Die Türkei und Griechenland wollen ihren Streit um Zypern beilegen

Ende eines Erdbebens

Um den türkischen EU-Beitritt nicht zu gefährden, wollen Athen und Ankara den Streit um Zypern in diesem Jahr beilegen.

Was vor kurzer Zeit noch undenkbar war, scheint nun in greifbare Nähe zu rücken. Nicht nur auf der seit mehr als 25 Jahren geteilten Insel Zypern, wo der Führer der türkischen Bevölkerungsgruppe, Rauf Denktasch, seit einem Monat mit seinem griechischen Kollegen Glafkos Kleridis über eine neue Verfassung verhandelt, scheint eine Verständigung möglich.

Auch im Verhältnis zwischen den beiden lange verfeindeten Nato-Staaten kündigt sich eine drastische Wende an. So berieten Anfang des Monats die Außenminister Griechenlands und der Türkei, Jorgos Papandreou und Ismail Cem, in Istanbul über eine mögliche Beilegung des Konflikts. Im Juli 1974 hatte die türkische Armee den nördlichen Teil der Insel besetzt und damit die faktische Teilung eingeleitet.

Die beiden Außenminister arbeiten schon seit drei Jahren beharrlich an einer Verbesserung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten. Das Verhältnis hatte sich vor allem nach dem schweren Erdbeben im Westen der Türkei, das vor drei Jahren etwa 18 000 Opfer forderte, spürbar verbessert. Damals eilten griechische Rettungstrupps in das Katastrophengebiet und halfen bei der Bergung.

Nun scheint die Zeit der so genannten Erdbebendiplomatie zwischen Cem und Papandreou vorbei zu sein. Bislang hatten sie, zumindest offiziell, nur über politisch harmlose Themen wie Investitionsförderung, Umweltschutz und Erleichterungen im bilateralen Handel gesprochen. Es ist allerdings anzunehmen, dass die beiden bei ihren unzähligen Treffen unter vier Augen auch die heißen Themen diskutiert haben. Dazu gehören vor allem die Kontroversen über die Kontrollbefugnisse im Luftraum, die griechische Militärpräsenz auf einigen ostägäischen Inseln, die Hoheitszonen in der Ägäis und den genauen Grenzverlauf vor der türkischen Küste.

Der nun auf eine Initiative Athens begonnene Dialog basiert auf den Beschlüssen des EU-Gipfels in Helsinki von 1999. Dort wurde festgehalten, dass die Grenzstreitigkeiten zwischen Athen und Ankara und andere damit zusammenhängende Fragen bis zum Jahr 2004 aus dem Weg geräumt werden müssten. Sollte bis zu diesem Zeitpunkt keine Lösung erreicht sein, müssten die offenen Fragen vor dem internationalen Gerichtshof in Den Haag behandelt werden. Denn die Gespräche über den EU-Beitritt Zyperns befinden sich in der entscheidenden Phase und sollen bis zum Jahresende abgeschlossen sein.

Die von der EU anvisierte Entwicklung birgt jedoch für beide Parteien gewisse Risiken. So vertrat Athen bisher die Position, dass nur über den genauen Verlauf des Festlandssockels verhandelt werden könne, nicht aber über darüber hinausgehende Gebiete. Da in der Ägäis große Öl- und Gasvorkommen vermutet werden, entscheidet der Grenzverlauf über die Ausbeutungsrechte. »Wir akzeptieren die Existenz eines Territorialproblems nicht, unsere Grenzen sind konkret. Unbestimmt sind nur jene des Festlandssockels«, erklärte dazu Außenminister Papandreou noch Ende Februar im griechischen Parlament.

So versucht die Türkei schon seit längerem, die Zugehörigkeit unbewohnter Felseninseln zum griechischen Staatsgebiet in Zweifel zu ziehen, sie hat diese Gebiete zu »grauen Zonen« erklärt. Der Konflikt um die Imia-Inseln führte beide Länder Anfang 1996 an den Rand eines Krieges.

Dass sich die griechische Regierung jetzt trotzdem dafür entschieden hat, über eigentlich »nicht verhandelbare Punkte« zu sprechen, dürfte nicht zuletzt am Sinneswandel von Ismail Cem liegen. Er sprach kürzlich zum ersten Mal von der Möglichkeit, nicht gelöste zwischenstaatliche Probleme an den Internationalen Gerichtshof weiterzuleiten. Bisher hatte Ankara diesen Vorschlag abgelehnt. Denn nach Meinung des türkischen Regierungschefs Bülent Ecevit sind die Differenzen zwischen beiden Ländern »nicht juristischer, sondern politischer« Natur. Den Haag sei deshalb für dieses Problem gar nicht zuständig.

In der Tat hat die Türkei vom Internationalen Gerichtshof nicht viel zu erwarten. Bei einigen strittigen Punkten, wie etwa der Ausweitung der Grenzen in den Hoheitsgewässern auf zwölf Seemeilen, existieren internationale Abkommen, die die griechische Auffassung bestätigen. Aus diesem Grund hat die türkische Regierung die Seerechtskonvention zwar nicht unterzeichnet, was sie aber nicht davon abhält, sich bei Streitigkeiten über den Grenzverlauf im Schwarzen Meer auf eben diese Konvention zu berufen.

Der wichtigste Grund für die griechische Gesprächsinitiative dürfte jedoch in der Innenpolitik zu finden sein. Nachdem Ministerpräsident Kostas Simitis sein Land in die Euro-Zone geführt hat, will er nun sein politisches Lebenswerk mit einer umfassenden Aussöhnung zwischen den beiden bislang verfeindeten Staaten krönen. Und so seiner Partei, der sozialdemokratischen Pasok, im übernächsten Jahr noch einmal zu einem Wahlsieg verhelfen.

Auf einem anderen Wege wird es ihm auch kaum möglich sein. Die Pasok ist zerstritten und debattiert bereits offen über seine möglichen Nachfolger. Die Reform der Sozialversicherungen kommt nicht voran, die Bauern streiken und an den Hochschulen regt sich Widerstand gegen neue Bildungsgesetze.

Ob Simitis' ehrgeiziger Plan gelingt, ist indes ungewiss. Ein 1988 vom damaligen Regierungschef Andreas Papandreou mit viel Enthusiasmus gestarteter Dialog mit der Türkei verlief nach wenigen Monaten im Sande. Die Verhandlungen scheiterten damals an der Zypernfrage und den damit verbundenen starken innenpolitischen Widerständen. Und auch heute muss Simitis mit starkem Gegenwind rechnen.

Als sich Zyperns Präsident Glafkos Kleridis kurz vor Weihnachten mit Rauf Denktasch traf, um über die Zukunft der Insel zu sprechen, grenzte dies für die griechischen Nationalisten an Landesverrat. Schließlich fand das Gespräch im Hause von Denktasch statt, weshalb Kleridis über die Demarkationslinie ins türkisch besetzte Nordzypern fahren musste - ein Affront für die Patrioten.

Doch auch der türkische Außenminister Ismail Cem muss sich vor einer weiteren Annäherung an Griechenland nicht nur der Unterstützung seines Regierungschefs Ecevit, sondern auch des Militärs versichern. Denn die türkische Armee ist nicht gerade für ihre Freundschaft mit den Griechen bekannt.