Prozesse und Proteste

Unruhe in der Oase

In Tunesien führten Prozesse gegen Oppositionelle zu Protesten der Anwaltskammer und des Gewerkschaftsverbandes.

in »erklärter Verteidiger der Pädophilie« und »notorischer Perverser« sei der Angeklagte, behauptete die regierungsnahe tunesische Zeitung La Presse am 4. Februar. Ihm sei es mit seinem Handeln nur darum gegangen, »Ablenkung zugunsten seiner israelischen Freunde zu erzeugen, damit diese ungestört fortfahren können, palästinensische Kinder zu töten«.

Robert Ménard, dem die Attacke des Journalisten Moncef Gouja galt, ist Vorsitzender der Vereinigung RSF (Reporter ohne Grenzen). Zu seinem Glück ist er für das tunesische Regime unerreichbar, doch stand er am Donnerstag voriger Woche in Paris vor Gericht. Ihm wird die Beteiligung an »gemeinschaftlich begangenen Gewalttaten« gegen das tunesische Tourismusbüro in der französischen Hauptstadt vorgeworfen. Die Besetzungsaktion, die am 28. Juni 2001 begann und etwas länger als 24 Stunden dauerte, verlief jedoch außerordentlich friedlich, vor ihrem Abzug benutzten die Aktivisten sogar den Staubsauger.

Der Anlass der Besetzung war die Inhaftierung der bekannten tunesischen Journalistin und Verlegerin Sihem Bensedrine. Ihr war es gelungen, Fotodokumente über Folterungen in Tunesien im Internet zu veröffentlichen. Die tunesische Regierung betrachtete dies als »böswillige Verbreitung falscher Nachrichten in der Absicht, die öffentliche Ruhe und Ordnung zu beeinträchtigen«. Ein schweres Delikt, zumal Tunesien zu jenen Ländern zählt, die nach wie vor versuchen, das Internet zu zensieren. Lediglich zwei Server gewähren Zugang zu dem weltweiten Kommunikationsnetz - und beide Gesellschaften gehören engen Verwandten des Staatspräsidenten. Seit 1998 haben die tunesischen Behörden es sogar geschafft, den Internet-Zugang zu amnesty international zu blockieren und dafür eine eigene, täuschend ähnlich gestaltete Homepage unter dem Namen www.amnesty-tunisia.org zu schalten. Dort werden die »Erfolge der Menschenrechtspolitik von Präsident Ben Ali« überschwänglich gelobt.

Da ihre Informationspolitik nicht auf französischen Boden übertragbar ist, mussten die tunesischen Behörden gegenüber den RSF-Aktivisten ein anderes Mittel finden. Prompt ließ sich die Leiterin des Tourismusbüros in Paris, Samia Ayari-Mattei, im Anschluss an die Besetzungsaktion für sechs Tage krank schreiben. Sie behauptet nun, ein Opfer brutaler Gewalt geworden zu sein.

Weder die Aussagen anwesender Journalisten noch die ununterbrochene Videodokumentation der Besetzung belegen diesen Vorwurf. Dennoch forderte der Staatsanwalt eine Geldstrafe in Höhe von 1 000 Euro für Robert Ménard. Das Urteil soll am 7. März gesprochen werden.

In Tunesien bedarf es bei Prozessen gegen Oppositionelle des Vorwurfs der Gewaltanwendung nicht. Fast immer geht es um Meinungsdelikte. Mittlerweile aber wird die staatliche Repression nicht mehr schweigend hingenommen. So löste im Februar der Prozess gegen Hamma Hammami, den Vorsitzenden des illegalen PCOT (Kommunistische Arbeiterpartei Tunesiens), einen Skandal aus. Die an Mao und Stalin orientierte Organisation ist, auch dank einer im Alltag pragmatischen Politik, zu einer der wichtigsten unter den illegalen Oppositionsparteien geworden. Der Literaturprofessor Hammami lebte, wie andere führende PCOT-Mitglieder, seit vier Jahren in der Illegalität. Internationaler Druck hatte 1995 zu seiner Freilassung geführt. Doch 1999 verurteilte ihn ein Gericht in Tunis in Abwesenheit wegen »Aufrechterhaltung einer illegalen Organisation« und der Verteilung von »die Ordnung gefährdenden« Flugblättern erneut zu neun Jahren und drei Monaten Haft. Polizeikommandos hatten ihn zudem direkt mit dem Tode bedroht.

