Slobodan Milosevic vor Gericht

Chaostage in Den Haag

Für eine Verurteilung fehlen dem Uno-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag wichtige Zeugen. Milosevics Rechtsberater hoffen auf den Abbruch der Verhandlung.

In den kommenden Tagen werden die Staatsoberhäupter dieser Erde einen etwas seltsam anmutenden Brief des Internationalen Komitees zur Verteidigung von Slobodan Milosevic erhalten. Neben altbekannten Vorwürfen gegen das Haager Tribunal enthält der lange Brief eine zentrale Botschaft: Sollte Milosevic den Gerichtssaal als freier Mensch verlassen, könnten eines Tages die Adressaten selbst zu Gefangenen der internationalen Gerichtsbarkeit werden.

Höchstwahrscheinlich werden sich die amtierenden Staatspräsidenten und Premierminister der Welt von der Warnung der selbst ernannten Verteidiger Milosevics wenig beeindrucken lassen. Eines aber zeigt die Massensendung an die Staatskanzleien ganz deutlich: Angesichts der nahezu aussichtslosen rechtlichen Lage des früheren serbischen und jugoslawischen Präsidenten, sind seine Verteidiger schlicht verzweifelt. Das räumt auch Christopher Black ein, ein kanadischer Anwalt und der Vizepräsident des internationalen Milosevic-Komitees. »Im Moment bleibt uns eigentlich nichts anderes übrig, als eine ordentliche Show zu inszenieren«, sagt er der Jungle World.

Damit dürfte er Recht behalten, denn in den Wochen und Monaten vor dem Prozessbeginn haben die Richter in Den Haag den juristischen Spielraum für die Verteidiger Milosevics immer stärker eingeschränkt. Erst im November des vergangenen Jahres wurde Black der Kontakt mit dem Gefangenen verboten, weil er der Jungle World ein Interview mit dem prominenten Häftling vermittelt hatte. Auch der niederländische Anwalt Nico von Stejnen, der Milosevic vor dem Strasbourger Gerichtshof für Menschenrechte vertritt, darf inzwischen nicht mehr mit seinem Mandanten sprechen.

Allerdings ist auch Milosevic alles andere als ein kooperativer Schützling. Denn die rechtliche Handhabe zu seiner Isolation liefert der einstige Präsident dem Justizapparat in Den Haag selbst. Weigerte er sich nicht, einem der Anwälte das offizielle Mandat zu seiner Verteidigung zu übertragen, könnten auch die Beamten der Chefanklägerin Carla del Ponte wenig ausrichten. Black ist deshalb genervt: »Ich würde ihm dringend empfehlen, ein paar Anwälte zu nehmen. Auch seine Frau Mira Markovic hat mir gesagt, dass sie das möchte.«

Milosevic indes bleibt hart, weil seine Strategie, die Legitimität des Tribunals insgesamt in Frage zu stellen, sonst nicht mehr aufginge. Die Benennung eines Anwalts würde schließlich implizieren, dass er das Gericht anerkennt. Als von der Nato inszenierte Fortsetzung des Kosovo-Krieges mit juristischen Mitteln ließe sich das Verfahren gegen ihn dann kaum noch denunzieren. Black hält immer weniger von diesem Vorgehen. »Langsam werden diese politischen Reden langweilig. Es kommt ja ohnehin nichts dabei raus, weil ihm der Richter sowieso das Mikrofon abdreht.«

Stattdessen setzt der Kanadier auf Prominenz. Als Regisseur der »Verteidigungsshow« konnte er im Januar einen ganz besonderen Kandidaten gewinnen: den französischen Anwalt Jacques Vergès, einen Mann mit einem nicht wirklich lupenrein antifaschistischen Lebenslauf. In den achtziger Jahren verteidigte er den als »Schlächter von Lyon« bekannten NS-Kriegsverbrecher Klaus Barbie. Black rechtfertigt das auf seine Art: »Er wollte Barbie damals nicht verteidigen. Während des Prozesses aber hat er sehr schön offen gelegt, wie weitreichend das Vichy-Regime mit den deutschen Nazis kollaborierte.« Vergès' Aufgabe im Milosevic-Prozess dürfte es sein, einen Abbruch der Verhandlungen zu erzwingen. »Dieses Gericht wurde nur zur Verurteilung von Slobodan Milosevic geschaffen«, sagt Vergès; demnach sei ein Abbruch des Verfahrens die einzige Chance, den früheren Präsidenten vor dem Zugriff del Pontes zu retten.

