Chaotische Ermittlungen zu den Anschlägen des 11. September

Scully hat die Nase voll

Eine Agentin bringt das FBI-Hauptquartier wegen der Ermittlungen zum 11. September in Bedrängnis. Das wiederum sieht die Schuld bei der CIA.

Ich denke, dass bestimmte Tatsachen, einschließlich der im Folgenden dargestellten, bis zu diesem Zeitpunkt verschwiegen, heruntergespielt, übertüncht oder falsch wiedergegeben wurden in der Absicht, die persönliche und/oder institutionelle Bloßstellung des FBI zu minimieren und/oder vielleicht sogar aus unbotmäßigen politischen Gründen.«

Eine der meist zitierten Personen in den USA dürfte derzeit Special Agent Coleen Rowley sein. Die FBI-Beamtin aus Minneapolis, Minnesota, hat in der vergangenen Woche in einem 13seitigen Brief an FBI-Direktor Robert S. Mueller III schwere Vorwürfe gegen das FBI-Hauptquartier (FBIHQ) erhoben. Aufgeblasene Hierarchien, Karrierismus in der Chefetage und ein unzureichendes Computersystem hätten in der Zeit vor dem 11. September sinnvolle Ermittlungen gegen die Terroristen nahezu unmöglich gemacht. Dem FBI-Chef Mueller wirft Rowley vor, er habe, um seine Karriere und die anderer zu schützen, nach dem 11. September die Öffentlichkeit belogen.

In der Geschichte über das Fehlverhalten der US-Geheimdienste vor dem 11. Septembers stellt dieser Brief einen vorläufigen Höhepunkt dar. Rowley konzentriert sich in ihrer Darlegung auf die Vorgänge um die Beobachtung und Verhaftung von Zacarias Moussaoui, dem mutmaßlichen »20. Mann« des 11. September. Obwohl er von einem Agenten in Minneapolis bereits sehr früh als potenzieller Terrorist identifiziert worden sei - eine Anfrage beim französischen Geheimdienst hatte ergeben, dass Moussaoui in Frankreich Kontakte zu radikalen islamischen Gruppen unterhielt, zudem nahm er Flugunterricht -, habe das FBI bei der Untersuchung des Falles systematisch »Straßensperren« aufgebaut. So habe beispielsweise die FBI-Führung wochenlang mit dem untersuchenden Beamten diskutiert, ob hinreichende Gründe für eine Hausdurchsuchung bei Moussaoui existierten, auch dann noch, als die Informationen aus Frankreich vorlagen. Das FBI verweigerte dem Agenten die Genehmigung, beim Justizministerium eine Erlaubnis einzuholen, das Büro des Bundesstaatsanwaltes in Minneapolis zu kontaktieren, damit dieses einen richterlichen Durchsuchungsbefehl erwirken könne.

Als institutionellen Mangel beklagt Rowley, dass Führungspositionen im FBI nicht von Polizisten besetzt werden, sondern von Politikern, die ihre Zeit beim FBI als möglichst skandalfrei zu bewältigenden Schritt auf ihrer Karriereleiter sehen. Die Angst vor karriereschädigender Kritik an Personen des FBIHQ führe zu Tatenlosigkeit und lähme die lokalen Behörden, da diese ohne Genehmigung von oben kaum ermitteln könnten. Die durch solche Versäumnisse entstandenen Fehler würden dann verschwiegen oder heruntergespielt, um den Ruf des »Bureau« und seiner Führung nicht zu gefährden.

Zähneknirschend wird Rowley nunmehr von allen Seiten, auch aus dem FBIHQ, »großer Mut« bescheinigt. Sie wurde vom US-Kongress zur öffentlichen Anhörung bestellt, und die von ihr veröffentlichten Informationen sollen Grundlage einer Restrukturierung der US-Geheimdienste werden, so lauten zumindest einige Forderungen.

Doch die Administration George W. Bushs scheint erst einmal andere Pläne zu haben. Das im vergangenen Jahr eingerichtete Office for Home Defense unter der Leitung des ehemaligen Gouverneurs von Pennsylvania, Thomas Ridge, soll den Status eines Ministeriums erhalten, mit entsprechend weit reichenden Befugnissen. Der Präsident kündigte an, seine Regierung werde dem Kongress einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorlegen. 23 Behörden sollen dem neuen Ministerium unterstehen, darunter die Einwanderungsbehörde INS, die Küstenwache und der Secret Service. FBI und CIA verbleiben zwar beim Justizministerium bzw. beim Pentagon, sollen aber das Ridge-Ministerium mit Informationen versorgen.

