Studentenproteste

Wut und Tränengas

1999 sah sich die Regierung des westafrikanischen Burkina Faso mit einer Massenbewegung konfrontiert. Seit Dezember protestieren die Studierenden erneut.

Man könnte vielleicht sagen, dass wir uns, was den Aggregatzustand der sozialen Kämpfe angeht, eher in einer Phase der Reflexion und Sammlung als in einer der direkten Konfrontation befinden. Aber das kann sich auch schnell wieder ändern.« Das hat André Tibri, Präsident der Union Général des Etudiants Burkinabè (UGEB) und Student an der medizinischen Fakultät der Universität von Ouagadougou, schön formuliert. Denn mit diesen Worten lässt sich sowohl die Situation an den Universitäten beschreiben als auch die derzeitige Tagesform der Bewegung gegen die Straflosigkeit, die das politische Leben Burkina Fasos in den letzten drei Jahren entscheidend geprägt hat.

Tibris Einschätzung stammt von Anfang Dezember. Drei Jahre zuvor, am 13. Dezember 1998, wurden der Journalist Norbert Zongo und seine drei Begleiter von Angehörigen der Präsidialgarde ermordet. Zongo, bis zu seinem Tod Chefredakteur der regimekritischen Wochenzeitung L'Indépendant, hatte durch seine engagierte Berichterstattung über zahlreiche ungesühnte Fälle von Polizeigewalt von sich Reden gemacht. Insbesondere seine Recherchen zum Mord am Chauffeur David Ouédraogo, die eine Verwicklung von Staatspräsident Blaise Compaoré nahe legen, brachten die Regierung in Bedrängnis.

Der Tod Zongos ließ die öffentliche Stimmung schließlich kippen. Von der Täterschaft der Regierung überzeugt, ging die städtische Bevölkerung Burkinas zu Hunderttausenden auf die Straße und forderte die Aufklärung des Falles, ein Ende der Polizeigewalt, Rechtsstaatlichkeit und institutionelle Reformen.

Statt mit einer beruhigten Situation sah sich Präsident Compaoré im Jahre 1999 mit einer sozialen Massenbewegung konfrontiert, deren Aktivitäten auf nationaler Ebene vom Kollektiv gegen die Straflosigkeit koordiniert wurden, einem Zusammenschluss von Gewerkschaften, Parteien, Schüler-, Studenten- und Menschenrechtsverbänden.

Die Aktionen dieser Oppositionsbewegung, die von einer kleinen, dank staatlicher Privatisierungspolitik aber aufgebrachten Arbeiterschaft durch mehrere zeitlich begrenzte Generalstreiks unterstützt wurden, entwickelten schnell eine solche Dynamik, dass sich die Regierung zu Reaktionen gezwungen sah. Die Zulassung einer unabhängigen Untersuchungskommission, die Einberufung eines »Rates der Weisen«, der Auswege aus der Krise vorschlagen sollte, die Neuorganisation des Wahlprozesses und der Austausch einiger Minister zugunsten dreier Oppositionsparteien waren die Ergebnisse.

Das waren aber nur einige der Reaktionen, zu den anderen gehörte die Verschleppung der Ermittlungen im Fall Norbert Zongo, die Unterdrückung der Bewegung und schließlich die Organisation einer »journée nationale de pardon« im März 2001, womit die Regierung öffentlichkeitswirksam, aber folgenlos die Bereitschaft zur Versöhnung inszenierte.

Die Studenten, von Anfang an ein wichtiger Teil der Oppositionsbewegung, hatten zur selben Zeit allerdings noch andere Sorgen. Das Studienjahr 1999/2000 verbrachten sie im Streik. Wenngleich die Ereignisse rund um den Fall Norbert Zongo sicher zur Protestbereitschaft an der Hochschule beigetragen haben, waren nicht die Kämpfe gegen die Straflosigkeit der Auslöser für den Streik der Studenten, sondern deren prekäre Lebens- und Studienbedingungen.

Häufig zu arm, um das Studium fortzusetzen, und außerdem in Rage über die unverschämt schlechte Qualität des Mensaessens forderten sie einen deutlichen Ausbau des dürftigen Systems staatlicher Studienförderung. Um diesem Wunsch Nachdruck zu verleihen, traten sie in einen unbefristeten Streik, der bis zum Ende des Studienjahres dauerte und schließlich zu dessen Annullierung führte.

Doch auch in diesem Fall behielt die Regierung nach anfänglichen Zugeständnissen letztlich die Oberhand. Zwar bedeutet der erleichterte Zugang zu einer auf umgerechnet fast 200 Euro pro Jahr erhöhten - und damit noch lange nicht ausreichenden - Studienförderung eine Verbesserung. Nachhaltiger jedoch wirkt die autoritäre Restrukturierung der Hochschule und des Prüfungssystems, deren Hauptziele André Tibri von der UGEB in der Entdemokratisierung der Uni und einer drastischen Reduktion der Studentenzahlen sieht.

Gleichzeitig ist die Hochschulreform aber ein Auslöser für das erneute Aufflammen des studentischen Protestes. Anfang Dezember 2001 beschloss eine erstaunlich gut besuchte Vollversammlung für die darauffolgende Woche einen eintägigen Warnstreik. Nach den Weihnachtsferien, am 10. Januar, wurde eine studentische Protestkundgebung auf dem Campus unter dem Einsatz von Tränengas aufgelöst, zahlreiche Aktivisten wurden festgenommen.

Empört erklärte die Association Nationale des Etudiants Burkinabè, die größte und aktivste Sektion des UGEB, die nächsten Tage für unterrichtsfrei und versprach eine Verschärfung der Proteste. Die Freilassung der Gefangenen wurde zur Bedingung für die Wiederaufnahme des Lehrbetriebs gemacht.

Indes hält Bertrand Meda von der ANEB die Aussichten auf einen erfolgreichen Ausgang der Proteste für gut: »Die Regierung ist heute eher zu Zugeständnissen bereit als vor zwei Jahren, denn sie sieht, dass weder Repression noch verschärfter Leistungsdruck die Solidarität unter den Studierenden schwächen konnten. Und auch die Öffentlichkeit ist inzwischen für unsere Probleme sensibilisiert.«

Das ist noch nicht alles: Die letzten drei Jahre haben in der städtischen Bevölkerung Burkina Fasos ein neues politisches Selbstbewusstsein entstehen lassen. Die derzeitige Ruhe auf den Straßen der Hauptstadt ist brüchig, eine erneute Mobilisierung der Studenten könnte auch für die Bewegung gegen die Straflosigkeit ein Anlass sein, ihren Schlaf zu beenden. Schließlich sind ihre Forderungen nach Aufklärung des Falles Norbert Zongo und nach der Bestrafung der Schuldigen ebenso wenig erfüllt wie die der Studenten.

Wenn die Regierung also die Stimmung weiter anheizt, etwa durch fortgesetzte Repressalien auf dem Campus, dann kann sie sich vielleicht schon bald über eine wieder erwachte wütende Oppositionsbewegung freuen, die ihr vor den für April angesetzten Wahlen die Themen diktiert.