Die Anklägerin aber hat in den vergangenen Wochen einen verfahrenstechnischen Sieg nach dem anderen davongetragen. Nachdem das Gericht ihr Anliegen, die Verbrechen im Kosovo mit den Milosevic vorgeworfenen Kriegsverbrechen in Kroatien und Bosnien in einer einzigen Anklage zusammenzufassen, Mitte Dezember zunächst abgeschmettert hatte, ging das Berufungsverfahren Ende Januar zu del Pontes Gunsten aus. Seit Mittwoch steht Milosevic doch wegen aller drei Kriege vor Gericht.

Die Intention der Schweizerin ist offensichtlich. Mit seiner Mischung aus politischen Vorwürfen und unbewiesenen strafrechtlichen Verdachtsmomenten, soll Milosevics vermeintliches Streben nach einem Großserbien für sämtliche Vergehen auf dem Balkan der neunziger Jahre verantwortlich gemacht werden. Damit wird auch die Verteidigungsstrategie des Häftlings durchkreuzt. Wollte dieser mit politischen Plädoyers die juristischen Vorwürfe entkräften, setzt nun auch del Ponte auf die politische Karte.

Außerdem hat sie dank der Entscheidung des Gerichtes, alle drei Fälle zusammenzufassen, Zeit gewonnen. Zwar ist der Prozess in dieser Woche eröffnet worden, ein derart umfangreiches Verfahren aber wird nach Auskunft gewöhnlich gut unterrichteter Gerichtskreise in Den Haag »vermutlich nicht vor Ende des Jahres« beginnen können. Schließlich besteht der historische Anspruch del Pontes darin, zehn Jahre der Geschichte des Balkans aufzuarbeiten - eine Aufgabe, für die selbst ein Musterstudent einige Semester bräuchte. In den kommenden Monaten wird del Ponte vor allem daran arbeiten, Zeugen gegen den Angeklagten aufzubauen, denn an schriftlichen Beweisen für die vermeintlichen großserbischen Pläne des Angeklagten mangelt es.

Ein Wunschzeuge wäre etwa Milan Milutinovic, der serbische Präsident und ehemalige Gefährte Milosevics, der im Fall Kosovo ebenfalls auf der Liste der Angeklagten steht. Serbiens Premier Zoran Djindjic berichtete in der vorigen Woche, dass Milutinovic an einem »Deal mit dem Tribunal« arbeite, der es ihm ermöglichen solle, zur Belohnung für eine belastende Aussage mit einer geringeren Strafe davonzukommen. Doch obwohl die Chefanklägerin auf eine Auslieferung des amtierenden Präsidenten der Republik drängt, hat der ansonsten nicht zögerliche Djindjic dem Ansinnen del Pontes vorerst widerstanden. Solange Milutinovic im Amt sei, werde er nicht ausgeliefert; also mindestens bis zum Ende dieses Jahres. Ebenfalls in den Haag erwartet wird der ehemalige bosnisch-serbische Armeechef Ratko Mladic, der sich nach del Pontes Wissen in Belgrad aufhalten soll und dort »von Präsident Kostunica beschützt« werde.

Fragt sich nur, wie lange noch. Denn schon jetzt bleibt dem Verteidigerteam um Milosevic nicht viel mehr als der mühsame Versuch, Milosevic durch Beschwerden vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strasbourg freizubekommen. Erst in der vorigen Woche machte Nico von Stejnen eine weitere Eingabe vor dem Gericht, in der die angeblich unzumutbaren Haftbedingungen Milosevics beklagt wurden. So würden dem Häftling keine Akten zu seinem eigenen Fall zur Ansicht gegeben, außerdem würde er 24 Stunden pro Tag mit einer Videokamera überwacht.

Aber obwohl die Zeit für del Ponte zu arbeiten scheint, üben sich auch die Verteidiger in Geduld. So beklagte Gerichtspräsident Claude Jorda, dass die USA nicht die vereinbarten Finanzmittel für das Tribunal freigäben. Dadurch habe sich die materielle Situation des Gerichts weiter verschlechtert. »Vielleicht geht ihr ja auch das Geld aus«, scherzt Anwalt Black über ein unwahrscheinliches Ende des ambitioniertesten und kostspieligsten Projekts der Chefanklägerin del Ponte. Doch auch das dürfte Milosevic nicht helfen, denn das Tribunal will schon bald damit beginnen, weniger wichtige Fälle an Gerichte auf dem Balkan abzugeben. Den Fall Milosevic aber wird del Ponte sich nicht nehmen lassen.