Bürgerrechtsorganisationen wie die American Civil Liberties Union (ACLU), eine gemeinnützige Anwaltskanzlei, die auch schon Martin Luther King vor Gericht vertreten hat, wittern den Polizeistaat und fordern zumindest parlamentarische Kontrollen nach dem Vorbild des Inspector General, der für den Kongress das FBI beobachtet. Der geschäftsführende Direktor der ACLU, Anthony Romero, kritisiert die Ausweitung der Staatsmacht durch den USA Patriot Act (Jungle World, 46/01) und die Einrichtung des Department of Home Defense als bürgerrechtsfeindlich und unzweckmäßig. »Wie Agent Coleen Rowley so couragiert anmerkte«, so Romero in einer Presseerklärung, »war die Unfähigkeit des FBI, die relevanten Daten angemessen zu analysieren, das Resultat von Kommunikationsproblemen und nicht durch einen Mangel an polizeilichen Rechten bedingt.«

Diese »Kommunikationsprobleme«, wie Romero sie euphemistisch nennt, sind offenbar nicht auf das FBI beschränkt. Newsweek veröffentlichte in der vergangenen Woche eine lange Reportage darüber, wie die CIA bereits im Januar 2000 ein Treffen von zwölf Vertrauten Ussama bin Ladens in der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur beobachtete. Zwei der Männer, die auf dem Planungstreffen in Kuala Lumpur anwesend waren, saßen aller Wahrscheinlichkeit nach am 11. September in dem Flugzeug, das in das Pentagon einschlug. Da die CIA ihre Informationen nicht an die Einwanderungsbehörde INS weitergegeben hatte, konnten Nawaf Alhazmi und Khalid Almidhar in die USA einreisen, Konten eröffnen und Flugunterricht nehmen. Als Almidhars Visum ablief, stellte ihm das State Department einfach ein neues aus, man wusste offenbar nicht, dass die CIA den Mann bereits mit dem Anschlag auf das US-Kriegsschiff »Cole« im Oktober 2000 im Jemen in Verbindung brachte.

»Die CIA leitet äußerst ungern Informationen an andere Behörden weiter, um ihre Quellen und Methoden nicht preiszugeben«, heißt es in dem Artikel. »Außerdem betonen CIA-Offizielle, dass die der Anti-Terror-Zentrale der CIA zugewiesenen FBI-Beamten von dem Treffen in Malaysia und der Anwesenheit von Alhazmi und Almidhar wussten. FBI-Sprecher protestieren jedoch und verweisen darauf, dass sie erst vor kurzem die wichtigste Information erhielten: Die CIA wusste, dass Alhazmi im Land war und dass Almidhar nach Belieben einreisen konnte.« Das führte nach Recherchen von Newsweek in den Wochen nach dem 11. September zu einer Reihe von verbalen Zusammenstößen zwischen führenden Beamten. Zudem legte das FBI eine detaillierte Grafik vor, wie Agenten den Anschlag hätten aufdecken können, hätten sie früher von Alhazmi und Almidhar erfahren, da diese häufige Kontakte zu mindestens fünf weiteren Entführern unterhielten.

FBI und CIA-Offizielle schieben sich gegenseitig die Schuld zu. Und bringen dabei, um die Position des anderen zu schwächen, immer mehr unangenehme Details ans Tageslicht. Coleen Rowleys These von überbordender Bürokratie und Karrierismus gewinnt dadurch an Gewicht. Gleichzeitig erscheint der Versuch der Regierung Bush, bürokratische Hemmnisse durch eine Mammutbehörde mit umfangreichen Befugnissen zur Datensammlung zu bekämpfen, vor allem vom Bedürfnis nach einer internen Regelung des Skandals unter Schonung der Interessen regierungsnaher Personen motiviert zu sein.

Kein Wunder also, dass dieses Vorgehen der Administration allen möglichen mehr oder weniger fantastischen Theorien über eine Komplizenschaft wahlweise der CIA, der Regierung oder der Ölindustrie - Pipelines durch Afghanistan! - Vorschub leistet. Als die Abgeordnete Cynthia McKinney am 25. März in einem Radio-Interview sagte, sie wisse von zahlreichen Warnungen vor den Anschlägen, stellten konservative Medien und Politiker ihre geistige Gesundheit in Frage. Zu Unrecht, wie man auch damals schon vermuten konnte.

Regierung und Geheimdienste verschweigen und verfälschen ständig alle möglichen Tatsachen über den 11. September und geben nur das zu, was ohnehin bekannt ist. Es braucht nicht viel Fantasie, um aus dem lückenhaften Gebilde, das bisher der Öffentlichkeit präsentiert wird, eine riesenhafte Verschwörung gegen die Völker der Welt, von Amerika bis Afghanistan, zu konstruieren. Dass die Regierung Bush beim Krieg gegen den Terror auch andere Interessen verfolgt, beweist allerdings noch keine Komplizenschaft bei den Anschlägen.