Am 2. Februar dieses Jahres nun traten Hamma Hammami und seine Genossen Abdeldjabar Madouri und Samir Taamallah freiwillig aus der Illegalität heraus und begaben sich nach vorheriger Ankündigung unter den Augen der Öffentlichkeit zum Gericht. Dort wurde die Aufhebung ihrer Urteile verhandelt. Doch an jenem Tag erschien der Richter nicht. Aus Furcht, den Anwälten und den 400 bis 500 Zuschauern im Prozesssaal gegenüberzutreten, verbarrikadierte er sich in seinem Büro.

Stattdessen erschienen Polizisten in Zivil und verschleppten die drei Oppositionellen sowie ihren Genossen Amar Amoussia, der in dem Verfahren gar nicht angeklagt war, vor den Augen internationaler Prozessbeobachter. Danach genügten dem Richter knappe 30 Sekunden, um die Urteile von 1999 zu bestätigen. Hammami sitzt seitdem im Trakt für zum Tode verurteilte Häftlinge, wo die Haftbedingungen besonders hart sind. Am Dienstag voriger Woche begann er einen unbefristeten Hungerstreik.

Der Prozess gegen Hammami veranlasste die Anwaltskammer Tunesiens dazu, einen 24stündigen Streik auszurufen. Bei den Wahlen im Juni 2001 hatten regierungskritische Kräfte die Mehrheit in der Anwaltskammer errungen, über 90 Prozent der Anwälte befolgten am 7. Februar den ersten Streikaufruf ihres Berufsverbandes.

Beunruhigender noch war für das Regime eine weitere Premiere. Zum Auftakt des Kongresses des tunesischen Gewerkschaftsbundes UGTT (Allgemeine Union der tunesischen Arbeiter) in der zweiten Februarwoche wurde eine Resolution zur Unterstützung der streikenden Anwälte verabschiedet. Erstmals fehlte auch Staatspräsident Ben Ali unter den Kongressgästen, und die Verlesung seiner Grußbotschaft wurde von Buhrufen unterbrochen.

Ben Ali war es nach seiner Machtübernahme 1987 gelungen, die zuvor regimekritische Einheitsgewerkschaft unter Kontrolle zu bringen. In diesem Jahr wurde die UGTT-Führung jedoch mit oppositionellen Basisgewerkschaftern konfrontiert. Sie reisten zahlreich aus Tunis zum Kongress im 400 Kilometer entfernten Djerba und erzwangen durch ein Sit-in vor den Toren ihren Zutritt zur Versammlung. Doch obwohl der Gewerkschaftsvorsitzende ausgetauscht wurde, bleibt der UGTT-Apparat vorerst staatstreu.

Ungeachtet der RSF-Aktion in Paris und der wachsenden Proteste in Tunesien ist die westliche Unterstützung für das Regime des ehemaligen Militärs Ben Ali ungebrochen. Der Präsident, der einst in den Schulen US-amerikanischer Nachrichtendienste ausgebildet worden war, stützte sich zunächst vor allem auf das Bündnis mit den USA. Unter der Regierung der Sozialistischen Partei hatte Frankreich noch auf die stärkere Einbindung der bürgerlichen Demokraten, aber auch der Islamisten gedrängt. Doch 1995 unterzeichnete Tunesien als erster Staat des südlichen Mittelmeerraums ein Assoziierungsabkommen mit der EU, das zwischen 2002 und 2007 zu einer weitgehenden Öffnung des tunesischen Markts führen wird.

Noch im Januar dieses Jahres lobte ein französischer Präsidentschaftskandidat, der Linksnationalist Jean-Pierre Chevènement, bei einem Besuch in Tunis die dortige Diktatur als »Oase der Stabilität«. Für diese Stabilität sorgen in Tunesien über 130 000 Polizisten. Frankreich, das sechsmal so viele Einwohner hat, beschäftigt knapp 100 000 Polizisten.