung ist offenbar überrascht vom Ausmaß des Widerstandes. Wo Ministerpräsident Clement derzeit auch auftritt, kann er mit seinem studentischen Fanclub rechnen. Egal ob beim Festakt zum Jubiläum des Dumont-Verlages in der Kölner Philharmonie am 7. Juni, wo Hunderte Studierende durch rhythmisches Trampeln auf dem Dach der Philharmonie den Regierungschef zu einer Diskussion zwangen, oder bei den Feierlichkeiten zum Essener Stadtjubiläum in der vorigen Woche.

Dort forderte ein vielstimmiger studentischer Chor: »Wolfgang, komm raus« und quittierte dessen Weigerung mit »Feigling«-Sprechchören. Bei einer Besetzung des SPD-Büros in Bochum bekam die SPD-Landtagsabgeordnete Carina Gödecke den Unmut der Studenten in Form einer Torte zu spüren, die als Volltreffer in ihrem Gesicht platziert wurde.

Einen neuen Höhepunkt erreichten die studentischen Proteste dann am vergangenen Samstag. Während der Sitzungen des Landesvorstandes und des Landesparteirats der nordrhein-westfälischen SPD demonstrierten 1 000 Studis vor der Duisburger Mercator-Halle und verlangten, dass den AStA-Vorsitzenden die Teilnahme erlaubt werde, was Clement und seine Bildungsministerin Gabi Behler jedoch verweigerten.

Nach einer turbulenten Sitzung lehnte der Landesparteirat dann Clements Pläne ab. Es dürfe keine Verwaltungs- und Strafgebühren bis zum ersten berufsqualifizierenden Abschluss geben. Dies müsse auch in finanziell schwierigen Zeiten ein Markenzeichen sozialdemokratischer Politik bleiben. Stattdessen solle ein alle sozialen Belange berücksichtigendes Gebührenkontenmodell eingeführt werden.

Solche Modelle erlauben es den Studierenden zwar, eine gewisse Zeit gebührenfrei zu studieren. Wird die vorgegebene Semesterstundenzahl jedoch irgendwann überschritten, fallen gleichfalls Gebühren an. Es handelt sich also ebenso um Studiengebühren für Langzeitstudenten, sie werden nur anders berechnet. Und dennoch verließ Clement nach dieser Entscheidung wutschnaubend den Tagungsort, allerdings nicht ohne festzustellen, dass er sich nicht an das Votum gebunden fühle.

Inzwischen haben sich auch zahlreiche Ortsverbände der nordrhein-westfälischen SPD gegen die Gebühren ausgesprochen, und auch auf Bundesebene fand Clement wenig Beifall, da die Sozialdemokraten dort um ihre Wahlchancen fürchten. Denn 1998 sind die SPD und die Grünen mit dem Versprechen, Studiengebühren zu verbieten, in den Bundestagswahlkampf gezogen. »Wir werden die Erhebung (...) von Studiengebühren ausschließen«, heißt es im rot-grünen Koalitionsvertrag von 1998. Erst jetzt, im April dieses Jahres, hat die Bundesregierung das 6. Änderungsgesetz zum Hochschulrahmengesetz (HRG) vorgelegt. Aber das angekündigte Studiengebührenverbot endete mit einer Regelung, die in begründeten Fällen Studiengebühren zulässt.

Zur Zeit sind nicht nur die Studenten in Nordrhein-Westfalen von der möglichen Einführung von Studiengebühren betroffen. Vielerorts wird darüber diskutiert. Vor allem die SPD verändert ihr bildungspolitisches Programm entsprechend. In den sozialdemokratisch regierten Bundesländern Rheinland-Pfalz und Niedersachsen könnte es demnächst auch zur Einführung von Studiengebühren kommen. Die Einrichtung von Studienkonten ist in Rheinland-Pfalz bereits beschlossene Sache.

Derweil versuchen die Grünen vergeblich, sich in diesem Konflikt als Gegner von Studiengebühren zu profilieren. Da sie ebenfalls die Einführung von Studienkonten fordern, stoßen sie auf wenig Verständnis bei den Studenten. Die bildungspolitische Sprecherin der grünen Landtagsfraktion Ruth Seidel wurde bei einem Auftritt vor Tausenden Studierenden in der Essener Innenstadt ausgepfiffen. »Eure Konten sind doch nur Clements Gebühren in grün«, wurde sie von empörten Studenten beschimpft.

Aus den Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg sind noch weiter gehende Pläne bekannt geworden. In Baden-Württemberg wird über die Einführung von allgemeinen Studiengebühren diskutiert, an der Technischen Universität München finden zurzeit Gespräche über ein vom Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) und von der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) entworfenes Studiengebührenmodell statt.

Das Konzeptpapier mit dem Titel »Studiengebühren als Option für autonome Hochschulen« wurde im November des letzten Jahres auf einer Sitzung des Plenums der HRK diskutiert. Woraufhin das CHE, auf der Suche nach einem Testgelände, auf die TU München stieß. Hier finden seit Januar Verhandlungen über die konkrete Ausgestaltung des Modells statt. Im Gespräch sind Studiengebühren in der Höhe von mehreren tausend Euro pro Semester.

»Die Pläne des CHE gehen weit über das hinaus, wovor Rot-Grün die Studierenden mit der Novelle des Hochschulrahmengesetzes angeblich bewahren wollte: die Einführung von Studiengebühren im Erststudium. Besonders enttäuschend ist das Verhalten der HRK, die zwar offiziell die Einführung von Studiengebühren ablehnt, aber zugleich dieses Thema vorantreibt«, kommentiert Christian Schneijderberg, vom Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS) die Pläne des CHE und der TU München.

Doch trotzdem ist es den Studierenden noch nicht gelungen, den Streik von Nordrhein-Westfalen auf andere Bundesländer auszuweiten. Einzig die Studenten der Universität Trier sind in einen Solidaritätsstreik getreten. Zu Protesten kam es in Hamburg und vor allem in Sachsen, in Dresden, Leipzig, Chemnitz und Zwickau. Ein wesentlicher Grund für die momentan noch geringe Resonanz dürfte die spärliche Berichterstattung über die Streiks sein.