Bundeswehreinsatz in Afghanistan und am Horn von Afrika

Zum Städtele hinaus

Die Bundeswehr ist auf dem Weg nach Kabul und ans Horn von Afrika.

Nun wird es ernst für die deutschen Soldaten. Wie ernst, darüber gaben die Presseoffiziere des Heeres und der Marine in den vergangenen Tagen Auskunft. Sie redeten nur noch wie glattgebügelt und unterbanden alle Kontakte zu den Soldaten. Auch in Wilhelmshaven, wo am vergangenen Mittwoch eine Armada der Bundesmarine vom Marinemusikkorps mit dem unvermeidlichen »Muss i denn zum Städtele hinaus« in Richtung Golf von Aden verabschiedet wurde.

In den Wochen zuvor wurden sogar die Namen der auslaufenden Schiffe verschwiegen, obwohl jeder in der Stadt wusste, dass die Besatzungen der Fregatten »Emden« und »Köln«, des Versorgers »Freiburg«, des Tankers »Spessart« sowie der Tender »Main« und »Donau« sich auf einen Einsatz vorbereiteten: auf die Operation Unterstützung Enduring Freedom. Vor dem Ablegen wurde Journalisten untersagt, mit den rund 200 Angehörigen am Kai oder gar mit einem der 750 Marinesoldaten zu sprechen.

»Dies ist nicht ein Einsatz wie jeder andere, es geht erstmals um Terrorbekämpfung«, erklärt Fregattenkapitän Ulrich Karsch. Die Marine habe damit »einen konkreten Gegner im Auge«. Dazu gehört offenbar auch die Öffentlichkeit. Es werde alles getan, um dem »erhöhten Schutzbedürfnis« der Soldaten und ihrer Familien zu entsprechen.

Deshalb erzählt Fregattenkapitän Wolfgang Jungmann selbst den angereisten Journalisten, was die Soldaten auf den Schiffen so denken. Die Männer und Frauen empfänden durchaus eine »Ungewissheit«, vor allem angesichts der langen Zeit des Einsatzes, der immerhin acht bis zwölf Monate dauern soll. »Aber Angst haben sie keine«, versichert Jungmann. Man sehe der Operation »gelassen« entgegen. Selbst Vizeadmiral Lutz Feldt, der Befehlshaber der Flotte, riet den Angehörigen, nicht alles zu glauben, was künftig in Zeitungen und im Fernsehen über die Mission zu lesen und zu hören sein werde. Man solle Vertrauen haben und Ruhe bewahren.

Wie Feldt mitteilte, solle der Verband am Horn von Afrika in einem noch nicht genau festgelegten Gebiet die Seewege kontrollieren sowie gefährdete Schiffe schützen. Mit dem Ablegen der Schiffe, so Feldt, beginne »für jedermann sichtbar der deutsche Beitrag an der Reaktion der Staatengemeinschaft der freien Welt auf die menschenverachtenden Terroranschläge des 11. September 2001«.

Obwohl die Schiffe nach drei Wochen Fahrt im Seegebiet vor Somalia kreuzen werden, nannte Feldt den Namen dieses Landes in der vergangenen Woche nicht ein Mal. Dabei hatte Verteidigungsminister Rudolf Scharping bereits im Dezember betont, es sei keine Frage, dass die USA in Somalia intervenieren würden, fraglich sei nur, wann und wie dies geschehen solle. Er verriet damit mehr, als er durfte, und wurde zurückgepfiffen.

Selbst in dem vom Bundestag abgesegneten Auftrag ist nachzulesen, dass auch »Nachschub und Fluchtwege terroristischer Organisationen« durch die Flotte zu unterbrechen sind. Der deutsche Flottenverband, zu dem mit der »Bayern« eine dritte Fregatte stoßen wird und dem auf speziellen Dockschiffen fünf Schnellboote über 5 500 Seemeilen nachgeliefert werden, soll zunächst vor allem die Seewege für Öltanker sichern. Jedenfalls so lange, wie die Flugzeugträger der US-Marine mit dem Einsatz in Afghanistan beschäftigt sind.

