Jörg Tauss (SPD) zum Streit um Linux und Windows im Bundestag

»Es müssen Alternativen her«

Nach einem einjährigen heftigen Streit hat die für Informations- und Kommunikationstechnologie zuständige Kommission des Bundestags (IuK) in der vergangenen Woche entschieden, die Server des Bundestags auf das Betriebssystem Linux umzustellen. Die Abgeordneten können nun zwischen Windows und Linux wählen. Gegner und Befürworter von Windows und Linux hatten sich zuvor gegenseitig mit offenen Briefen überschüttet. Jörg Tauss, Beauftragter für neue Medien der SPD-Bundestagsfraktion und Abgeordneter im Wahlkeis Karlsruhe-Land, ist einer der profiliertesten Befürworter von Open Source Software.

Die IuK-Kommission wird dem Ältestenrat des Bundestags empfehlen, in Zukunft Open-Source-Produkte einzusetzen. Wird der Bundestag langfristig eine von Windows befreite Zone?

Es geht nicht gegen Microsoft. Es geht darum, weniger von einem bestimmten Unternehmen abhängig zu sein und mehr Spielräume und Alternativen zu haben. Das ist natürlich eine politische Entscheidung und hat etwas mit Demokratie zu tun. Die IuK-Kommission hat sich jedoch immer bemüht, die technischen Fragen in den Mittelpunkt zu stellen. Ich habe auch bewusst eine Personifizierung vermieden. Die Frage, welche Software eingesetzt wird, muss sachlich begründet werden.

Spielten denn parteipolitische Erwägungen gar keine Rolle?

Die Fronten pro und kontra Open Source gingen quer durch die Parteien. Auch in der CDU gab es Gegner und Befürworter von Linux und Windows. Ich frage mich aber, warum Microsoft-Lobbyisten in der CDU Software unterstützen, die, was die Sicherheit angeht, nicht unumstritten ist. Auch die FDP hat sich für Microsoft stark gemacht. Insgesamt kann man aber sagen, dass die Regierungskoalition eine Mehrheit für ihre Entscheidung zugunsten der Open Source Software hat. Bei uns in der SPD-Fraktion wird eine Mehrheit für Linux sein. Dass ein Kompromiss zustande gekommen ist, mit dem alle leben können, ist vor allem auch ein Verdienst des Vorsitzenden der Kommission, Uwe Küsters, der sich immer wieder dafür eingesetzt hat. Ein großes Lob gebührt auch der Bundestagsverwaltung, die mit Sachverstand und Engagement mögliche Optionen erarbeitet hat, die auch im Wesentlichen der Empfehlung der IuK-Kommission zugrunde lagen. Dies belegt wieder einmal, dass Verwaltungen wesentlich modernisierungsfreudiger sind, als es vielfach angenommen wird.

Welche sachlichen Gründe haben jetzt den Ausschlag gegeben, auch Linux einzusetzen?

Der Bundestag hat eine besondere Verantwortung unter ordnungs- und wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten. Ein Betriebssystem muss sich an den Anwendern orientieren. Für öffentliche Bereiche wie die Bundesbehörden stehen nicht zuletzt auch Fragen der Sicherheit und der Kosten im Vordergrund. Zwischen diesen Aspekten galt es zwischen den angebotenen Alternativen abzuwägen. Je mehr Politik, Wirtschaft und Bildung in den Netzen stattfindet, umso mehr werden wir uns um Sicherheit, Stabilität und Kompatibilitätsanforderungen der IT-Systeme Gedanken machen müssen. Die wettbewerbspolitische, standortpolitische, haushaltspolitische und sicherheitspolitische Vernunft weist immer mehr in Richtung Open Source.

Die von Linux-Befürwortern gestartete Initiative »Bundestux« wurde von vielen mittelständischen IT-Unternehmen in Deutschland unterstützt. Gibt es keine bedingungslose Solidarität mit der amerikanischen Wirtschaft?

Ich begrüße es, wenn die technische Monokultur aufgeweicht wird, sowohl aus europäischer als auch wettbewerbs- und standortpolitischer Sicht. Ein Wettbewerb existiert faktisch gar nicht. Es sind auch noch mehrere Missbrauchsverfahren gegen Microsoft anhängig. Auch diese Überlegungen haben eine Rolle gespielt. Es müssen Alternativen her, nicht nur aus deutscher, sondern auch aus europäischer Perspektive. Und diese Alternativen sind kostengünstiger und zu großen Teilen in der europäischen Entwicklergemeinde realisiert worden.

Wie werden die Empfehlungen jetzt praktisch umgesetzt werden?

Im Bundestag und in der Verwaltung laufen 190 Server. Insgesamt geht es um 5 000 Arbeitsplatzrechner von Abgeordneten, Fraktionsmitgliedern und der Verwaltung. Um welche finanziellen Summen es insgesamt geht, kann ich jetzt nicht genau sagen. Die Bundestagsverwaltung übernimmt die Schulung, wenn Abgeordnete von Windows auf Linux umsteigen wollen. Wie das konkret aussieht, daran wird zur Zeit noch gebastelt. Ich habe auch einen Antrag eingebracht, dass das Thema Verschlüsselung der E-Mails diskutiert wird.

In der Öffentlichkeit ist der Eindruck entstanden, dass vor der emotional aufgeheizten Debatte hart gestritten wurde, zuweilen unter der Gürtellinie.

Die Abgeordneten des Bundestags und die Gremien wollen sich frei und ohne Druck entscheiden können. Kurt Sibold, der Vorsitzende der Geschäftsführung der Microsoft GmbH, hat in einem Brief an mehrere Abgeordnete behauptet, es gehe den Open-Source-Befürwortern darum, Microsoft und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu verunglimpfen. Das halte ich für eine eine ideologisch gefärbte Unterstellung.

Sie haben die Form der Lobbyarbeit von Microsoft öffentlich kritisiert und von »falschen Behauptungen« und »diffamierender Vorgehensweise« gesprochen.

Es gab Versuche, massiv auf die Parlamentarier und die Entscheidung des Ältestenrats Einfluss zu nehmen. In dieser Form habe ich das noch nicht erlebt. Eine Dame, die ich nicht kannte, hat uns einen Brief geschrieben mit dem Hinweis, unter den Eindrücken des 11. September könne man sehen, dass Microsoft-Produkte sicher seien und Linux-Produkte nicht. Wir sollten keine »unverantwortlichen Entscheidungen« treffen. Der Brief stammte offenbar von der PR-Agentur, die im Auftrag Microsofts arbeitete. Lobbyarbeit unter falscher Adresse - das ist schon fast wieder komisch.

Ich fand auch den Vorschlag Microsofts, zwar dem Bundestag den Quellcode von Windows offen legen zu wollen, aber nicht dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, nicht unbedingt seriös. Was soll ich als Abgeordneter mit ein paar Millionen Zeilen Programmcode? Auch das Zahlenmaterial, das vorgelegt wurde, um zu beweisen, dass die mit Microsoft konkurrierenden Produkte teurer seien, konnten wir nicht nachvollziehen.

Hätte Microsoft nicht damit rechnen müssen, dass diese fragwürdigen Methoden bekannt werden und die Entscheidungen des Bundestags negativ beeinflussen?

Ich kann mir einige Vorfälle und Äußerungen von Lobbyisten nur mit Nervosität erklären. Es fiel zum Beispiel der Satz, Linux sei ein »Krebsgeschwür«. Microsoft will seinen Anteil nicht nur bei den privaten Anwendern, sondern auf dem Servermarkt ausbauen. Wenn jetzt der Bundestag ein anderes Zeichen setzt und Open Source Software wie Linux als Alternative diskutiert oder gar favorisiert, ist das natürlich ein Grund für Microsoft, besorgt zu sein.

Werden sich andere Behörden, etwa das Bundesministerium für Verteidigung, von der Entscheidung des Bundestags beeinflussen lassen?

Das hat sicher eine Signalwirkung. Das Innenministerium war zum Beispiel in einer ähnlichen Situation und durch Verträge an die Firma Microsoft gebunden. Schon im letzten Jahr wurde über einen neuen Rahmenvertrag verhandelt. Ich kann mir vorstellen, dass man dort über das Problem zumindest nachdenkt.

Die Diskussion um ein neues Betriebssystem wurde angestoßen, weil die Verträge mit Microsoft ausliefen und das Unternehmen das zum Anlass genommen hat, die Lizenzverträge neu zu regeln. Ohne Bill Gates' neue Windows-Version wäre vielleicht alles beim Alten geblieben. War das nicht ein Eigentor von Microsoft?

Hätten wir keinen Grund gehabt, über ein anderes Betriebssystem nachzudenken, und gäbe es nur Windows NT, mit dem die Rechner des Bundestags noch ausgestattet sind, wäre die Diskussion sicher ein wenig anders gelaufen.

www.bundestux.de