Vorstellbar wäre allerdings auch die Order, eine in naher Zukunft beginnende Aktion der US-Streitkräfte oder äthiopischer Verbände gegen so genannte Terroristenstützpunkte in Somalia von der Seeseite her zu decken. Auf ein solches Szenario wäre der Bundestagsauftrag zur Unterbrechung von Fluchtwegen »terroristischer Organisationen« perfekt zugeschnitten, bis hin zu den fünf Schnellbooten, die speziell für den Einsatz in flachen Gewässern, also nahe der Küste, konzipiert sind. Die USA dementieren zwar, dass sie Somalia ins Visier nehmen wollen. Gleichzeitig werden aber die Aufklärungsflüge über dem afrikanischen Land verstärkt. Es solle sichergestellt werden, dass Somalia kein Zufluchtsort für Terroristen sei, sagte der Sprecher des US-Außenministeriums, Richard Boucher.

Offiziell weiß Flottillenadmiral Gottfried Hoch, der den Verband von der »Bayern« aus führen wird, nicht, in welchen Hafen er seine Schiffe Ende Januar einlaufen lassen kann. Denn während die Fregatten länger in See stehen können, brauchen die kleineren Schnell- und die noch heranzuführenden Minensuchboote einen Landstützpunkt in der Region. Ganz zu schweigen von den Seeaufklärungsflugzeugen vom Typ »Breguet Atlantic«.

Also müssen deutsche Soldaten des bis zu 1 800 Mann starken Marineverbandes in oder um Somalia herum stationiert werden. Sie brauchen einen Hafen und einen Flugplatz. Das Ziel könnte Djibouti sein, wo die einstige Kolonialmacht Frankreich immer noch mit 3 500 Mann präsent ist. Bereits im Dezember war eine 17köpfige Bundeswehrdelegation vor Ort, um eine Stationierung vorzubereiten. Auch Vizeadmiral Feldt will die Region erneut bereisen, um Gespräche über eine Landbasis zu führen. Selbst im somalischen Berbera schaute sich die Bundeswehr den Tiefseehafen und die immerhin zweitlängste Startbahn Afrikas an. Im Gespräch ist schließlich auch der kenianische Hafen Mombasa.

Gleichzeitig verlegt die Bundeswehr rund 800 Soldaten ins afghanische Kabul. Deren Befehlshaber ist Carl Hubertus von Butler von der Oldenburgischen Luftlandebrigade 31. Gut 200 Fallschirmjäger aus dem niedersächsischen Varel und aus Oldenburg sollen die Ankunft der Truppe vorbereiten. Doch Kabul ist fern und die zwei Flughäfen der Stadt sind von US-Truppen belegt oder von Bombeneinschlägen gezeichnet. Als in der vergangenen Woche ein Erkundungskommando mit neun Bundeswehroffizieren über der Stadt einflog, konnte die britische Herkules C 130 nach gewagten Manövern nur auf einer kurzen Zufahrt zur zerstörten Hauptpiste landen.

Erstes Ergebnis der Ortserkundung: Es muss alles aus Deutschland herangeflogen werden. Nicht nur Waffen, auch die Verpflegung. Dazu hat man zwei zivile Großraumtransporter vom Typ Antonow 124 gemietet, die aber ebenso Probleme mit der Landung in Kabul haben werden. Gepanzerte Fahrzeuge müssen per Schiff nach Karatschi und 1 500 Kilometer per Bahn nach Afghanistan transportiert werden. So wird die Verlegung etliche Wochen dauern. Eine große logistische Aufgabe, die auch die anderen laufenden Missionen der Bundeswehr beeinträchtigen wird.

Immerhin stehen nach Angaben Scharpings derzeit 4 680 Soldaten im Kosovo, weitere 1 680 in Bosnien sowie 588 in Mazedonien. Acht Soldaten sind sogar an der Überwachung des Waffenstillstandsabkommens zwischen Georgien und Abchasien beteiligt. Schon die Mazedonien-Mission musste Schutzwesten und Radpanzer bei den Kollegen im Kosovo »ausleihen«. Da diese Kontingente alle sechs Monate abgelöst werden müssen, sind allein auf dem Balkan derzeit 37 500 deutsche Soldaten gebunden. Vor dem Einsatz in Afghanistan sagte Scharping, dass die Bundeswehr völlig ausgelastet sei. Davon ist nun kein Wort mehr zu hören. So einfach funktioniert die von Scharping verfügte »Erneuerung der Bundeswehr von Grund auf«.